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Sei dankbar

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Eat what you’re given

Eat what you get

Eat what you’re given

Eat what you get

And be thankful what you get

 

Instead he screams for more!

 

Zitiert nach einer Band, die zu ihrer Zeit vergleichsweise bekannt war.

 

 

Und für empfindsame und berührbare Seelen: Achtung bitte – auch das hier kann mal wieder triggernd sein.

***

 

 

Eine der Hauptantriebsfedern in meinem Leben ist, dass ich mich nicht abfinde. Immer schon. Das durchzieht mein ganzes Leben mit der Stärke von ruhig fließendem Wasser: Wenn du dich in die Mitte eines Flusses stellst, der so tief ist, dass dir das Wasser bis über die Knie reicht – so stark wie dieses Wasser an dir zieht, so stark zieht es an mir, dass ich mich nicht abfinden soll. Immer schon. Mein ganzes Leben lang.

 

Und sehr oft habe ich den Eindruck, dass das einer der Hauptaspekte ist, der mich von anderen Menschen unterscheidet:

Ich finde mich nicht ab. Ich finde mich nicht ab mit dem, was sie mir an Leben zugeteilt haben. Ich finde mich nicht ab, mit dem, was sie mir an Lebensfreude, Lebenszufriedenheit und Lebenslust zugeteilt haben – auf gar keinen Fall! Das kann nicht alles gewesen sein. Da muss es noch mehr geben!

Ich finde mich nicht ab!

 

Damit hier kein falscher Zungenschlag reinkommt – gleich zu Beginn des Textes eine Klarstellung:

Dieses „Ich finde mich nicht ab!“ bezieht sich nicht auf das Außen. Es geht nicht darum, dass die Welt nicht so ist, wie ich sie gerne hätte (friedvoll, mit intakter Umwelt und schuldenfreien Staaten, die alle nicht über ihre Verhältnisse leben etc.). Es geht darum, wie es in mir aussieht. 

 

Bei den allermeisten Menschen, die ich kenne, ist es so:

Wenn sie feststellen, dass etwas in ihnen nicht so ist, wie es sein sollte, dann wenden sie sich reflexhaft nach außen und suchen im Außen die Lösungen und Veränderungen, die sie nur in sich finden können.

 

Beispiele:

 

1

Ich bin mit meiner Beziehung extrem unzufrieden.

Reflex: Ich trenne mich und suche mir einen neuen Partner.

Ergebnis: Ich erlebe mit dem neuen Partner das Alte anstatt mit dem alten das Neue.

 

2

Ich bin unglücklich

Reflex: Ich suche im Außen nach einer Ablenkung.

Ergebnis: Das Problem, das zu meinem Unglücklichsein führte, ist nicht gelöst, sondern nur vertagt.

 

3

Ich habe den Eindruck, dass mein Leben irgendwie leer, sinnlos, öde und vergebens ist.

Reflex: Ich wende mich nach außen und suche mir eine neue Aufgabe, ein neues Hobby, einen neuen Job, eine neue Wohnung oder irgendwas, wo ich mich selbst verwirklichen kann.

Ergebnis: Mein Leben ist in einer anderen Version irgendwie leer, sinnlos, öde und vergebens.

 

 

Das sollen erst mal genug Beispiele sein. Ich denke, dass hinreichend klar geworden ist, was ich meine.

Also:

Wenn ich in diesem Text davon schreibe, dass ich mich nicht abfinden will, dann bezieht sich das immer auf mein Inneres. Natürlich gibt es auch in meinem Außen Dinge, die ich ändern muss. Aber meine Erfahrung ist, dass sich das alles ziemlich automatisch und ziemlich leicht findet, wenn ich die entsprechenden Veränderungen in meinem Innen angestoßen habe.

 

 

Als ich sechzehn Jahre alt war, beschloss ich von einem Tag auf den anderen, mein Leben in die eigene Hand zu nehmen. Regelmäßige Leser meines Blogs wissen, dass es da nicht mehr viel gab, was in die Hand zu nehmen gewesen wäre. Meine leiblichen Eltern hatten mein Leben derart gründlich und derart total zerstört, dass meine Seele und mein Leben permanent an einem seidenen Faden baumelten (Sprachbild). Mein Leben war permanent extrem gefährdet. Das ging Tag und Nacht so, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jedes Jahr. Ich kannte es nicht anders, und es sollte tatsächlich Jahre dauern, bis es mir durch unermüdliche Arbeit allmählich gelang, das Ruder langsam (gaaaaanz langsam) herumzuwerfen.

