*** Achtung bitte: Auch hier ist Triggerkram mit drin. ***
Wir wissen nicht, wann es uns zum ersten Mal wirklich bewusst wurde. Wir waren vermutlich siebzehn oder achtzehn Jahre alt. In unserem Leben hatte es einen Einschnitt gegeben, als wir sechzehn Jahre alt gewesen waren. Dieser Einschnitt hatte weniger als einen Tag gedauert. Und doch teilte er unser Leben in ein Davor und in ein Danach:
Davor:
Wir leben wie in einem Traumzustand. Wir sind da, aber irgendwie auch nicht. Wir leben so vor uns hin, aber wir haben fast immer den Eindruck, nicht wirklich wach und da zu sein. Es ist so, als sei unser Leben irgendeine Inszenierung auf irgendeiner Bühne. Wir haben dieses Stück nicht geschrieben. Wir kennen dieses Stück nicht. Wir verstehen es auch nicht – da können wir uns bemühen, wie wir wollen. Und wir agieren auch nicht auf dieser Bühne. Wir werden agiert. Wir können bei diesem Stück nur zugucken. Wie’s uns geht, und was wir fühlen, das wissen wir nicht. Vermutlich geht es uns auch gar nicht, sondern wir existieren weitgehend gefühls- und bewusstseinsfrei in einem permanenten Schwebezustand in irgendeiner Zwischenwelt. Später würden wir diese Zeit so beschreiben:
Unser Bewusstsein hatte sich zwar entwickelt, aber es hatte sich geweigert, zutage zu treten.
Danach:
Wir haben den Eindruck, als hätten wir unser komplettes bisheriges Leben in einem Schwimmbad unter Wasser verbracht. Jetzt sind wir zum ersten Mal mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche gestoßen und nehmen zum ersten Mal die Welt direkt und unmittelbar wahr. Wir sind wach. Wir sind bei Bewusstsein. Beides ist ein sehr ungewohnter Zustand für uns. Es dauert sehr lange, bis wir uns daran gewöhnen.
Auf dieses neue Leben sind wir in keiner Weise vorbereitet.
Wir haben buchstäblich keine Ahnung von
· sozialer Interaktion
· Kommunikation mit anderen Menschen
· Lebensplanung und -gestaltung
· dem, was in uns ist
· Gefühlen
· wie man seinen Verstand diszipliniert, schult und nutzt
· und so weiter.
Wir stellen binnen kürzester Zeit fest, dass es echt gut wäre, wenn wir von all dem wirklich die massive Ahnung hätten. Unser Überleben hängt davon ab. Buchstäblich. Denn es geht uns fürchterlich. Die ganze Zeit geht es uns fürchterlich. Tag und Nacht. Und der Weg zurück in diesen halbbewussten Schwebezustand, wo man beinahe nichts fühlt, ist uns versperrt. Also müssen wir lernen:
Sehr gründlich und sehr schnell müssen wir lernen. Die Zeit läuft uns davon.
Aber wie das immer so ist in solchen Fällen:
Weit und breit ist niemand, der uns in diesen Dingen unterrichten oder unterweisen könnte. Also müssen wir das alles selber in die Hand nehmen.
Und so marschieren wir los, trotzdem und irgendwie.
Ja, so war das. Andere haben in ihrer Jugend eine Jugend, wir hatten eher was anderes. Aber auf der anderen Seite: Die, die eine Jugend haben, die hatten in aller Regel davor eine Kindheit. Technisch gesehen hatten wir sowas irgendwie auch. Aber wir können euch versichern: Eine Kindheit, die nur im technisch-juristischen Sinne diesen Namen verdient, mündet auch in eine Jugend, die diesen Namen nur im technisch-juristischen Sinne verdient. Das scheint ein Naturgesetz zu sein.
Es ging bei uns also ums schiere Überleben. So ziemlich die ganze Zeit. Und immer lief die Zeit gegen uns.
Irgendwann wurde uns bewusst, dass es in uns eine ganze starke Strömung gab, die uns unablässig in eine bestimmte Richtung zog. So wie eine Büroklammer von einem Magneten angezogen wird und buchstäblich nichts dagegen tun kann, so wurden wir von irgendwas angezogen, was wir in keiner Weise beeinflussen konnten. Wir wussten nicht, wovon wir angezogen wurden. Wir hatten auch keine Ahnung, wo das eigentlich hinführen sollte. Aber klar – das weiß die Büroklammer ja auch nicht.
Wir haben uns damals jahrelang intensiv den Kopf zerbrochen, was uns da eigentlich die ganze Zeit zog und trieb. Wir kamen nicht drauf. Wir kamen nicht mal in die Nähe einer möglichen Lösung.
