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Die weniger bekannten Verwandten der Künstlichen Intelligenz (KI)

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Thema, das sehr häufig in den Nachrichten auftaucht. Jedenfalls in den Nachrichten, die ich lese: Wichtiger Wirtschaftsfaktor der Zukunft, neue Problemstellung für Ethiker, Erleichterer des menschlichen Lebens, Ansatzpunkt, das soziale Miteinander in Städten neu zu konzipieren – die Künstliche Intelligenz scheint eine ziemliche Reichweite zu bekommen.

 

Und tatsächlich habe ich mir vor einiger Zeit mal ein „Smart House“ vorführen lassen. Ich bekam bei dieser Führung den Eindruck, dass es ein wichtiger Anwendungsbereich der Künstlichen Intelligenz sein wird, all diese denglischen Schlagwörter, die im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz anfallen, („Smart House“, „Enhanced irgendwas“ „Increased Stupidity“ etc.) wieder in ein klar verständliches Deutsch rückzuübersetzen.

 

Darüber hinaus war mir nicht ganz klar, was so toll daran sein soll, wenn man sein Haus Hackern aus der ganzen Welt zugänglich macht, so dass irgendein Nerd auf einem anderen Kontinent bei mir das Licht ein- und ausschalten kann oder bei mir an der Heizung rumfummelt.

 

In meinem Leben gibt es keine Alexa und keine Siri, keine Smartwatch, kein elektronisch verstärktes Irgendwas. Ich will mein Leben schlicht und einfach. Und wenn die Künstliche Intelligenz vor allem dafür sorgen soll, dass wir mehr miteinander kommunizieren und mehr miteinander in Kontakt kommen – ich will exakt das Gegenteil davon: Je unkomplizierter und kontaktärmer, um so besser. Ich will nicht, dass mein Haus mit mir redet oder mitdenkt. Es soll einfach nur da sein, und es soll einfach nur still sein. Und das bekomme ich bislang ohne jeden Anflug von Künstlicher Intelligenz ganz prima hin. 

 

Aber wie auch immer – die KI kommt, und sie wird viele, viele Dinge auf diesem Planeten substanziell und nachhaltig verändern. Und wir müssen irgendwie das beste daraus machen. So wie immer, wenn es zu einer industriellen Revolution kommt.

 

Ich hab‘ jetzt aber nicht so die große Ahnung von Künstlicher Intelligenz. Weder interessiert mich dieses Thema besonders, noch kann ich vorhersagen, in welche Richtung sich das entwickeln wird. Meine Kompetenz liegt woanders. Da ich festgestellt habe, dass es in meinem Kompetenzbereich Verwandte der Künstlichen Intelligenz gibt, dachte ich mir, ich schreib‘ mal was dazu. Dann kommen diese Themen auch zu ihrem Recht.

 

Also los.

 

1

Die Künstliche Dummheit (KD)

 

Das erlebe ich schon seit über einem Jahrzehnt:

Die Künstliche Intelligenz mag noch in den Kinderschuhen stecken – mit der Künstlichen Dummheit sind wir schon sehr weit. Die ist anwendungsreif.

 

Ein Beispiel, das vermutlich jeder kennt:

Versuch‘ mal, einen vernünftigen Text zu schreiben in einem System, das mit „Autokorrektur“ arbeitet. Da erscheint der Unsinn schneller auf dem Bildschirm als du denken kannst. Da die Firma, für die ich arbeite, vor ein paar Jahren auf Apfel (Neudeutsch: Apple) umgestellt hat, kann ich mich jetzt beinahe jeden Tag damit rumärgern, aus Texten, die ich schreibe, künstlich generierten Unsinn herauszufischen. Und das System ist hartnäckig! Wenn ich einen Text auf meinem Handy korrigiert habe, dann geschieht es sehr oft, dass ich später feststelle, dass das System autonom neue Dummheit generiert hat. Und wenn ich in der Systemeinstellung festlege, dass auf derlei Quatsch verzichtet wird, dann kann ich sicher sein, dass das System diese Einstellung selbständig wieder rückgängig machen wird.

 

2

Die Künstliche Hysterie (KH)

 

Die Firma, für die ich arbeite, stellt mir alle paar Jahre ein nagelneues Auto vor die Haustür. „Dienstwagen“ nennt sich das. Da ich für die Firma sehr viel fahre (mehr als 50.000 km im Jahr), ist das eine sehr praktische Angelegenheit.

Dabei stelle ich dieses fest:

Jedes Auto, das ich bekomme, ist mit mehr Künstlicher Hysterie ausgestattet als das Vorgängermodell. Früher wurde ich hin und wieder mal gewarnt, dass ich bremsen sollte. Dann war ich dem System zu dicht auf einen Laster aufgefahren oder sowas.

Heute erlebe ich das auf einer längeren, zügigen Fahrt mindestens drei oder vier Mal:

Ein schriller Warnton erklingt, und auf dem Display rechts neben dem Lenkrad erscheint in großer, roter und flackender Schrift die ultimative Aufforderung: „Bremsen!“

Ganz toll! (Ironie).

