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Wann ist ein Mann ein Mann?

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In einem Buch haben wir (meine Kleinen und ich) eine Geschichte gelesen, die in etwa so ging:

 

Ein Mann kommt auf einer Wanderung an einer Wiese vorbei, auf der eine große Schafherde lagert. Der Wanderer spricht den Schäfer an, und es entwickelt sich dieser Dialog:

„Wieviele Schafe haben Sie denn hier?“

„Oh, das sind 38 schwarze Schafe und 42 weiße.“

„Und wieviel Wolle geben die?“

„Also die schwarzen Schafe, die geben pro Jahr ungefähr fünf Kilogramm Wolle.“

„Das ist ja nicht viel.“

„Oooch, es geht. Ich bin zufrieden.“

„Und wieviel Wolle geben die weißen Schafe?“

„Die geben auch ungefähr fünf Kilo Wolle pro Jahr.“

„Und wieviel wiegen diese Schafe?“

„Die schwarzen Schafe wiegen im Schnitt so 80 bis 100 Kilo.“

„Und die weißen Schafe?“

„Die wiegen im Schnitt auch so um die 80 bis 100 Kilo.“

„Und wie alt werden die?“

„Die schwarzen Schafe werden so um die sieben bis acht Jahre alt.“

„Und die weißen Schafe?“

„Die werden auch so um die sieben bis acht Jahre alt.“

„Sagen Sie mal, wenn die Schafe so gleich sind, warum unterscheiden Sie denn dann immer zwischen den schwarzen und den weißen Schafen?“

„Ja, wissen Sie, das ist nämlich so: Die schwarzen Schafe gehören mir.“

„Und die weißen Schafe?“

„Die gehören mir auch.“

 

***

 

 

1984 hatte Herbert Grönemeyer mit „Männer“ einen Riesenhit in Deutschland. In diesem Lied stellt er wiederholt die Frage: „Wann ist ein Mann ein Mann?“

 

Diese Frage lässt uns (meine Kleinen und mich) im allgemeinen kalt. Es ist interessiert uns schlicht und ergreifend nicht. Aber vor ein paar Monaten stellte ich meinen Kleinen die Frage:

„Sind wir männlich?“

Damit meinte ich nicht unsere biologische Ausstattung, sondern unsere Persönlichkeit und unsere Art, in der Welt zu sein.

Ihre Antwort kam sehr spontan und sicher:

„Ziemlich.“

Wir waren verblüfft. Also stellten wir diese Frage einem Menschen, der in unserem Leben ist, und der es wissen muss:

„Sind wir männlich?“

Die Antwort kam genauso spontan und sicher:

„Absolut!“

Und da bekam diese Frage auf einmal doch ein ziemliches Gewicht.

Was bedeutet es, wenn wir unsere Persönlichkeit und unsere Art, in der Welt zu sein, als männlich beschreiben oder sie von jemandem, der es wissen muss, als männlich beschrieben wird?

 

Wir haben monatelang intensiv darüber nachgedacht und kommen einer Antwort nicht näher. Wir haben hunderte Adjektive gesichtet, die unsere Art, in der Welt zu sein bzw. unsere Persönlichkeit beschreiben. Aber immer, wenn wir uns fragen:

„Wenn eine Frau diese Eigenschaft hätte oder so in der Welt wäre, wäre sie dann in unseren Augen unweiblich oder männlich?“

dann verneinen wir entschieden.

 

Wir sind durchsetzungsstark, resolut und sehr häufig kompromisslos. Diese Eigenschaften schätzen wir aber auch sehr an Frauen. Wir wissen, was wir wollen, wir sind ausgesprochen schweigsam, wir eiern nicht rum. Das sind aber auch alles Eigenschaften, die wir sehr an Frauen schätzen.

 

Wir haben in unsere Vergangenheit geguckt. Als wir Kind und Jugendlicher waren, definierten wir uns als männlich, wollten aber gleichzeitig nicht so sein, wie uns das von anderen Männern vorgelebt wurde. Auf gar keinen Fall! Prägend war für uns natürlich unser leiblicher Vater. Der war für uns lange Zeit unser schlimmster Feind, ein wirklich verabscheuungswürdiger Mensch. Als wir später lernten, genauer hinzuschauen und hinzufühlen, fanden wir einen Menschen in unserem Leben, der ein noch schlimmerer Feind für uns war und noch verabscheuungswürdiger. So landete unser leiblicher Vater hinter unserer leiblichen Mutter ganz knapp auf dem zweiten Platz. – Musste er mit leben. Man kann nicht jedes Rennen gewinnen.

 

Aber auch, wenn wir als Kind und Jugendlicher auf die anderen Männer guckten, die unser Leben bevölkerten – das waren vor allem Lehrer -, da war nicht ein einziger, von dem wir irgendwie inspiriert wurden, wo wir uns sagten: „So wollen wir auch sein“ oder „Das wollen wir auch haben“. Nicht ein einziger. Nicht mal im Ansatz.

 

Dasselbe galt aber auch für die Frauen in unserem Leben.

 

Ja, und nun?

 

Wir sind einfühlsam, wir sind sehr sensibel, uns fällt immer was ein. Das sind aber auch Eigenschaften, die wir an Frauen sehr schätzen. Wir können klar, erwachsen und logisch denken, wir sind handwerklich geschickt und neigen dazu, anzugeben. Das sind aber auch alles Eigenschaften, die wir an Frauen sehr schätzen. Naja, das mit dem Angeben könnte vielleicht ein bisschen weniger sein. Aber es ist für uns keine typisch weibliche oder typisch männliche Eigenschaft.

