Gefahr

Mir wird allmählich klar, dass viele Menschen die Welt in ganz bestimmten, grundlegenden Aspekten völlig anders wahrnehmen als ich, und dass das vermutlich immer so bleiben wird.

 

Ich will davon berichten.

 

 

1

Es fiel mir vor ein paar Tagen sehr bewusst auf. Vielleicht bewusster als jemals zuvor – einfach, weil der Kontrast zwischen mir und den anderen Menschen so stark war.

 

Ich hatte einen Psychotherapietermin. Wie üblich war ich zwei, drei Minuten vorher da. Der Therapieraum liegt in einer Wohnung, die zu einer Praxis umgestaltet wurde. Wenn man reinkommt, kommt man in den langgestreckten Wohnungsflur. Links sind am Ende des Ganges zwei Praxisräume und ein größeres Wartezimmer. Direkt geradeaus ist die Küche. Da dürfen Klienten aber nicht rein. Rechts sind am Ende des Ganges nochmal drei Praxisräume. Und zwei Toiletten bzw. Badezimmer gibt es auch.

 

Ich muss zur Therapie immer in den Therapieraum „ganz hinten“, wenn ich links den Gang runtergehe. Da ist eine Garderobe, wo ich immer Jacke und Mütze aufhänge. Und wenn ich das getan habe, nehme ich alles aus den Hosentaschen, was später drücken könnte – Handy, Schlüssel etc. – und verstaue es in der Umhängetasche, die ich bei der Therapie immer dabeihabe.

 

Das ist bei uns ein eingespieltes Ritual. Das gehört für uns zur eigentlichen Therapie dazu:

Wir klingeln unten an der Haustür. Der Summer ertönt, wir öffnen die Tür und gehen durch das enge Treppenhaus hinauf in den zweiten Stock. Dort steht die Tür zur Praxis leicht offen. Wir gehen durch sie hindurch und schließen die Tür wieder hinter uns. Normalerweise ist außer uns kein Mensch zu sehen. Wenn die Therapeutin sichtbar ist, grüßen wir sie wortlos mit einer kurzen Verbeugung. Und dann geht jeder seiner Wege. Sie geht dahin, wir gehen dorthin. Kein Wort wird gewechselt. Es gibt nichts zu sagen. Tiefes Schweigen. Wir gehen hinten zur Garderobe und machen uns dorttherapiefertig.

Dann stehen wir da - mit dem Rücken zum Flur - und schauen in das halboffene, leere Wartezimmer und nehmen einfach nur wahr und sind da. Irgendwann hören wir die Schritte der Therapeutin hinter uns. Sie geht hinter uns vorbei in den Therapieraum und macht da irgendwas. Irgendwann hören wir dann ihre Stimme aus dem Therapieraum:

„So … hereinspaziert.“

Sie sagt immer dasselbe.

Dann nehmen wir schweigend unsere Tasche und gehen in diesen Raum und schließen die Tür hinter uns.

 

Wir beschreiben dieses Ritual hier in dieser Ausführlichkeit, weil uns dieses Ritual so wichtig ist.

 

Diesmal war das anders.

Das Wartezimmer war geschlossen. Wir hörten Stimmen aus dem Wartezimmer. Es wird manchmal für Seminare genutzt. Der Therapieraum neben unserem Therapieraum wurde auch genutzt. Auch von dort hörten wir Stimmen. Die Garderobe war voll mit Bekleidung, die wir nicht kannten. Da standen eine Menge Schuhe, die wir zum Teil noch nie gesehen hatten.

Und wir wurden in unserem Ritual empfindlich gestört.

 

Wir machten uns trotzdem therapiefertig.

Dann standen wir da.

Das Wartezimmer ging auf. Zwei Frauen kamen heraus. Sehr kommunikative Wesen. Sie sagten irgendwas zu uns. Wir drehten uns zu ihnen um. Gleichzeitig kam hinter uns jemand aus der Küche, den wir nicht kannten. Wir sahen ihn nicht, wir hörten aber seine Schritte und nahmen seine Gegenwart wahr. Dann ging der Therapieraum links neben uns auf, und irgendwer kam da raus.

Es war für eine kurze Zeit ziemlicher Verkehr auf diesem Wohnungsflur:

„Tschuldigung, kann ich mal durch.“

„Ach, hallo.“

„Ja, dann also bis zum nächsten Mal.“

Und so weiter.