Wir verglichen es damals auch nicht mit einem Magneten, sondern mit einem Strom. (Also mit einem großen und starken Fließgewässer, nicht mit irgendwas, was aus der Steckdose kommt). Dieser Strom riss uns mit sich fort. Mal strömte er schneller, mal ruhiger, aber nie stand er still, und immer ging es weiter. Was immer wir uns in unserem Leben erarbeiteten – wir mussten es loslassen, weil wir wieder fortgerissen wurden. Was immer wir nach langen Mühen und Anstrengungen auch erreichten – und sei das Ziel auch noch so hochgesteckt gewesen – wir mussten es wieder sausen lassen, weil es jetzt auf diesem Strom wieder weiterging. Themen und Interessen in unserem Leben kamen. Und sie gingen. Freundschaften, die uns wirklich viel bedeuteten, kamen. Und sie gingen. Beziehungen kamen. Und sie gingen. Erfolge, die wir nach langen, langen Mühen erreicht hatten, zerbröselten uns buchstäblich unter den Fingern. Wir mussten sie zurücklassen und uns wieder mit was anderem beschäftigen.
Und es gab nichts, was wir hätten tun können, um das alles festzuhalten: Weiter, weiter, weiter, immer weiter. Und wir hatten wirklich keine Ahnung, wohin eigentlich.
Das war anfangs ganz spannend für uns, denn immer war irgendwas los in unserem Leben. Ständig gab’s was neues und aufregendes. So eine Reise auf einem starken Strom kann sehr, sehr eindrucksvoll sein. Aber als wir dann mit den Jahren feststellten, dass wir das alles weder steuern noch beeinflussen konnten, wurde das doch ziemlich unheimlich und gruselig für uns. Und überhaupt – Menschen mit Anfang zwanzig neigen im Allgemeinen dazu, nach Freiheit zu streben und sich von niemandem mehr vorschreiben zu lassen, wie sie zu leben, was sie zu tun und zu lassen haben.
Unser Leben auf diesem Strom ließ sich in der kernigen und simplen Sprache, mit der wir groß geworden waren, sehr treffend und prägnant zusammenfassen:
Einfach kacke!
Also beschlossen wir, dass das jetzt anders werden müsse.
Wir sind kreativ. Und wir können manches, was andere nicht können.
Und so gelang es uns, diesen Strom zu verlassen und ans Ufer zu kommen. Das war zwar eine unglaubliche Anstrengung. Doch das Ziel der Freiheit war uns das alles wert.
So waren wir zum ersten Mal in unserem Leben in Ruhe und schauten vom Ufer auf diesen Fluss, der da jetzt träge und sehr kraftvoll an uns vorbeizog. Die ewige Unrast war weg. Wir genossen diese Ruhe in vollen Zügen. Und dann beschlossen wir, jetzt erst mal ein wenig auszuruhen und dann zu schauen, was wir mit unserer neu gewonnenen Freiheit eigentlich anfangen wollten.
Ja, so dachten wir uns das. Wir waren beinahe euphorisch. Endlich steuerten wir unser Leben! Die Welt stand uns auf einmal offen.
Vor ein paar Jahren haben wir von einer weisen Jüdin einen Spruch gehört, der uns zutiefst beeindruckt hat:
„Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann mach‘ Pläne.“
Diesen Spruch kannten wir damals nicht. Aber er hätte sehr gut gepasst.
Denn als wir uns so überlegten, wie wir unser Leben gestalten wollten, merkten wir, dass es uns von Stunde zu Stunde immer schlechter ging. Es war echt grauenhaft. Dagegen war das Leben auf dem Strom echt angenehm gewesen. Aber es hatte uns eine solche Mühe gekostet, ans Ufer zu kommen. Das wollten wir nicht einfach so aufgeben. Und außerdem wollten wir aus unserem Leben endlich was machen. Wir wollten endlich frei sein! Da hatten wir ein Recht drauf! (Verdammt noch mal!)
Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann mach‘ Pläne. Oder gib dich der Illusion hin, dass du dein Leben steuerst …
Uns ging es immer schlechter. Es war grauenhaft! Aber auch, wenn man uns das nicht unbedingt ansieht: Wir sind ziemlich zäh. Und so hielten wir das ein paar Tage durch. Doch dann war unsere Situation so furchtbar, dass wir wieder in den Strom zurückgingen. Sofort riss er uns mit sich fort. Und sofort war dieses wirklich furchtbare Gefühl, das wir am Ufer erlebt hatten, nur noch eine verblassende Erinnerung. Wir fühlten uns wirklich erleichtert.
