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Das Neurotypische Syndrom 31 – Wellness ist Hellness

Wenn ich mir anschaue, welche Situationen NTs aufsuchen, um sich wohlzufühlen und wie die Werbung aufgebaut ist, die auf den durchschnittlichen NT zielt, dann fällt mir immer wieder auf, dass sehr viele NTs gerne das zelebrieren, was man „Ein freundliches Fest für die Sinne“ nennen könnte. Wellness hier, Wellness da.

 

Düfte, Wohlgerüche, sanfte Farben, abgerundete Formen und Konturen, sanfte Musik und freundliche Klänge, behutsame taktile Reize … Harmonie, Behaglichkeit, Wohlfühlen und Wohlbefinden. – Wellness eben.

 

Die Mehrzahl der NTs gestaltet so ihre Wohnungen aus. Die meisten Hotels werben auf diese Weise um Kunden. Die großen Reisebüros werben vor allem mit Wellness. Bei den allermeisten Psychotherapeuten, die im Internet auf sich aufmerksam machen, fällt mir auf, dass hier ein freundliches Fest für die Sinne inszeniert wird: freundliche, sanfte Farben, flauschige Formen, harmonische Bilder. Die meisten Gärten sind so gestaltet – eine markante, intensive und freundliche Sinfonie für die Sinne.

Und so weiter.

Und so weiter.

 

Wenn ich mir eure Kochbücher anschaue …

Wenn ich durch eure Zeitschriften blättere …

Wenn ich mir anschaue, welche Bildschirmhintergründe ihr euch wählt …

Wenn ich mir die Restaurants anschaue, in die ihr so gerne geht …

Wenn ihr mir die Fotos auf euren Handys zeigt …

Wenn ich mir anschaue, was ihr unter einem „festlichen Abend“ versteht …

Selbst wenn ihr sowas schlichtes wie einen Stein fotografiert …

Und so weiter.

Und so weiter.

 

Liebe NTs, ich interviewe sehr viele von euch, um euch besser zu verstehen und kann mittlerweile nachvollziehen, dass für die Mehrzahl von euch das Paradies auf Erden ein freundliches Fest für die Sinne ist. – Harmonie von Farbe und Form. Düfte, die die Nase umschmeicheln. Wohlige Behaglichkeit. Sinfonien von Farben und Konturen, die harmonisch aufeinander abgestimmt sind, Klänge, die eine freundliche und harmonische Stimmung verbreiten … sanft, freundlich, angenehm, zugewandt.

 

Für mich geht das jedoch nicht.

Gar nicht!

Auf gar keinen Fall!

Wenn ich sowas ausgesetzt werde, dann werde ich wahnsinnig. Ich gehe kaputt.

Da, wo ihr seid, da kann ich nicht sein.

Da, wo ihr wohnt, da kann ich nicht wohnen, da kann ich mich höchstens aufhalten.

Da, wo ihr lebt, da kann ich nicht leben, da kann ich allenfalls überleben.

Da, wo ihr euch wohl fühlt, da ist für mich die Hölle auf Erden.

Ihr macht diesen Planeten unbewohnbar für mich.

Euer Wellness ist für mich Hellness – und umgekehrt.

 

Da ich bei meinen Interviews festgestellt habe, dass das für die meisten NTs völlig fremd, total unverständlich und geradezu schockierend ist, habe ich beschlossen, für euch mal auszuleuchten und aufzudröseln, warum wir die Welt so unterschiedlich erleben, und welche Folgen das für mich hat.

 

Um ein zentrales Ergebnis an dieser Stelle schon mal vorwegzunehmen:

Ich brauche es schlicht, schlicht, schlicht, schlicht, schlicht. In meiner Welt gilt: Alles, was nicht schlicht ist, ist zu viel, tut weh, macht krank und muss weg. Wenn du vor der Wahl stehst: Füge ich diesen Sinneseindruck noch hinzu oder lass ich ihn weg?, dann lass‘ ihn immer weg. Immer!

 

Schauen wir uns das mal an.

 

 

1

Vielleicht ist es dem einen oder anderen, der ein moderneres Auto fährt, schon mal aufgefallen:

Bei neueren Autos ist es häufig so, dass das Radio automatisch leiser (oder sogar auf stumm geschaltet) wird, wenn wir den Rückwärtsgang einlegen.