 

Ich bin kein besonders guter Autofahrer. Aber das letzte Mal, dass ich einen Unfall verursacht habe, weil ich zu spät gebremst habe, ist ein Vierteljahrhundert her. Da fuhr ich auf einer autobahnähnlichen Straße mit hohem Tempo auf das Ende eines Staus. Der Stau bildete sich aber gerade erst in diesem Moment. Ich hatte den Motorradfahrer viele hundert Meter vor mir stürzen sehen. Danach flammten bei sämtlichen Fahrzeugen vor mir die Bremsleuchten auf. Alles hysterische Gepiepse „Bremsen! Bremsen! Bremsen!“ hätte diesen Unfall nicht verhindert. Zum Schluss waren über 25 Fahrzeuge ineinander verkeilt, und angemessener als dieses hysterische „Bremsen!“ wäre vermutlich ein beruhigendes „Shit happens!“ gewesen.

 

3

Die Künstliche Begeisterung (KB)

 

Das ist etwas, was NTs auch ohne maschinelle Unterstützung hinbekommen. In der Firma, für die ich arbeite, ist das seit etlichen Jahren von oben befohlen: Wir begeistern uns für unsere Arbeit. Wir begeistern uns für unsere Firma. Wir sind ja alle so toll! Das ist so eine Art „begleiteter und betreuter Narzissmus für Anfänger“. Da werden ganztägige Besprechungen anberaumt, wo Anwesenheitspflicht ist, wo wir in moderierten Workshops einander schildern müssen, was uns an unserer Arbeit so begeistert und wie wir diese Begeisterung noch steigern können. Das hat sektenartigen Charakter und ist sehr beliebt bei den Menschen, die sowas brauchen. Die anderen stehen dem eher distanziert gegenüber.

 

Am Anfang eines Jahres gibt es mehrere Großveranstaltungen, wo Führungskräfte mit seltsam verstellten Stimmen Künstliche Begeisterung (KB) vorspielen und verbreiten wollen. Wir erfahren dann, was so toll an uns ist, an unserer Firma, an unseren Ergebnissen und sowieso überhaupt an so ziemlich allem. Im Anschluss werden wir dann auf ein begeisterndes neues Jahr eingeschworen, mit neuen begeisternden Zielen, Produkten und Weisheiten – geradezu unglaublich das alles.

Und wir alle sind geradezu restlos begeistert (Ironie).

 

Bei solchen Veranstaltungen werden auch die neuesten Anglizismen und Glaubensbekenntnisse vorgestellt.

Vor ein paar Jahren war alles bei uns „agil“ und „disruptiv“. Wir waren dann „agile“ Teams und machten „disruptive“ Arbeit. Jetzt sind wir einen Schritt weiter: Es gibt keine Abteilungen und Gruppen mehr, sondern „Tribes“ (Stämme), „Squads“ (Mannschaft, Trupp) und noch eine ganze Menge anderes Zeug, das ich aber schon wieder vergessen habe. Das ist bei uns in der Firma der „New Way of Work“.

Und vermutlich liegen die Menschen, die sich diesen Unsinn ausdenken und mit todernster Miene ans Top-Management verkaufen, den ganzen Tag lachend in der Ecke.

 

Ja, und diese begeisterten Stimmen …

KB geht bei uns im Konzern vor allem mit der Stimme.

Ich kenne solche verstellten Stimmen aus dem Radio, wenn gerade Werbung läuft. Ich habe keine Ahnung, ob irgendwer auf diesen Quatsch reinfällt. Aber die Werbung im Radio ist normalerweise nach wenigen Minuten zu Ende. Der sektenartige Unsinn, mit dem sie uns in der Firma überziehen, der dauert Stunden.

 

Ich geh‘ da nicht hin. Ich geh‘ nicht zu diesen Jahresauftaktveranstaltungen, ich geh‘ nicht zu diesen Pflichtbesprechungen. Und zu den Besprechungen am Jahresende („Weihnachtsfeier“) gehe ich auch nicht. Meistens bin ich dann krank oder sowas. Und was die Begeisterung anbelangt: Ich mach‘ meine Arbeit, weil sie sinnvoll ist, weil sie ethisch verantwortbar ist, und weil sie bezahlt wird. Müsste ich kein Geld verdienen, dann würde ich mit Sicherheit was ganz anderes tun. Wenn andere begeistert sein müssen, um ihre Arbeit gut zu tun – bitte sehr. Ich mache meine Arbeit gut, weil ich einen hohen professionellen Anspruch an mich selber habe.

 

4

Die Künstliche Freundlichkeit (KF)

 

Das kennt vermutlich jeder: NTs tun freundlich und zugewandt, obwohl sie es innerlich gar nicht sind. Ich will das an dieser Stelle auch gar nicht vertiefen.

 

Ich will nur nochmal darauf hinweisen, dass ausnahmslos alle NTs, die ich dazu befragt habe (dutzende), nicht in der Lage sind, auf Fotos, die in der Werbung eingesetzt werden, zu erkennen, ob das Lächeln, das sie da sehen, echt ist oder nicht.