 

Vor uns waren Menschen, die wir nicht kannten. Hinter uns war jemand, den wir nicht kannten. Links von uns waren Menschen, die wir nicht kannten. Der Wohnungsflur war voll und eng.

Und jeder Muskel in uns war warm. Wir waren absolut kampfbereit. Wir hatten – wie immer – in Sekundenbruchteilen die Kampffähigkeit und die Kampfweise jeder einzelnen Person in unserer Umgebung eingeschätzt. Der gefährlichste Gegner war eindeutig der Mensch hinter uns. Unser rechter Arm war vollkommen bereit, ihn abzufangen und kampfunfähig zu machen. Die Frauen, die aus dem Wartezimmer gekommen waren, bewegten sich sehr unbeholfen. Ihre Schultern waren unterenergetisiert. Mit denen würde ich mit dem linken Arm sehr schnell fertig werden. Wir schauten in das Wartezimmer und scannten alles, was da war, auf Waffentauglichkeit. Da war beinahe nix zu gebrauchen. Aber von einem dieser Stühle konnte man mit einer energischen Bewegung ein Bein abbrechen. Das war besser als nichts.

 

Und so weiter.

 

Wenn wir in solche Situationen geraten, dann sind wir automatisch – in deutlich weniger als einer Sekunde – im Kampfmodus: Unsere Muskeln sind warm und energetisiert, wir haben unsere gesamte Umgebung abgescannt:

Wer ist gerade sichtbar?

Vom welchem Menschen geht die größte Gefahr aus? Ist ein Anführer sichtbar?

Wie bewegen sich die Menschen? Was lässt sich aus ihrer Körperspannung ablesen?

Wo sind mögliche Fluchtwege? Lassen sich die Fenster öffnen? Kann man da rausspringen?

Wo sind mögliche Fallen und Sackgassen?

Was von dem, was gerade sichtbar ist, lässt sich als Waffe einsetzen?

Und so weiter.

 

So war das auch diesmal. Aus der Körperspannung der Menschen, die uns umgaben, konnten wir ablesen, dass sie – wie üblich – nichts davon mitbekamen. Sie reagierten nicht darauf, dass wir unsere Stellung im Raum leicht veränderten. Sie reagierten nicht darauf, dass wir die Arme ein wenig hoben, um besser abwehrbereit zu sein. Sie reagierten überhaupt nicht. Sie nahmen ganz offensichtlich keine Gefahrensituation wahr. So wie sie reagierten, so reagieren Menschen, die sich im tiefsten Frieden wähnen und sich vollkommen sicher fühlen.

 

Wir sind da anders.

Wir sind voller Reflexe. Und diese Reflexe sind alle noch da.

 

 

2

Spaziergang. Wir sind zu zweit in ländlicher Umgebung unterwegs. Dörfer und Felder und Wald. Wir gehen hier oft spazieren. Nachts, wenn die ganzen NTs was anderes machen und wir ungestört sind.

Wir nähern uns einem Dorf. Ungefähr hundert Meter vor uns liegt ein Gehöft, das von den Straßenlaternen nur sehr schwach beleuchtet wird. Ich habe starke körperliche Reaktionen und sofort den dazugehörigen Dialog:

Meine Kleinen: „Bedrohung. Links vorne. Zweimal.“

Ich: „Gefährlich?“

Meine Kleinen: „Nein.“

Ich: „Dann nur bereithalten. Vermutlich irgendwelche Hunde.“

Meine Kleinen: „Ok.“

Und wir wappnen uns, dass wir gleich wieder von übelgelaunten und durchneurotisierten Tölen angepöbelt werden. Das ist in dieser Gegend so üblich.

 

Unsere Begleiterin und wir nähern uns dem Gehöft. Als wir beginnen, es zu passieren, fängt irgendwo in der Dunkelheit ein Hund an, uns anzupöbeln. Laut! Gewalttätig! Ziemlich unangenehm.

 

Unsere Begleiterin sagt irgendwas abfälliges dazu. Wir sind da derselben Meinung. Dann sagen wir ihr aber:

„Dahinter ist noch ein zweiter. Der müsste auch gleich loslegen.“

Und so kommt es dann auch.

Geschützt durch Dunkelheit und hohe Zäune sind diese Hunde unglaublich stark und mutig.