 

Tatsächlich war das über Jahrzehnte meine Haupttätigkeit: Das Leben irgendwie so gestalten, dass es sich lohnt, das auch zu leben. Das Leben so zu gestalten, dass ich gerne lebe und nicht deshalb, weil sich das irgendwie so ergibt, da ich nicht den Mut habe, mich selbst zu töten.

 

Ich habe nebenbei das Abitur gemacht. Ich habe nebenbei studiert. Ich habe nebenbei meine ersten Schritte im Berufsleben gemacht. Meine Haupttätigkeit war: Wirf das Ruder herum und lebe ein Leben, das zu leben sich auch lohnt. Gestalte dein Leben so, dass du gerne lebst. 

 

Und dann gab’s da noch die ganzen abgestumpften und stupiden Schafe, die mir in mein Leben hineinblökten, weil ich sie ließ und sie vielleicht auch noch dazu ermutigte:

 

„Da kann man nichts machen. Finde dich damit ab.“

 

„Lebenszufriedenheit besteht darin, dass man dankbar ist für das, was man hat.“

 

„Man muss das Vergangene hinter sich lassen. Schau nach vorne. Du kannst doch nicht für alles deine Eltern verantwortlich machen!“

 

„Das geht alles, wenn du nur willst. Es ist alles nur eine Frage der Einstellung. Und deine Einstellung bestimmst du selber und sonst niemand.“

 

„Sie sind so schwer geschädigt, das kann man nicht heilen. Glauben Sie mir – ich hab‘ da Erfahrung. In der ganzen Literatur ist kein Fall beschrieben, in dem man sowas hätte heilen können. Alles, was sie tun können, ist sich damit abzufinden und ihr Leben so gut wie möglich irgendwie drumrum (um die Schädigung) zu bauen.“

 

„Ich beklagte mich darüber, dass ich keine Schuhe hatte, bis ich auf jemanden traf, der keine Füße hatte.“

 

„Du denkst und grübelst zuviel. Wer zuviel zweifelt, verzweifelt. Hör auf zu denken und lebe einfach.“

 

„Du entscheidest selber, wie du lebst. Wenn du unglücklich bist, dann hast du die falschen Entscheidungen getroffen.“

 

 

Und so weiter, und so weiter.

 

Und so weiter.

 

Und so weiter.

 

Wie gesagt:

Abgestumpfte und stupide Schafe. Natürlich waren es keine Schafe, die sich mir gegenüber so äußerten, sondern Menschen mit Sehsüchten, Bedürfnissen, Ängsten, Erfahrungen etc. Aber wenn ich aus meiner Lebensgeschichte eine Fabel machen müsste, dann kämen in dieser Fabel haufenweise abgestumpfte und stupide Schafe vor, die irgendeinen Mist vor sich hinblöken, um ihr eigenes Leid, ihre eigene Not, ihr eigenes inneres Elend nicht mehr so stark spüren zu müssen.

Abgestumpft.

Stupide.

Blöd.

Blök, blök, blök, blök, blök, blök, blök!

 

Wenn ich das, was diese Schafe sich da zusammenblökten, eindampfte auf die Kernaussagen, dann kam immer dasselbe dabei heraus:

 

1

Sei dankbar für das, was du bekommen hast. – Das, was du bekommen hast, ist ein kostbares und einzigartiges Geschenk. Sobald du lernst, dieses Geschenk richtig zu würdigen, geht es dir dauerhaft besser.

 

2

Wenn es dir schlecht geht, dann bist allein du schuld und niemand sonst. Du hast es selber in der Hand, wie es dir geht.

 

3

Mehr gibt’s nicht. Es gibt auch nichts anderes. Finde dich ab mit dem, was du hast und lebe damit. Das ist dein Leben – viel Spaß damit.

 

 

Mir war aber immer schon klar, dass das, was sie mir da als „Leben“ vorgesetzt hatten, in Wirklichkeit zehn Tonnen Scheiße waren. Und nein, sowas esse ich nicht. Und nein, dafür bin ich auch nicht dankbar. Und doch – es muss noch was anderes geben! Es muss!

 

Aber wo?

Und wie dahin kommen?

 

Es ist natürlich problematisch, wenn du in so einer Situation bist und dich dann nach Menschen umschaust, die ein Leben leben, das zu leben sich lohnt, weil du von ihnen lernen willst und dann …

 

… nicht einen einzigen findest. Nicht einen einzigen!

 

Bis heute bin ich noch nie einem Menschen begegnet, bei dem ich den Eindruck habe, dass er ein Leben lebt, wie ich es gerne leben würde. Nicht mal im Ansatz.