Aber schon nach ein paar Monaten waren wir dieses Lebens wieder reichlich überdrüssig. Wir wollten endlich frei sein!
Und so beschlossen wir unseren zweiten Ausbruchsversuch. Diesmal planten wir wesentlich gründlicher und rigoroser. Und dann gingen wir mit der uns eigenen Entschlossenheit zu Werke. Diesmal waren wir vorbereitet. Und wir wussten: Dass es uns am Ufer so derart schlecht ging, das musste irgendwann auch mal vorbei sein. Das war nur ein Durchgangsstadium. Hinter diesem „Es geht uns so unheimlich schlecht!“ musste irgendwas anderes kommen. Wir waren wild entschlossen, dieses Durchgangsstadium zu überstehen, um dann auf die andere Seite zu kommen und wirklich frei zu sein.
Und so legten wir wohlvorbereitet los.
Wenn du Gott zum Lachen bringen willst …
Wir kamen da also ans Ufer. Erst mal passierte nichts. Wir kamen wieder zur Ruhe und genossen das in vollen Zügen. Dann fing es nach einiger Zeit an:
Es ging uns fürchterlich schlecht.
Und schlechter …
Und schlechter …
Und schlechter …
Aber auch, wenn man uns das nicht unbedingt ansieht: Wir sind ziemlich zäh. Und so hielten wir durch. Wir waren wild entschlossen, dieses Durchgangsstadium zu überwinden. Der Preis der Freiheit war das wert.
Und es ging uns schlecher …
Und immer noch schlechter …
So schlecht, dass es sich jeder Beschreibung entzieht.
Wir hielten durch. Wir sind zäh. Wir sind tapfer. Wir sind über alle Maßen willensstark.
Wenn du Gott zum Lachen bringen willst …
Und ja, ich kann euch schildern, wie’s dann weiterging. Es war tatsächlich nur ein Durchgangsstadium, durch das wir durch mussten. Wir traten wie durch einen Vorhang auf die andere Seite. Jetzt konnten wir den Fluss schon gar nicht mehr sehen und spüren. Er schien weg zu sein. Und uns erwartete jetzt etwas anderes – monatelang -, was ich erst Jahre später korrekt benennen konnte, einfach, weil wir’s nicht kannten und noch keine Erfahrung damit gemacht hatten:
Depression.
Das war mal was anderes. Das war mal was neues. Aber es war nicht das, was wir uns erwartet hatten. Es war nicht das, wofür wir gekämpft hatten. Dafür hatten wir nicht all das auf uns genommen. Und das hier schien kein Durchgangsstadium zu sein. Das hier fühlte sich nach ziemlich ewig an:
Eine tote, graue, düstere und völlig trostlose Wüste.
Herzlichen Glückwunsch!
Aber wir sind zäh, wir sind … (ach, du liebe Güte … mittlerweile kennt ihr das ja alles schon).
Also – kurz gefasst:
Im Ungestüm unserer Jugend versuchten wir ein paar Monate, uns durch diese Depression hindurch zu kämpfen. Aber wir hatten jedes Gefühl für irgendeine Richtung verloren. Und so beschlossen wir irgendwann völlig entnervt und entkräftet, uns irgendwie zum Strom durchzuschlagen und wieder ins Wasser springen und uns weiter forttragen zu lassen.
Nach ein paar Tagen hatten wir das auch geschafft. Und aus unserer Depression wurde sehr schnell eine verblassende Erinnerung. Der Strom trug und riss uns mit sich fort zu irgendeinem ganz fernen Ziel, von dem wir überhaupt keine Ahnung hatten. Unser Leben nahm wieder seinen absolut rast- und ruhelosen Charakter an, nirgendwo blieben wir lange, und was immer wir uns auch erarbeiteten – wir mussten es sehr bald wieder sausen lassen, weil der Strom uns mit sich forttrug.
So ging das wieder eine Zeit. Mindestens ein Jahr ging das so. Und wie wir weiter oben prägnant zusammengefasst haben:
Einfach kacke!
Und so ließen wir es ein drittes Mal darauf ankommen. Wir planten sehr lange und bereiteten uns sehr gründlich vor. Wir wollten ans Ufer. Wir wollten aus diesem Strom aussteigen und unsere Freiheit gewinnen. Unser Leben gestalten. Etwas dauerhaftes aufbauen und erreichen.
Jo.
So sind wir.
Immer schon gewesen:
Stur wie ein Panzer.