 

Warum werden Autos mit dieser Automatik ausgestattet?

 

Der Hintergrund ist dieser:

Wenn wir mit dem Auto rückwärts fahren, dann müssen wir sehr viel mehr von unserer Umgebung visuell aufnehmen als beim Vorwärtsfahren. Wir müssen nach hinten gucken, nach links hinten, nach rechts hinten … und so weiter.

Es sind also sehr viel mehr visuelle Eindrücke auf einmal zu verarbeiten als bei der simplen Fahrt nach vorne.

In solchen Situationen lenkt unser Gehirn automatisch alle Energie auf das visuelle System (auf den Teil des Gehirns, mit dem wir optische Eindrücke aufnehmen und verarbeiten).

 

Alles, was in so einer Situation auch die anderen Sinneskanäle fordert, kann in so einer Situation nur stören. Und tatsächlich ist das beim Menschen generell so:

Wenn etwas unsere volle Aufmerksamkeit fordert, dann sind wir kaum noch in der Lage, etwas anderes wahrzunehmen. Jeder andere Sinneseindruck stört dann nur und wird so gut wie möglich ausgeblendet. Dieses Ausblenden kostet jedoch enorme Energie und verursacht viel Stress.

 

Wen diese Zusammenhänge interessieren, der kann sich ja mal diesen Link von YouTube anschauen

 

https://www.youtube.com/watch?v=IGQmdoK_ZfY

 

 

2

Mein Beruf führt mich häufig in Hotels. Tagungshotels, Kongresshotels, Feld-, Wald- und Wiesenhotels.

Letztens war ich wieder in irgend so einem Nobelschuppen in einer noblen Stadt. Und da gab es Kaffee.

 

Normalerweise sage ich von mir: „Ich bin Kaffeeatheist. Ich glaube nicht an Kaffee.“ Daheim habe ich keinen Kaffee. Jedenfalls keinen Bohnenkaffee. Ich hab‘ für meine Kleinen ihren geliebten Caro-Kaffee, und den trinken wir aus schmucklosen Halbliterkrügen, wenn wir Bildschirmarbeiten zu machen haben. Aber ansonsten trinken wir nicht mal den.

 

Außer auf Flughäfen und in Hotels. Da trinken wir gerne mal einen Kaffee. Ich weiß auch nicht, warum.

Auf jeden Fall – in diesem Hotel gab es so eine moderne Kaffeeschmiede. Irgendwelche seltsam angezogenen und frisierten jungen Menschen standen hinter einer Art hölzernen Bar. Da gab’s Kaffee, sonst nichts. Dafür gab’s Kaffee in gefühlt 258 verschiedenen Varianten. Keine Ahnung, auf welche Gipfel es die Kaffeekultur noch treiben wird. Nach allem, was ich höre, gibt’s da noch Luft nach oben. – Und wer weiß, vielleicht reden wir in zehn Jahren von 700 verschiedenen Arten, wie man Kaffee zubereiten und trinken kann.

 

Einen Kaffee also. Wollten meine Kleinen haben. Sollten sie kriegen. Also gingen wir zu einem dieser Konquistadoren, Makaken oder Baristas, oder wie diese Leute auf Neudeutsch jetzt heißen und orderten richtig weltmännisch einen „Latte Macchiato“. (Wenn wir gesagt hätten, was unsere Kleinen verlangt hatten, nämlich „diesen Kaffee aus den großen Gläsern mit ganz viel Milch und ganz wenig Kaffee“, dann hätten sie uns vermutlich nicht verstanden).

 

Und dann begann dieser Konquistador das Hochamt des zeitgenössischen Kaffees zu zelebrieren. Er zündete Räucherwerk an, murmelte geheime, heilige Formeln und dankte den Göttern der Kaffeebohnen. Dann weihte er den Geistern des vollendeten Aromas seine unsterbliche Seele und vollzog an dieser riesigen Kaffeemaschine all die sakralen und hochgeheimen Rituale, die nur echte Konquistadoren beherrschen.