 

 

3

Zwei Tage später. Unsere Begleiterin und wir machen einen nächtlichen Spaziergang. Nachts. Dieselbe Strecke. Als wir uns dem Gehöft nähern, sagt sie leise:

„Achtung! Die Hunde!“

Wir antworten:

„Da ist heute nichts.“

Wir gehen langsam an dem dunklen Gehöft vorbei.

Alles bleibt still.

 

 

4

Wir sitzen zu zweit auf einer Bank im nächtlichen Wald. Etwas weiter entfernt liegt im dunklen Mondschein das Dorf. Das eine oder andere Tier ist zu hören. Sonst ist es weitgehend still. Wiesen. Felder. Wald. Wir nehmen alles in uns auf. Wir riechen die Nacht. Wir riechen den Wald und die Wiesen. Wir scannen die gesamte Umgebung auf Gefahr.

 

Wir spüren ihre Unsicherheit. Aber wir missinterpretieren sie. Wir sagen ihr:

„Wir haben auf ungefähr vierhundert Meter in jede Richtung die Gegend gescannt: Keine Gefahr. In jeder Richtung.“

 

Und wir wissen aus Erfahrung:

Wenn wir die Gegend scannen, und wir spüren keine Gefahr, dann ist da auch keine.

 

 

5

Das ist jetzt fast vierzig Jahre her:

Wir waren gerade mit der Frau, mit der wir heute de jure verheiratet sind, zusammengezogen. Das war die Frau, mit der wir unser Leben teilen wollten. Sie war zwar kaputt und durch den Wind. Aber das waren wir auch. Und wer ist das nicht?

Wir stritten uns jeden Tag. Das schien bei uns dazuzugehören.

 

An diesem Tag hatte der Streit in der Küche stattgefunden. Eine kurze aber heftige verbale Auseinandersetzung. Wir hatten am Waschbecken gestanden und abgewaschen, als sie hereingekommen war.Sie hatte sich lauthals über irgendwas beschwert, was wir gemacht oder nicht gemacht hatten. Es war kurz, es war laut. Dann war das zu Ende. Wütend und schweigend wandten wir uns wieder unserem Abwasch zu. Wütend und schweigend stand sie hinter uns.

Schweigen.

Abwaschgeklapper.

Dann hörten wir hinter uns ihre Schritte in einer bestimmten Abfolge. Wir kennen diese Abfolge von Schritten ganz genau. So sollte man sich uns nicht von hinten nähern. Ganz bestimmt nicht.

Wir wirbelten herum. Unser Schlag traf sie noch im Sprung. Er traf sie recht hart. Sie war völlig verdutzt. Sie flog die erste Strecke, den Rest rutschte sie auf dem Boden. Dann stieß sie gegen die Küchenwand und blieb dort liegen.

Wir gingen zu ihr hinüber und sagten ihr:

„Das ist jetzt das dritte Mal, dass du mich angreifst. Ich habe dir gesagt, dass du das lassen sollst. Beim nächsten Mal werde ich dir den Arm brechen. Vielleicht hört das dann auf.“

 

Sie nickte schweigend.

Sie hat uns nie wieder angegriffen.

 

 

6

Wir waren damals vierzehn Jahre alt. Wir gingen von der Schule zu Fuß nach Hause. Unser Weg führte zwei Kilometer an einer sehr belebten Hauptstraße entlang. Wir waren tief in Gedanken versunken. Um uns herum war alles voller Leute. Irgendwann wurden wir von einem Klassenkameraden von hinten angesprochen:

„Oh Manno!“

Wir drehten uns fragend um. Wir verstanden nicht.

Da stand Martin, wie er leibte und lebte. Der war schon die ganze Zeit hinter uns gewesen – mal etwas weiter entfernt, mal etwas näher. Irgendwas schien ihm nicht zu gefallen.

„An dich kann man sich aber auch nie anschleichen!“ beschwerte er sich.

Wir verstanden nicht:

„Was?“

„Das ist jetzt schon das dritte Mal diese Woche, dass ich versuche, mich an dich anzuschleichen. Aber das geht einfach nicht!“

„Was?“

„Du drehst dich dauernd in jede Richtung um. Du hast deine Augen immer überall. Da ist es unmöglich, an dich heranzukommen.“

 

Das war uns bis dahin gar nicht aufgefallen.