Hartnäckig bis hart an die Grenze der Selbstvernichtung.
Und ein bisschen blöd.
Aber solche muss es ja auch geben.
Und überhaupt – vielleicht ist Gott ja auch ganz angetan, wenn er immer wieder mal was zu Lachen bekommt. Wir wissen das nicht.
Ich will euch nicht mit Details langweilen. Ich kann hier knapp berichten:
Nach
1. „Es geht mir unfassbar schlecht!“ und
2. Depression
kommt in unserem Leben etwas drittes. Wir haben es Monate später so in Worte gefasst:
3. Schwärzestes Depression.
Braucht kein Mensch sowas.
Also ließen wir es sein.
Und gingen resignierend zurück in den Strom.
Wenn das unser Leben ist, dann soll das eben so sein. „Einfach kacke!“ ist echt nicht berauschend, das kann ich euch versichern. Aber besser als die drei Alternativen, die sich uns boten, ist es allemal. Also richteten wir uns häuslich damit ein.
Es gilt immer in unserem Leben, schon seit wir uns erinnern können:
Wenn uns irgendwas in unserem Leben nicht gefällt, dann stellen wir uns die Frage:
„Was wäre denn die Alternative?“
Und wenn die Alternativen nicht überzeugend sind, dann richten wir uns ein mit dem, was wir haben und machen das beste draus. So machten wir es auch hier. Aber aus „Einfach kacke!“ wurde dann nach ein paar weiteren Monaten „Einfach unerträglich!“
Und so hatten wir nicht gewettet! Wir waren nicht bereit, uns das gefallen zu lassen. Wir hatten was anderes verdient! Wir waren keinesfalls gewillt, so unser Leben zu verbringen. Auf gar keinen Fall!
In Krisensituationen neigen wir zu kalter und klarer Entschlossenheit. Und so standen jetzt ganz klar und ganz konkret zwei (und nur zwei) Alternativen im Raum:
a) Suizid
b) Irgendwas anderes, was uns hier ein für allemal rausholt.
Eingedenk dessen, dass uns Suizid immer noch möglich war, entschieden wir uns einstweilen für b).
Wir stürzten uns todesmutig in unsere erste Psychotherapie. Und nach drei oder vier Jahren stellten wir verblüfft und erleichtert fest, dass unser Leben begann, sich substanziell und nachhaltig zu verbessern. Wir waren zwar immer noch in diesem Strom. Aber unser Leben begann besser zu werden. Es war zwar immer noch weit, weit, weit davon entfernt, gut und lebenswert zu sein. Aber wir waren in dieser Hinsicht echt nicht anspruchsvoll. Und unser Fortschritt war fühlbar. Er konnte sich sehen lassen. Er war nachhaltig. Das machte uns Mut. Das gab uns Auftrieb. Vielleicht hatten wir ja jetzt endlich was gefunden.
Als wir acht Jahre in Therapie gewesen waren, fingen wir zum ersten Mal einen Blick eines anderen Menschen auf, den wir in späteren Jahren noch häufiger sehen sollten. (Also den Blick sahen wir in den nächsten Jahren noch häufiger, nicht diesen Menschen). Eine Frau, die uns sehr viel bedeutete, und die in unserem Leben war, schaute uns auf einmal ganz eigenartig an. Sehr kurz nur, und dann war dieser Blick wieder weg. Er kam auch nicht wieder. Aber wir erinnerten uns. Dieser Blick war in uns abgespeichert. Und da wir ihn auch nach Wochen nicht entschlüsseln konnten, sprachen wir diese Frau an. Sie konnte sich sehr gut an diese Situation erinnern. Sie erklärte uns kurz und bündig:
„In dieser Situation habe ich dich um dein Leben beneidet.“
Wir waren fassungslos:
„Beneidet?! Um dieses beschissene Leben?!“
Aber wir machen den Menschen keine Vorschriften, auf was sie neidisch sein sollen und auf was nicht. Da können wir sehr liberal sein.
***
Schnitt.
Jahre später.
Viele, viele, viele Jahre später
***
Eine andere Frau ist für kurze Zeit in unserem Leben. Sie tanzt auf der einen Seite in unser Leben hinein und auf der anderen Seite wieder hinaus. Dafür braucht sie ungefähr sechzehn Monate. Nie zuvor hatten wir jemanden erlebt, der derart gut in der Lage war, in uns hineinzuschauen.