Wir staunten und dachten nur:

„Wenn die hier jetzt auch noch rituell einen Pfau schlachten oder anfangen, die Geister der Ahnen anzurufen, dann gehen wir aber – Kaffee oder nicht.“

 

Während unser Konquistador sich an der Kaffeemaschine abmühte, sahen wir zu, wie der Frau, die neben uns stand, feierlich ihre heilige Kaffeekreation überreicht wurde. Die bekam eine recht große Tasse mit fast schwarzem Kaffee, auf dem dampfend irgendein braunes Geschäum trieb. Dann griff der ihr zugeordnete Konquistador mit großer Geste zu einem silbernen Kännchen, aus dem er aufgeschäumte Milch oder sowas in diese Tasse laufen ließ. Wir dachten: Wir sehen nicht recht!

 

Wir sahen aber recht:

Mit dieser Milch malte der Konquistador ein Eichenblatt auf dieses Kaffeegeschäum. Die Frau war restlos begeistert. Wir waren restlos abgestoßen. Das sollte Kaffee werden, nicht irgendein Gemälde! Warum um alles in der Welt malen sich Menschen Bilder auf ihren Kaffee?!

 

Wir brauchen es schlicht. Schlicht, schlicht, schlicht. Wir brauchen es überall schlicht. Wir ertragen es nicht, wenn Schlichtes unschlicht wird. Kaffee ist Kaffee und nicht irgendein Gemälde.

 

Wir wollen keinem Konquistador und keinem Barista zu nahe treten – und den Makaken schon gar nicht. Es ist sicher hohe Kunst, was sie da treiben und aller Ehren wert. Es ist wunderbar, wenn sie Dinge tun, die ihre Kunden begeistern. – Und die Frau, die neben uns stand, die war begeistert. Und wie!

 

Aber wir leben augenscheinlich in einer anderen Welt. In einer ganz anderen Welt.

 

Wenn wir Kaffee trinken, dann tun wir das wegen des Geruchs und wegen des Geschmacks. Wir sind dann voll darauf konzentriert. Wir riechen den Kaffee und wir schmecken den Kaffee – und sonst nichts. Gar nichts!

 

Wir sorgen immer dafür, dass wir diesen Kaffee völlig ungestört trinken können. Wir wollen dabei nicht reden müssen, wir wollen auch nichts hören müssen. Wir wollen uns allein auf diesen Kaffee konzentrieren können.

 

Wir wollen auch nicht optisch abgelenkt werden. Wir wollen dann ganz und gar Kaffee sein und sonst gar nichts.

 

 

3

Ähnlich verhält es sich bei uns auch mit allen anderen Sinneseindrücken:

 

Wenn wir uns Filme anschauen, bei denen vor allem Landschaft zu sehen ist, dann können die Filmemacher es meist nicht lassen – sie müssen Musik da reinrühren! Wir stellen dann immer genervt den Ton leise oder ganz ab. Wie sollen wir uns denn auf die Wahrnehmung einer Landschaft konzentrieren können, wenn da im Hintergrund irgendeine Dudel-Dudel-Musik läuft?!

 

Wenn wir ein Musikstück hören, das uns viel bedeutet, dann schauen wir, dass wir auf YouTube einen Kanal finden, der es uns ermöglicht, jedes Instrument einzeln zu hören. Es gibt da immer wieder Enthusiasten, die zum Beispiel bei einer Band, die aus einem Schlagzeug, einem Bass und zwei Gitarren besteht, jede der vier Tonspuren einzeln vorstellen. Wie sollen wir uns auf den Basslauf in einem Lied konzentrieren, wenn gleichzeitig noch die anderen Tonspuren dabei sind?

 

Manchmal stehen wir lange im herbstlichen Wald und riechen einfach nur, was es da zu riechen gibt. Das machen wir nur, wenn wir ungestört sind, Stöpsel in den Ohren haben und ungefährdet die Augen schließen können. Was es da alles zu riechen gibt! Aber wenn akustische oder optische Reize das überlagern, dann kriegen wir das gar nicht so differenziert mit.

 

 

4

Es geht bei uns also vor allem um Konzentration, ums Da sein. Wir wollen da sein, wir wollen voll da sein, wir wollen wahrnehmen, was ist. Nach allem, was wir bis jetzt von euch wissen, konzentrieren wir uns dabei in einer Art und in einer Totalität, die den allermeisten von euch völlig fremd ist. Die allermeisten von euch kommen nicht mal in die Nähe unserer Konzentrationsfähigkeit und unserer Fokussiertheit.