 

 

7

Wir sind in einem Coachinggespräch. Schon seit vielen Jahren begleiten wir eine der größten Agenturen des Konzerns bei ihrer Entwicklung. Die beiden Geschäftsführer haben mich gebeten, mal mit einem ihrer Angestellten zu sprechen. Den wollen sie zum Leiter des Innendienstes machen. Sie wollen meine Meinung dazu wissen.

 

Wir kennen diesen Mann nicht. Er ist Ende zwanzig und wirkt sympathisch auf uns. Wir sind zu zweit in diesem Raum. Vertraulichkeit und Verschwiegenheit ist vereinbart – was immer er auch zu uns sagt: Wir geben es nur weiter, wenn er es freigibt.

 

Er berichtet von sich und seinem Leben. Was ihn ausmacht, wie er seine Zeit verbringt, was ihm wichtig ist … und so weiter. Wir hören ihm zu. Ab und zu stellen wir Fragen. Aber ansonsten hören wir zu und machen uns Notizen. (Selbstverständlich hat er das Recht, diese Notizen jederzeit einzusehen).

 

Schon nach wenigen Minuten ist uns klar, dass wir diesen Mann für geeignet halten. Wir haben den Eindruck, dass er mitbringt, was es braucht, um in dieser Agentur Führungskraft zu werden. Aber das Gespräch soll ja auch dazu dienen, dass er seine Themen ansprechen kann. Also weiter.

 

Er erzählt von seiner kleinen Familie – er hat geheiratet und ist zum ersten Mal Vater geworden.

Er erzählt vom Sport – er ist Schiedsrichter beim Fußball in einer höheren Liga, und diese Tätigkeit bedeutet ihm viel.

Er berichtet, er berichtet, er berichtet.

Und wir hören zu und schreiben mit. So, wie wir das immer tun.

Ein völlig normales Gespräch.

 

Dann legen wir plötzlich Block und Stift beiseite. Die Bilder, die wir wahrnehmen, sind einfach zu dicht. So geht das nicht weiter! Er schaut uns fragend an. Wir legen unsere Hände auf unsere Augen, so wie wir das immer tun, wenn wir unsere Bilder konzentriert anschauen und abrufen.

Er schweigt.

Wir schweigen.

Dann machen wir eine hilflose Geste. Wir wissen nicht, wie wir das, was wir sehen, kommunizieren sollen. Dann sagen wir:

„Das, was Sie hier sagen, das ergibt alles nur einen Sinn, wenn Sie randvoll mit Gewalt sind.“

Wir öffnen die Augen und schauen ihn an. Er sitzt mit ausdruckslosem Gesicht vor uns und sagt nichts.

Wir fahren fort:

„Wenn Sie so randvoll mit Gewalt sind, dass Sie manchmal aus nichts anderem zu bestehen scheinen.“

Er schaut uns ausdruckslos an und schweigt.

Wir fahren fort:

„Wenn Sie wollen, können Sie darüber reden. Sie müssen aber nicht. Ich sage das nur, damit Sie wissen, dass ich das sehe und dass ich nicht so tun werde, als würde ich das nicht sehen.“

In seine Gesichtszüge kommt etwas mehr Leben.

Wir fahren fort:

„Ich werde niemandem was davon sagen, denn ich habe nicht den Eindruck, dass Sie für irgendwen in der Agentur eine Gefahr sind.“

Er nickt kräftig, sagt aber nichts.

„… aber Sie sind so derart voller Gewalt, dass das weit über das übliche Maß hinaus geht.“

 

Er schweigt.

Wir schweigen.

Dann beginnt er zu erzählen.

 

Offenbar ist er noch nie auf diese Weise erkannt worden. In der Agentur weiß niemand was davon. Aber Gewalt ist wirklich sein Hauptproblem. Sie bricht immer wieder eruptiv aus ihm heraus, ohne dass er das steuern kann. Er wird dann für seine Familie und vor allem für seine Frau völlig fremd.

„Und dann?“ fragen wir ihn. „Was machen Sie dann?“

„Dann gehe ich ins Fitnessstudio.“

„Gute Idee. Was machen Sie da?“

Und er berichtet.

 

Aber das ist natürlich keine Lösung auf Dauer. Wir fragen ihn:

„Ist es ok für Sie, wenn wir uns anschauen, wo diese Gewalt herkommt?“

„Was meinen Sie damit?“

„So voller Gewalt wird niemand geboren. Diese Gewalt ist von außen in Sie hineingekommen – irgendwo auf Ihrem Lebensweg. Wenn Sie wollen, können wir einen Blick darauf werfen.“

 

Er erzählt. Wir hören zu und schreiben mit.