 

Das ist deshalb so merkwürdig, weil die NTs, die ich als Experten für Autismus kennengelernt habe, ausnahmslos davon ausgehen, dass das einer der Punkte ist, die NTs von AS unterscheiden: NTs können gut Emotionen in menschlichen Gesichtern lesen, AS tun sich sehr schwer damit.

 

Nach meinen Beobachtungen und Messungen ist diese Aussage so nicht haltbar.

Nach meinen Beobachtungen sind NTs nur sehr schwer in der Lage, Künstliche Freundlichkeit (KF) von natürlicher / echter Freundlichkeit zu unterscheiden.

 

5

Die Künstliche Fröhlichkeit (KFrö)

(Meine Kleinen sagen dazu, dass „KFrö“ für „Kleine Frösche“ steht. Die finden sie deutlich niedlicher als Künstliche Fröhlichkeit, und sie sagen, dass ich mal einen Text über kleine Frösche schreiben soll, und dass ich das so hier hinschreiben soll, auch wenn das nicht Thema dieses Textes ist. (Also mach‘ ich das)).

 

Auch hier will ich nicht viele Worte machen.

Wer Anschauungsmaterial in Sachen KFrö braucht, der sei an den Kölner Karneval verwiesen:

Alkohol (viel Alkohol) plus Gruppenzwang plus ohrenbetäubender Lärm (vulgo: Musik bzw. homerisches Gelächter) gleich Künstliche Fröhlichkeit.

 

Ich kann euch dieses versichern:

Ich habe sehr oft Kinder dabei beobachten können, wenn sie fröhlich miteinander spielten. Das ist nicht künstlich, sondern echt.

Und die brauchen dazu keinen Alkohol.

Sie brauchen dazu keinen Gruppenzwang.

Und Musik, die so laut ist, dass die stillen und sensiblen Teile in uns sich nur noch verstört und verschreckt in eine Ecke in unserem Inneren verkriechen können – die brauchen sie auch nicht.

 

6

Künstliches und so weiter (KETC)

 

Zusammenfassung

 

Künstlichkeit erlebe ich fast immer, wenn NTs miteinander kommunizieren. Dass ich den Eindruck habe, dass erwachsene NTs echt und offen miteinander kommunizieren, ist sehr selten. Sehr viel in ihrem sozialen Miteinander ist Täuschung, Vorspiegelung, Schauspiel, Darstellung und Spiegelfechterei.

 

Das ist die Welt, in der sie leben. Das ist die Welt, in der sie sich wohl fühlen. Wer regelmäßig Kontakt mit ihnen hat, sollte sich dessen bewusst sein.  

 

Und wenn die NTs bei der Kommunikation in Zukunft stärker auf die Unterstützung rechnerbasierter Systeme setzen werden, dann wird eine der Hauptaufgaben dieser Technik sein, diese Künstlichkeit zu verstärken und zu unterstützen.

 

Da sollten wir uns keine Illusionen machen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Bösmensch (Sonntag, 07 August 2022 15:27)

    Danke für diesen Text. Ich mache auch schon lange die Erfahrung, dass Unternehmen wie Sekten geführt werden, wenn narzisstische Vorstände am Werk sind. Davon sind weitaus mehr Mitarbeiter genervt als es Autisten geben kann.

  • #2

    JefferyDahmer (Sonntag, 18 Juni 2023 14:06)

    Zu Punkt 1 muss man sagen, dass die künstliche Dummheit aber laufend weniger wird und die Systeme sich verbessern. Mobiltelefone waren ja auch mal klobig und unhandlich.
    Zu 2: Auf den Stau auffahren lässt sich, auch wenn er spontan entsteht, durch Abstand vermeiden. ohne KI. Immer so viel Abstand, dass eine Vollbremsung gar nicht nötig wird, somit auch der Hintermann nicht auffahren kann. Hier kann man die Sicherheit wirklich steigern.
    3, 4, 5: So funktioniert Menschliche Kommunikation, Ich nehme an, Sie arbeiten als eine Art Entertainer für ein Unternehmen, das viel im Bereich Vertrieb macht. So entnehme ich es zumindest anderen Blog-Beiträgen. Vertrieb an sich ist ja schon Entertainment. Und alles, was mit dem Coaching damit zusammenhängt. Ich glaube Ihnen, dass Sie professionell sind. Aber Entertainment bleibt Entertainment. Es ist ja legitim, sich dafür bezahlen zu lassen. Es ist ja so: Wer den Beruf als Entertainer macht und sich dessen bewusst ist, ist perkekt o.k. Gemeingefährlich sind die, die sich für Denker halten, die denken, sie hätten eine wichtige Rolle in der Gesellschaft.
    Nochmal zur KF: ehrlich und natürlich unfreundlich kann der Apotheker sein, wenn er der einzige in der Stadt ist und der Kunde ein lebenswichtiges Medikament braucht. Wäre er nicht auf sein Geschäft angewiesen, dann würde er ähnlich wie Sie das arbeiten aufhören. KF ist kein Vergnügen, sondern ein Teil der Arbeit.