 

Was für euch ein „freundliches Fest für die Sinne“ ist, ist für uns ausnahmslos immer ein Multimediaangriff auf alle Sinne gleichzeitig: Eine Kakophonie aus Gebrüll für die Augen, Gebrüll für die Nase, Gebrüll für den Tastsinn, Gebrüll für die Ohren. Es ist uns immer viel, viel, viel, viel zu viel. (Für die Puristen unter euch: Ihr dürft in den letzten Satz noch 43 „viel“ einfügen, um es vollständig zu machen).

 

 

5

Wir brauchen es schlicht.

 

Wenn du uns einen Satz gesagt hast, dann gib uns bitte ein paar Sekunden bis ein paar Minuten Zeit, ihn wirklich zu hören und zu verstehen. Dieser Satz muss in uns nachklingen und nachschwingen können, sonst ist es uns unmöglich, ihn wirklich vollständig und in aller Tiefe zu verstehen.

 

Wenn wir was gesagt haben, dann brabbel nicht sofort drauflos, was dir alles dazu einfällt. Sei still. Lass unseren eigenen Satz in uns nachklingen, damit wir ihn nochmal hören können. Lass uns ihn noch ein paarmal innerlich hören. Vielleicht sind wir erschrocken über Nuancen, die wir heraushören, wenn wir gesprochen haben. Vielleicht haben wir ein paar seiner Dimensionen gar nicht richtig verstanden. Vielleicht haben wir den Eindruck, dass einiges mitschwingt, was wir uns noch genauer anschauen müssen.

 

Ein Gespräch ist für uns dann schlicht, wenn das gesagt wird, was unbedingt gesagt werden muss und der weitaus größte Teil des Gespräches aus Stille bzw. Schweigen besteht.

 

Wenn du in deiner Wohnung eine Wand hast, die mit Tapete beklebt ist – lass sie so. (Vorausgesetzt, dass die Tapete kein Muster hat, versteht sich. Falls sie ein Muster hat, mach‘ es weg!) Tapete ist völlig ausreichend. Es gibt allein in der Tapete so viel zu sehen! Häng bloß nicht noch ein Bild oder sowas da hin! Bild ist Gebrüll für die Augen. Bild ist tosendes Geschrei, das nicht endet. Ein Bild an der Wand ist für uns immer viel zu laut. Auch die Fotos deiner Lieben und dieser tolle Sonnenuntergang vom letzten Urlaub – bitte häng das nicht an die Wand! Es ist für uns bestenfalls eine schwere Belastung, schlimmstenfalls unerträglich, wenn wir sowas wahrnehmen müssen. Eine Wand ist bitte schlicht und einfach eine Wand.

 

Wenn du in deiner Wohnung noch einen freien Platz findest - auf einem Simms, einem Möbelstück, einem elektrischen Gerät – lass ihn frei! Ich weiß, dass diese tolle blaue Muschel und dieses weiße Einhorn aus Porzellan und dieser durchkomponierte Blumenstrauß sich da so gut machen würden. Lass die freien Stellen frei. Glaub‘ mir – für mich ist diese Wohnung auch so schon voll genug … sehr wahrscheinlich ist sie mir jetzt schon viel zu voll.

Deckchen (am besten mit Spitze), Nippeskram, Andenken, Steine, Schmuckgeschirr, Zierkissen, Wandschmuck, tickende Großuhren … es gibt so viele Möglichkeiten, aus einer Wohnung ein für uns unbewohnbares Behältnis des nicht endenden Getöses und Gebrülls zu machen.

 

Wenn du irgendein Reinigungsmittel nutzt – Seife, Geschirrspülmittel, Waschmittel etc. … muss da unbedingt irgendein aufdringlicher, durch nichts zu vertreibender Geruch dabei sein?

Was für dich „Duft“ ist, ist für uns „Gebrüll für die Nase“. Warum kann Seife nicht schlicht und einfach Seife sein und schlicht und einfach nur nach Seife riechen?

 

Wenn du das Haus verlässt – musst du dich dann eindieseln, dass du eine dreihundert Meter lange Duftschleppe hinter dir herziehst? Was ist so furchtbar an dir, dass du nicht schlicht und einfach nur nach dir selber riechen kannst? Stinkst du derart, dass du das unbedingt mit Gebrüll für die Nase übertönen musst?