 

Er berichtet eine Begebenheit aus seiner Jugend. Er war bei anbrechender Dunkelheit mit seinem Skateboard unter dem Arm in einer übel beleumdeten Gegend von Frankfurt unterwegs. Er wollte nach Hause.

„Aus welchem Grund haben Sie diesen Weg genommen?“

„Das weiß ich nicht mehr.“

 

Er berichtet weiter:

Er wurde von fünf Jugendlichen gestellt. Alle älter und stärker als er.

„Wie haben die sich aufgestellt?“

„So im Halbkreis um mich herum. So vor mich.“ Er macht es mit den Händen vor.

„Wo stand der Wortführer?“

„Hier.“

Das leuchtet uns ein. Der Wortführer steht in solchen Situationen praktisch immer an derselben Stelle. Wir wissen auch nicht, warum.

Er berichtet weiter:

„Die wollten mein Skateboard.“

„Und?“

„Ich hab’s ihnen nicht gegeben.“

Wir ziehen die Augenbrauen hoch.

„Nicht?“

„Nein.“

„Erstaunlich. Aus welchem Grund?“

„Ich wollt’s ihnen nicht geben. Es war meins.“

„Vielleicht verstehe ich. Wie ging’s weiter?“

 

Er berichtet.

Die Angreifer hatten sich bedrohlich vor ihm aufgebaut. Der Rückweg nach hinten war noch offen, aber den günstigsten Moment zum Abhauen hatte er bereits verpasst. Und er war sicher, dass sie ihn in Ruhe gelassen hätten, wenn er ihnen ihr Skateboard gegeben hätte. Aber er entschied sich für den Angriff. Wieder ziehen wir die Augenbrauen hoch.

„Angriff?! In welche Richtung?“

„Direkt nach vorne.“

„Falsche Richtung.“

„Das weiß ich auch. Aber irgendwie wollte ich nach vorne durchbrechen.“

„Und wie?“

„Ich habe mein Skateboard als Waffe genutzt.“

„Können Sie mir das mal vormachen?“

Er macht es vor. Ja, er scheint was vom Kämpfen zu verstehen. Unsere Innenteile nicken zustimmend. So kann man das machen.

 

Er berichtet im Detail und ausführlich. Er wusste selber, dass er nur einen, maximal zwei Schläge hatte. (Prügeleien wie im Film, wo die Kontrahenten dutzende Schläge austeilen und einstecken, gibt es in der Realität nicht. Wenn du in so eine Situation gerätst, dann hast du in der Regel nur einen einzigen Schlag, wenn du durchbrechen willst. Und du musst immer nach rechts vorne ausbrechen, niemals nach vorne. Und wichtig ist, dass du entweder den Stärksten oder den Anführer ausschaltest mit deinem einen Schlag. Und so weiter. Kämpfer wissen das. Und so wusste er das auch alles. Wir mussten ihm nichts erklären).

 

Das Gespräch ging noch lange weiter.

Er berichtete im Detail, und wir hörten zu. Ein Kämpfer berichtete dem anderen. Er hatte den kompletten Kampf falsch angefasst und das in dem Moment auch selber gewusst. Aber ihm war bis zu diesem Tag nicht klar geworden, warum der das so gemacht hatte. Im Krankenhaus war er dann wieder zu sich gekommen – beide Arme und der Kiefer gebrochen … das Übliche halt.

 

Wir hatten nach seinem Bericht den Eindruck, dass Menschen, die andere Menschen vor allem als Gefahr erleben, einander erkennen.

 

 

Epilog

Die meisten Menschen, denen wir begegnen, scheinen im tiefsten Frieden zu leben. Für sie ist eine Gruppe Menschen in aller Regel einfach nur eine Gruppe Menschen. Da fühlen sie sich vielleicht etwas unwohl, aber sie spüren keinerlei Bedrohung.

 

Dann gibt es aber noch solche wie uns, die andere Erfahrungen gemacht haben, als sie noch ein Kind waren. - Zutiefst traumatisierende Erfahrungen.Für diese Menschen ist eine Gruppe anderer Menschen immer eine tödliche Gefahr.

 

Ob diese Menschen jemals in eine friedliche Welt finden können, das wissen wir bis heute nicht.

 

 

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