Und so bemerkte sie sehr schnell den ständigen Sog, dem wir ausgesetzt waren. Wir vertrauten ihr und schilderten ihr unser Leben auf dem Strom. Sie hörte sehr aufmerksam zu und verstand. Vermutlich lag das auch daran, dass es ihr ähnlich ging. Am Ende ihres Berichts sagten wir ihr seufzend:
„Freiheit geht anders.“
***
Noch ein Schnitt
***
Für viele, viele Jahre versuchten wir auf diesem Strom zur Quelle zu kommen und dort zur Ruhe zu kommen. Es gelang uns nicht. Es gelang uns nicht nur ein bisschen nicht sondern so total überhaupt nicht, dass wir das aufgaben und unser Glück in die andere Richtung versuchten – zum Meer. Denn alle Flüsse fließen ins Meer, und nach allem, was man sich erzählt, ist da Ruhe.
Das haben wir etliche Jahre versucht und kamen auch ganz gut voran. Aber dann war da erneut eine Frau in unserem Leben. Eine mit einem wirklich überragenden Verstand. Sie ließ sich von uns unseren Weg zum Meer schildern. Sie war schon in kürzester Zeit in der Lage, uns schlüssig nachzuweisen, dass das, was wir da machten, ein logisch unmögliches Ziel anstrebte. Die Flüsse in der Natur mochten alle ins Meer strömen und dort zur Ruhe kommen. Das, was uns da in unserem Leben zog und zog und zog und zog – durch all die Jahrzehnte -, das war was ganz anderes.
Ich will hier nicht ihre Argumentation wiedergeben. Nur das Ergebnis:
Was wir da machten, war logisch falsch.
Und wir wissen: Die Logik ist unbezwingbar. Was nicht logisch ist, kann nicht richtig sein – unter keinen Umständen, nirgendwo.
Also ließen wir es sein.
Das brachte alles nicht.
Seufzer.
Riesenseufzer.
Also weiter auf diesem Strom. Und immer schön in der Geschwindigkeit dieses Stroms. Weiter, weiter, immer weiter.
Seufzer.
***
Letzter Schnitt für heute.
***
In all den Jahrzehnten trug der Strom uns mit sich fort. Wir führten die ganze Zeit ein völlig rast- und ruheloses Leben. Das Leben eines völlig Heimatlosen. Das Leben eines ewigen Wanderers. Gezogen von etwas, was er nicht versteht. Gezogen, wie eine Büroklammer von einem Magneten gezogen wird.
Es zog uns in unsere zweite Psychotherapie, von der wir in diesem Blog schon sehr oft berichtet haben. Wir traten diese Psychotherapie an, um Heimat zu finden. Das erste Etappenziel war das Ende der Welt. Als wir das erreicht hatten, ging es nahtlos weiter. Aber was kommt hinter dem Ende der Welt?
Wir erschließen uns seitdem in uns Räume und Landschaften, von deren Existenz wir absolut keine Ahnung gehabt hatten. Wir haben noch nie von etwas vergleichbarem gelesen oder gehört.
Es fühlt sich tatsächlich so an, als ob noch nie jemand hier gewesen wäre. (Was wir angesichts dessen, dass es so derart viele Menschen gibt bzw. gegeben hat, für reichlich unwahrscheinlich halten. Aber es fühlt sich halt so an).
Und seit ungefähr sechs Monaten spüren wir, dass der Strom merklich an Kraft verliert. Zeiten, wo die reißende Kraft des Stroms kaum zu spüren war, hatten wir auch schon früher. Jeder Fluss fließt mal ruhiger, mal schneller. Und wenn der Fluss extrem breit wird und kaum noch Gefälle hat, kann er wirklich sehr ruhig werden. Aber das ist immer nur ein vorübergehender Zustand.
Doch das hier, was wir jetzt erreichen, das fühlt sich ziemlich anders an.
Wir wissen bislang nicht, was das alles zu bedeuten hat. Wir können es nur wahrnehmen.
Aber im Gegensatz zu früher leiten wir aus all dem nichts ab, wir nehmen es nur wahr. Wir nehmen’s, wie’s kommt. Wir planen auch nichts. Sollte der Strom demnächst wieder Fahrt aufnehmen, dann nehmen wir’s, wie’s kommt. Und sollte jetzt was ganz anderes passieren, dann nehmen wir’s auch, wie’s kommt.
Und nochmal, weil das so wichtig ist:
Wir planen in unserem Leben (außer unserem Geld) gar nichts mehr. Wir haben keine Ziele mehr, außer unsere Kleinen und unsere Innenteile zu befreien und Heimat zu finden. Aber der ganze Rest: Wir nehmen’s, wie’s kommt und reagieren dann darauf.
Denn ihr wisst ja:
Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, dann mach‘ Pläne.
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