 

Wenn du Geschirr aus Porzellan nutzt – musst du dann unbedingt farbige Muster, Ornamente und Bilder draufmalen? Kann das Geschirr nicht schlicht und einfach Geschirr sein? Muss es auch immer noch ein Gemälde oder ein Muster sein?

 

Wenn du Möbel hast …

 

Wenn du einen Fußboden in deiner Wohnung hast …

 

Und so weiter.

Wir könnten das jetzt noch sehr viel weiter ausführen, aber wir denken, dass das Muster klar geworden ist.

 

 

6

Wenn du also überlegst, uns in eine Umgebung zu bringen, in der deine Sinne freundlich angeregt werden – lass es sein. Für uns ist das die Hölle.

 

Wenn du also überlegst, einen zusätzlichen Sinneseindruck in unser Leben zu bringen: Im Zweifelsfall lass es lieber sein. (Und wenn ich länger über diesen Satz nachdenke: Lass es auch dann sein, wenn es für dich kein Zweifelsfall ist. Wenn du es irgendwie bewerkstelligen kannst, bring außer dir keinen einzigen weiteren Sinneseindruck in unser Leben. Lass alles weg, was nicht absolut erforderlich ist).

 

Für uns ist es da ideal, wo es für dich so trostlos und so karg ist, dass du direkt verzweifeln und depressiv werden möchtest. Ganz besonders dann, wenn du ein empfindsamer und feinfühliger NT bist, der sich gerne an einem „freundlichen Fest für die Sinne“ labt.

 

Für dich ist unsere Wohlfühlumgebung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit öde, leer, trist, traurig, sterbenslangweilig und fade. Du willst (sehr wahrscheinlich) unbedingt da weg, wo es so ist, dass wir uns wohlfühlen.

 

Damit können wir gut leben.

Wir wollen ja auch unbedingt da weg, wo du dich wohlfühlst.

 

So hat jeder seins.

 

Dein Wellness ist für uns also Hellness- und umgekehrt. Wir könnten sehr gut damit leben, wenn ihr uns euers nicht immer so distanzlos, rücksichtslos und aggressiv aufdrängen würdet, weil ihr in der euch eigenen Beschränktheit so häufig davon ausgeht, das ausnahmslos jeder so empfindet wie ihr.

 

 

7

Diesem fundamentalen Unterschied zwischen uns beiden liegt ein einfaches Naturgesetz zugrunde, das heute eines der grundlegendsten Gesetze der Physik ist.

 

Vielleicht kann ich dir das mit ein paar Bildern verdeutlichen:

Stell dir vor, es gibt in einem Haus zwei Räume, die durch eine lichtdichte Tür getrennt sind. In dem einen Raum lebt ein Wesen, das es liebt, wenn es hell ist, wenn die Sonne hereinflutet und alles farbig glitzert. Dunkelheit ist für dieses Wesen das reine Gift. In diesem Raum sieht es dementsprechend aus.

In dem anderen Raum lebt ein Wesen, das die Dunkelheit braucht, um leben zu können. Lichtdurchflutet und farbig glitzernd – das ist für dieses Wesen das reine Gift. In diesem Raum ist es dementsprechend dunkel.

 

Was passiert jetzt, wenn du die Tür zwischen diesen beiden Räumen öffnest?

Fließt die Helligkeit in den dunklen Raum oder die Dunkelheit in den hellen Raum?

Für welches dieser beiden Wesen ist es dann ein Schock?

Welches dieser beiden Wesen leidet dann?

Welches dieser beiden Wesen fährt entsetzt in die hinterste Ecke seines Raumes zurück, um sich irgendwie zu schützen?

 

Jetzt stellen wir uns dasselbe mit Schall vor:

In einem Haus gibt es zwei Räume, die durch eine schalldichte Tür getrennt sind. In dem einen Raum lebt ein Wesen, bei dem immer kling-klang-beng-baleng sein muss. Irgendein Geräusch ist immer, denn dieses Wesen stirbt, wenn es vollkommen still ist.

In dem anderen Raum lebt ein Wesen, das die Stille so nötig braucht wie die Luft zum Atmen. Dementsprechend still ist es in diesem Raum immer.

Jetzt entfernst du die Tür und bringst die beiden Räume in unmittelbaren Kontakt. Was passiert?

Fließt die Stille in den lauten Raum, so dass er immer stiller wird?

Oder fließt der Lärm in stillen Raum, so dass er immer lauter wird?

