*** Achtung bitte, der Text enthält Triggerkram. ***
Das, was wir in diesem Abschnitt beschreiben, zog sich in unserer Therapie über Monate hin. Wir reihen hier die Ereignisse aneinander, so, wie wir sie wiedergefunden haben. Ob das auch der zeitlichen Reihung entspricht, mit der wir das erlebten, als wir im Mutterbauch waren, das wissen wir nicht.
Es war eindeutig vor unserer Geburt. Wir kennen diese Geräusche. Wir wissen auch, wie es ist, in diesem Wasser herumzudümpeln, Kopf nach unten und von allen Seiten geschützt.
Es war zu kalt.
Es war immer zu kalt.
Jahre später, als wir Teenager waren und der Wissenschaftler in uns heranreifte, machten wir bei uns daheim Messungen: Welche Temperatur stellte unsere leibliche Mutter an den Orten ein, an denen sie sich wohlfühlen wollte?
Es waren immer so um die 15 °C.
Bei Temperaturen in diesem Bereich fühlte sich unsere leibliche Mutter am wohlsten.
Wir aber nicht. Wir brauchen es deutlich wärmer.
Und wenn wir aus dem Mutterbauch irgendwas erinnern, was von Dauer war, dann dieses: Es ist zu kalt!
Wir sind im Februar geboren worden. Mit anderen Worten: In den letzten Monaten im Mutterbauch war es tiefer Winter. Und ich kann euch versichern:
Es war kalt!
Das ist eine dauerhafte Kälte, die sich aus unserem Leben kaum vertreiben lässt. Unser Problem dabei ist, dass die Wärme, die wir uns von außen zuführen können, uns auch schnell zuviel wird. In dem einen Moment fühlen wir uns schrecklich frierig, im nächsten Moment ist uns viel zu heiß. Vor allem, wenn wir im Bett liegen, ist das ein häufiges hin und her mit Bettdecke und Überdecke.
Es war offenbar Tag, denn wir nahmen diese typische gedämpfte Helligkeit wahr.
Es war kalt.
Dann hörten wir gedämpft sehr böse und harte Worte. Die Stimme unseres leiblichen Vaters: Absolut bösartig, grausam, zerstörerisch. So spricht jemand, der die Welt vernichten will. Wir versuchten zu verstehen, was er sagte, konnten aber kein Wort verstehen.
Dann spürten wir plötzlich wie aus dem Nichts sehr schwere Schläge auf unseren gesamten Körper. Sie waren gedämpft durch das, was zwischen uns und diesen Fäusten war. Aber wir waren zu Tode erschrocken und es tat ziemlich weh.
Unser komplettes Leben geriet aus den Fugen. Wir verstanden überhaupt nichts. Dann hörte das auch wieder auf.
Es wurde wieder dunkel.
Aber es dauerte noch Stunden bis wir uns wieder etwas beruhigt hatten und es nicht mehr so weh tat. Unser komplettes Leben war verletzt und angeschlagen. Alles war aus den Fugen geraten, und das blieb auch so.
Dann spürten wir diesen tödlichen Hass unserer leiblichen Mutter. Sie wollte uns in ihrem Bauch tot haben. Wir spürten ganz viel Verzweiflung in ihr aber vor allem diesen Hass. Wir waren etwas Furchtbares und etwas Fremdes in ihr. Sie wollte uns auf keinen Fall da drin haben. Wir sollten tot sein.
Dann kam ein entsetzlich harter Schlag aus dem Nichts, der quer über unseren Rücken ging. Das war so schlimm, dass wir glaubten, daran sterben zu müssen. Wir zerfielen in viele Teile, um das zu überleben. Es dauerte gefühlt ewig, bis wir uns einigermaßen wieder beruhigt hatten und es nicht mehr so weh tat.
Später schlossen wir aus der Art, wie wir diesen Schlag erlebt hatten, dass unsere leibliche Mutter sich mit ihrem ganzen Gewicht auf einen Stuhl oder eine Tischkante hatte fallen lassen, um uns zu töten.