Das bedeutet nicht, dass die Menschen, denen ich begegne, ein schlechtes Leben leben. Wenn sie gerne so leben: Bitte sehr. Macht nur.

Aber ich will bitte keinen Anteil an diesem Leben haben müssen. Auf gar keinen Fall! Auf überhaupt gar keinen Fall!!

Oder wie ich mal einem Psychiater spontan sagte, der mir ungefragt anbot, mir zu „helfen“:

„So zu leben wie Sie – so stelle ich mir die Hölle vor.“

 

Ich hatte also niemals Vorbilder – weder im realen Leben noch irgendwo in der überlieferten Geschichte oder in der Kunst (Filme, Geschichten, Legenden, Religionsstifter etc.). Egal, wo ich hinschaute, egal, wo ich suchte: Nichts, nichts, nichts.

 

 

Natürlich habe ich von sehr vielen Menschen sehr viele sehr nützliche Hinweise bekommen. Ohne diese Menschen und ihre zahllosen Hinweise wäre ich nie dorthin gekommen, wo ich heute bin. Dafür bin ich diesen Menschen zutiefst dankbar.

Aber alle diese Menschen waren für mich die typischen „Wegweiser.“

Was ist typisch für einen „Wegweiser“?

Er weist den Weg, aber er geht ihn nicht selber.

 

 

Was ist also mein Resümée aus alldem?

Vielleicht dieses:

 

Es gibt ein Leben, das zu leben sich lohnt. Und das gibt es wohl für so ziemlich jeden, egal, welches Schicksal er hatte. Die Tür zu diesem Leben führt aber nicht nach außen. Sie führt nach innen.

 

Und wenn sie dir zehn Tonnen Scheiße als Leben anbieten und dir sagen, dass du das essen sollst – was anderes gibt es nicht – und dass du gefälligst dankbar dafür sein sollst:

Nein, du darfst das ablehnen. Und dankbar brauchst du für diese Scheiße auch nicht zu sein.

Und ja, es gibt auch noch was anderes.

 

Du brauchst dich also nicht abzufinden mit dem, was sie dir als „Leben“ zugeteilt haben.

Du darfst dich nach einem Leben sehnen, das zu leben sich lohnt. Du darfst dich von dieser Sehnsucht ziehen, leiten und steuern lassen. Wenn du innen suchst, dann kannst du dieses Leben möglicherweise finden. Wenn du außen suchst, dann kannst du es ganz sicher nicht finden.

 

Alles, was du für ein solches Leben brauchst, findest du in deinem Herzen. Du findest es dort, oder du findest es nirgends.

 

Und wenn sich jemand auf diesen Weg machen will oder schon auf diesem Weg befindet:

Meine besten Wünsche begleiten dich.

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Kommentare: 1
  • #1

    Fischer (Samstag, 31 Dezember 2022 19:02)

    Zum Jahresausklang sind Sie nochmals ziemlich gut drauf, meine Hochachtung!
    Wie alles ist es ein Selbstempfinden und Selbsterkenntnis. So manches Päckchen sollte man nicht tragen. Aber genau hier ist eine ruhige Aussage anders. Für mich war Famie immer Halt, den die Welt nicht geben konnte. Sicherheit, Spaß und Schabernack mit Humor gepfeffert. Persönlich ereilt das Schicksal einen manchmal in der ungünstigsten Form. Es lässt einen zurück ohne Hilfe. Also muss man schwimmen. Egal wie, denn alles andere wäre untergehen bis Land in Sicht ist. Es gibt kein Boot, den sicheren Hafen zum verschnaufen, muss man selbst erreichen. Geht es der Familie dann langsam besser und findet sich so mancher Freigeist langsam nach vielen Irrwegen, dann kann man selbst etwas verschnaufen und Durchatmen. Warum erst dann? Familie ist so ein Ding, sie bleibt einem erhalten bis man selbst ins Gras beißt! Egal wieviel man sich Mühe gibt es zu vermeiden. Hatte man also selbst eine schöne familiäre Kindheit, ist man selbst bemüht dies auch gerne weiter zu geben. Denn es gibt nichts schöneres und ehrlicheres als so ein befreites inneres Lachen bei den Deinen zu sehen. Aber halt die Irrwege der Liebsten... können einen wahrlich zum Wah...... treiben.
    Einen guten letzten Gruß zum Jahresschluss an so manchen Dicknüschel auf dem eigenen Lebensweg der Findung. ^^}