Einer der vielen Vorzüge, die die Frau auszeichnen, mit der ich de jure verheiratet bin, ist, dass ich sehr viel von ihr lerne, und dass sie mich ständig trainiert.
Zum Beispiel:
Bei meinem Arbeitgeber gelte ich als hervorragender Managementtrainer. Immer wieder werde ich gefragt, was ein Trainer tun muss, um so gut zu werden wie ich. Wahrheitsgemäß antworte ich dann:
„Heirate eine Frau wie meine.“
Was meine ich damit?
Die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, hat einen sprachlichen IQ, der meinen deutlich übertrifft. Das ist ganz offiziell gemessen worden und bestätigt sich im alltäglichen Leben immer wieder: In Sachen Sprache macht dieser Frau niemand was vor.
Gleichzeitig ist sie einer der manipulativsten Menschen, denen ich je begegnet bin. Dass sie irgendein Kommunikationsangebot macht, das wirklich manipulationsfrei ist, kommt nach meiner Erfahrung praktisch nicht vor. Aber jemandem, der sprachlich so gescheit und so geschickt ist, auf die Schliche zu kommen, wenn er manipuliert – das ist wirklich nicht einfach.
Vor fast 40 Jahren habe ich dann angefangen zu zählen und zu sichten und stellte fest: Sie beherrscht insgesamt 33 Manipulationstechniken. Die beherrscht sie aus dem effeff und sie setzt sie sehr virtuos ein.
Und dann begann ein jahrzehntelanger Trainingsmarathon: Ich nahm mir Stück für Stück ihre Manipulationstechniken vor, dekonstruierte sie, entwickelte Gegenmaßnahmen und übte sie ein. Es versetzte sie immer in Panik, wenn sie merkte, dass eine Manipulationstechnik „verbraucht“ war, und sie verschärfte das Tempo und erhöhte den Einsatz. Jahrelang war das wie ein Schachspiel: Sie machte einen Zug – irgendeinen – und ich konnte wieder rätseln, was das wieder für eine Technik gewesen war … ich spürte genau, dass irgendwas an ihrem Kommunikationsangebot nicht stimmte, ich wusste aber nicht, was. Nie in meinem Leben bin ich in dieser Sache einem überlegeneren Gegner begegnet.
Mit den Jahren wurde ich besser, und irgendwann war ich soweit, dass ich wusste:
Ich kann all‘ ihre 33 Techniken erkennen und aushebeln, egal in welcher Intensität sie angewandt werden und egal, wie sie von ihr getarnt werden.
Wenn du jahrzehntelang auf diese Weise von der besten Trainerin, die es gibt, gedrillt wirst – buchstäblich jeden Tag, dann ist auch das schwierigste Managementtraining für dich irgendwann nicht mehr als ein Spaziergang im Stadtpark an einem lauen Spätsommerabend.
Das ist also ein Tipp, Leute – wollt ihr als Managementtrainer richtig gut werden, dann holt euch jemanden in euer Leben, der euch erbarmungslos drillt, Manipulationstechniken zu erkennen und auszuhebeln. Ihr werdet sehen – wenn ihr all‘ diese Techniken durch habt: Da kommt nichts neues mehr. Ihr könnt auch den schwierigsten kommunikativen Situationen völlig gelassen entgegensehen.
Ich lerne also viel von der Frau, mit der ich de jure verheiratet bin. Beinahe jeder Tag bringt neues.
Heute empfing mich ein Schwall von Musik, als ich morgens in den Wohnraum kam. Die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, saß am Schreibtisch und machte da irgendwas, und alles war durchwoben von Musik.
Also nahm ich meinen Ohrenschützer von Moldex und setzte ihn auf. Stille umfing mich. Ich konnte wieder klar denken und begann mein Tagewerk.
Die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, wedelte mit den Armen, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Als ich zu ihr rüberschaute, machte sie mir Zeichen die Kopfhörer wieder abzusetzen. Also tat ich das. Musik überschwappte mich.
„Wenn du mit mir redest, dann mach‘ ich die Musik aus“, bot mir die Frau an, mit der ich de jure verheiratet bin.
Ich schüttelte lächelnd und schweigend den Kopf, setzte den Kopfhörer wieder auf, und Stille umfing mich. Ich machte weiter mit meinem Tagewerk.
Aber ich dachte auch:
„Ach! Sie hört also Musik, um sich nicht selber begegnen zu müssen.“
Das war für mich ein interessanter und neuer Aspekt. Ich kenn‘ das so, dass NTs alles mit Musik fluten, damit es nicht so still ist. Aber das so klar kommuniziert wird:
„Ich höre Musik, damit ich nicht mir selber begegne“, das war neu für mich.
Grundsätzlich ist mir schon klar:
Wenn es still ist, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns selber begegnen, ganz erheblich. Natürlich kann man sich dann, wenn es still ist, auf irgendeine Aufgabenstellung konzentrieren, die einen von sich wegtreibt. Oder man kann in Tagträume abdriften. Aber grundsätzlich wird es schwieriger, sich selber auszuweichen, wenn es still ist.
Dass aber ganz offen mit mir kommuniziert wird:
„Bitte sei ein Gerät, das mir hilft, mir nicht selber begegnen zu müssen“, das war neu für mich. In gewisser Weise definierte das auch meinen aktuellen Stellenwert in der „Beziehung“ zwischen uns beiden:
Sei meine Ressource.
Und natürlich:
Sei meine Ressource, denn ich bin ein so schrecklicher Mensch, dass ich es alleine mit mir nicht aushalte.
Die allermeisten NTs, die ich bei der manipulativen Kommunikation beobachte, manipulieren, um andere zu kontrollieren – sie wollen diese Ressource steuern können - und um Zuwendung zu erpressen. Es ist also meist keine böse Absicht, wenn sie manipulieren, sondern schiere Not. Schiere Not und Unkenntnis. Unkenntnis darüber, wie man es schafft, in Frieden mit sich selber zu leben. Unkenntnis darüber, wie man mit erhaltener Zuwendung pfleglich umgeht, so dass sie lange hält und wärmt. Unkenntnis darüber, wie man gut zu sich selber ist und sich selber die beste Gesellschaft ist … und so weiter.
Und wenn du in mein Leben trittst oder mit mir kommunizieren willst – du kannst manipulieren, wie der wilde Watz, ich werde das zur Kenntnis nehmen. Ich nehme aber auch die Not und die Unkenntnis hinter deiner Manipulation zur Kenntnis. Und dass du dich offenbar entschlossen hast, nicht zu lernen, wie du besser zu dir selber sein kannst und ein besseres Leben führen kannst, sondern dass du an den Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern festhalten willst, die du gelernt hast, als du noch ein Kind warst.
Deine Entscheidung. Ich mache da nichts dran, ich nehme es nur zur Kenntnis.
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