Die Schläge kamen aus verschiedenen Richtungen. Sie waren sehr hart. Es zerriss unseren kleinen Körper und unsere kleine Seele. Gleichzeitig wurden wir durch die Gegend gewirbelt. Auf der Matte in der Therapie wurde uns so schwindlig, dass wir uns festhalten mussten.
Später schlossen wir aus dem, was wir wiedergefunden hatten, dass sich unsere leibliche Mutter eine Treppe hinuntergestürzt hatte, um uns zu töten. Wir sollten nicht auf die Welt kommen. Wir sollten tot sein. Sie war völlig verzweifelt und voller Hass auf uns.
Der schwerste Angriff dieser Art kam kurze Zeit später. Nie waren wir im Mutterbauch dem Tod näher als in dieser Situation. Und wir sind in so vielen Teilen auseinandergeflogen, um das irgendwie zu überleben …
Es war auf einmal, als würde ein voller Schrank oder sowas auf uns drauffallen. Aber er fiel von allen Seiten auf uns drauf. Wir wurden zerquetscht und gepresst in einer Weise, die wir vorher noch nie erlebt hatten.
Später schlossen wir aus dem, was wir wiedergefunden hatten, dass unsere leibliche Mutter sich mit ihrem vollen Gewicht auf uns draufgeworfen hatte. Sie hatte sich auf uns draufgeworfen und dann mehrere Male hin- und hergewälzt auf ihrem Bauch, um uns endlich tot zu kriegen. Diesmal wollte sie ganz sicher sein. Sie gefährdete damit auch ihre eigene Gesundheit, ja nahm sogar ihren eigenen Tod in Kauf. Das war ihr völlig egal:
Hauptsache, wir waren endlich tot.
Es war sehr kurz vor unserer Geburt.
Wir haben allen Grund zu der Annahme, dass wir das Resultat einer Vergewaltigung sind.
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Erweiterung und Erläuterung:
Wir nehmen andere Menschen viel intensiver und differenzierter wahr als wir ihnen erzählen. Wir können in Menschen regelrecht hineinsehen.
Unsere Kleinen sagen dazu:
„Wir sehen tief, und wir sehen weit.“
Immer wieder gelingt es uns, zu sehen, was die tiefste und stärkste Sehnsucht des Menschen ist, mit dem wir gerade zu tun haben.
Bislang haben wir ausnahmslos dieses gefunden:
Diese Menschen sehnten sich zurück nach dem paradiesischen Zustand der Einheit, der Harmonie und des Friedens, den sie im Mutterbauch erlebten.
Das zieht und drängt sie als ganz starke Kraft durch ihr gesamtes Leben, ohne dass sie das spüren oder es ihnen gar bewusst wäre.
Wenn wir in uns schauen, dann haben wir da, wo andere Menschen diese tiefste und stärkste Sehnsucht haben, einen nebelartigen, leeren und kalten Bereich. Wir sehnen uns nicht zurück nach dem Mutterbauch. Wir haben keine Erinnerung an das Paradies. Es zieht uns nicht dorthin zurück.
Oder präziser:
Es zieht uns dorthin zurück, aber je näher wir dem kommen, desto mehr schrecken wir zurück. In uns ist kein Ort, an dem alles anfing und zu dem wir zurückkönnten. Das unterscheidet uns von den allermeisten anderen Menschen. Unser Paradies war tödlich.
Bislang wissen wir nicht, wie wir damit umgehen können. Wir haben diese Therapie angefangen, um Heimat zu finden. Aber wir können nicht zurück. Wo können wir hin? Wir wissen es nicht. Wir sind heimatlos im tiefsten Sinne dieses Wortes. Vielleicht sind wir verdammt zur ewigen Wanderschaft, vielleicht sind wir das nicht. Wir sind recht sicher, dass wir das in den nächsten Jahren herausfinden werden. Und wenn wir zur ewigen Wanderschaft verdammt sein sollten, dann soll es eben so sein. Dann werden wir damit leben müssen.
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