 

Das gleiche funktioniert auch mit Geruch:

In dem einen Raum wohnt ein Wesen, bei dem muss es immer riechen wie in einer Parfümerie.

In dem anderen Raum lebt ein Wesen, das versucht, alle künstlichen Gerüche zu vermeiden.

Ich bin sicher, dass du weißt, was passiert, wenn man die geruchsdichte Tür zwischen diesen beiden Räumen entfernt.

 

Es ist eines der grundlegendsten physikalischen Gesetze, dass es sich so verhält.

 

Wenn hundert Menschen zusammen sind, und die sind vollkommen still, dann reicht ein einziger, der Knallfrösche anzündet, und die Stille ist restlos zerstört.

Wenn hundert Menschen zusammen sind, und gemeinsam Knallfrösche anzünden, dann ändert ein einziger, der das nicht tut, nicht das geringste an diesem Krach.

 

Wenn hundert Menschen in einem Raum sind, der völlig dunkel ist, dann reicht ein einziger Mensch, der da seine lichtstarke Taschenlampe anmacht, und es ist hell.

Wenn hundert Menschen mit lichtstarken Taschenlampen in einem Raum sind, dann ist dieser Raum hell erleuchtet. Wenn ein einziger Mensch seine Taschenlampe ausmacht, dann ist es trotzdem weiterhin hell.

 

Und so weiter.

Ich denke, das Muster ist klar geworden.

 

 

Zusammenfassung

Ich als Autist mache also die Welt nicht für euch unbewohnbar, indem ich so in der Welt bin, wie ich es eben bin.

Aber ihr NTs macht die Welt für mich unbewohnbar, indem ihr so in der Welt seid, wie ihr es eben seid.

Und das ist ein Riesenunterschied!

 

Es ist ein Naturgesetz.

Ich kann’s auch nicht ändern.

Aber ich kann’s euch an dieser Stelle immerhin mitteilen.

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Kommentare: 1
  • #1

    Fischer (Samstag, 28 Januar 2023 22:51)

    Schwarz und Weiß... Frauen können so selbst als Autist auch nicht immer komplett sein. Zumindest die Allerwenigsten. Eher ein farbiges Grau, teils Pastell. Zwischen den Welten, nie wirklich ND nie wirklich NT. Nie nur in Dunkelheit, nie nur Helligkeit. Natürlich gibt es viele Schattierungen. Wenn der eine absolute Klarheit der Dinge benötigt, weil seine Wahrnehmung komplett hypersensibel auf allen Ebenen ist, egal durch was hervorgerufen. Ich kann das gut verstehen. Selbst jedoch würde ich mich als Wanderin zwischen den Welten bezeichnen. Nie dort noch dort, mit einer fest eingewickelt Decke des Kreativen divergenten Denkens die warm und kuschelig ganz sanft einen umschmiegt. Aber, so man nicht auf den Weg achtet, der Stress überwiegt, sich selbst vergisst und nur handelt, dann werden diese Wanderwege zu rutschigen Partien nach deren Begehung man erschöpft zu Boden sinkt. Dann wendet man sich der einen oder der anderen Seite zu, zwischen diesen Welten und versucht sie wieder zum Einklang zu bringen. Es wird, es dauert, es braucht Zeit. Definitiv würde ich mich als Lichtmensch bezeichnen aber oft braucht der Geist die Dunkelheit zur Entspannung. Sinkt die Erschöpfung, steht man auf und beginnt die Wanderung vom Neuen. Denn weder dort noch dort kann man wirklich lange sein. Zuviel bietet dies Welt an Schönheit und natürlicher Harmonie.
    Der Blog legt den Leidensweg dar. Das sich selbst Finden, nach vielen erschütternden Erlebnissen. Ich bin froh, dass Sie Ihren Weg gefunden haben und wenn dieser reine Klarheit der Dinge benötigt, Stille und Rückzug, dann ist das ja auch so. Seelen müssen heilen dürfen und es braucht Zeit. Besonders schön fand ich den Blick zu den Sternen. Das wieder anfangen alter Interessen. Unsere inneren Kleinen nicht zu vergessen. Die vielen Seiten unseres Wesens.
    Die meisten Menschen, egal ob Trauma oder nicht, sind sich dessen nicht bewusst. Der Vielfältigkeit in sich selbst. Sie legen es sehr gut dar.
    MfG