 

In unserer ersten Psychotherapie bot der Therapeut mal ein Intensivwochenende an (Freitagmittag bis Sonntagmittag), in der (bis auf seine Cotherapeutin) nur Männer anwesend sein sollten. Es sollte an diesem Wochenende nur um Männerthemen gehen: Männergefühle, Männlichkeit, Mann sein, Mann werden und was weiß ich. Vermutlich wurde da sogar männlich geguckt.

Wir fanden das interessant und buchten das und gingen dort hin.

Wir stellten fest, dass wir mit diesem Zeug nichts anfangen können.

Keine Ahnung, was andere Männer so umtreibt, was ihre Themen sind, womit sie sich beschäftigen und was ihnen wichtig ist. Die Männer da beschäftigten sich ganz viel mit dem „Eisenhans“. Eisenhans rauf und Eisenhans runter. Eisenhans hier, Eisenhans da.

 

Wir stellten an diesem Wochenende fest, dass uns nichts mit diesen Männern verbindet. Ihre Probleme und Fragestellungen sind nicht unsere – nicht mal im Ansatz. Und mit unseren Problemen und Fragestellungen können diese Männer nichts anfangen. Wir nahmen nicht einen einzigen hilfreichen Impuls, Ansatz oder Gedankengang von ihnen mit.

 

Was sind typisch männliche Themen?

Wir wissen es nicht.

Autos, Motorräder, Sport, Fußball, Frauen (und wie man sie ins Bett kriegt), Politik, noch mehr Sport, Zigarren, Humidore, Bier, Immobilienkredite, die Weltlage, der Chef, die Arbeit, Wein?

Wir wissen es nicht.

Aber wenn sich Männer über „Männerthemen“ unterhalten, dann stellen wir regelmäßig fest, dass uns das in keiner Weise interessiert.

 

Wenn wir zuhören, worüber Frauen sich unterhalten, dann stellen wir aber ebenso fest, dass uns das in keiner Weise interessiert.

 

Wir sind absolut zuverlässig und gleichzeitig ziemliche Strolche. Wenn wir an einer Sache dran sind, dann bleiben wir an der Sache dran – da sind wir hartnäckig bis zum Geht-nicht-mehr. Wir wühlen gerne mit den Füßen im Herbstlaub. Wir sind zu hundert Prozent heterosexuell und werfen gerne ein Auge auf gutaussehende gegengeschlechtliche Menschen.

Das sind aber auch alles Eigenschaften, die wir an Frauen sehr schätzen.

 

Wenn wir Menschen in unser Leben lassen – was nur sehr selten vorkommt -, dann sind das immer Frauen. Das war noch nie anders. Mit Männern können wir buchstäblich nichts anfangen. Unsere Kleinen erklärten das mal so:

„Mann, das sind wir selber. Das haben wir schon, da brauchen wir keine Zufuhr von außen. Weiblichkeit aber ist wie ein Vitamin, das wir nicht selber bilden können. Das brauchen wir von außen.“

 

Das erklärt aber in keiner Weise, was „männlich“ und „weiblich“ ist.

 

Dann gibt es noch den Blick auf „Väterlichkeit“ und auf „Mütterlichkeit“. Das durften wir uns bei verschiedenen Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen angucken. Dazu können wir dieses sagen:

a)    Wenn du uns mit dem kommst, was du für „Mütterlichkeit“ hältst, dann kannst du es direkt wieder mitnehmen. Davon können wir buchstäblich kein Gramm gebrauchen.

b)    Wenn du uns mit dem kommst, was du für „Väterlichkeit“ hältst, verhält es sich genauso.

 

Wir brauchen die positive Kraft, das Wohlwollen und die Unterstützung starker Frauen in unserem Leben. Das brauchen wir unbedingt und unabdingbar. Ohne das können wir nicht leben, nicht mal im Ansatz. Und diese Kraft, dieses Wohlwollen und diese Unterstützung können wir nicht selber bilden. Das können nur Frauen. Das ist der Hauptgrund, dass wir Frauen in unserem Leben haben.

 

Das erklärt jedoch in keiner Weise, was „männlich“ und was „weiblich“ ist.

 

Wir haben uns in unserer Jugend ziemlich volltexten lassen von Frauen, die emanzipatorisch drauf waren. Und so erfuhren wir, dass Männer an allem Übel dieser Welt schuld sind. Frauen sind eindeutig die besseren Menschen. Männer sind die Zwischenstufe zwischen Affe und Mensch. Wenn Männer überhaupt eine Chance haben wollen, menschlich zu werden, dann müssen sie den Frauen ähnlicher werden. Männer sind viel zu selbstbewusst, sie neigen zum sexuellen Missbrauch (Frauen werden nie zu Sexualtätern, auf gar keinen Fall!) Männer schlagen Frauen, grenzen sie aus, nehmen ihnen ihre Rechte und ihren Raum. (Umgekehrt würden Frauen sowas niemals tun. Und wenn eine Frau sowas tatsächlich mal tun würde, dann hätten Männer diese Frau so in Not gebracht, dass sie gar nicht anders handeln konnte). Wenn Männer überhaupt schon Menschen sind, dann sind sie schlechte Menschen. Und selbstverständlich ist das „männliche Patriarchat“ an allem schuld – Kriege, Umweltzerstörung, Ausbeutung, Not, Vertreibung, Armut, Fußpilz, Haarausfall, Regenwetter.

 

Wir nahmen das zur Kenntnis.

Aber es war auch nicht wirklich neu für uns.

Wie gesagt – wir hatten bis dahin vor allem unseren leiblichen Vater als Mann erlebt. Er hatte unser Bild von „Mann“ und von „Männlichkeit“ geprägt. Und dass er an so ziemlich allem schuld war, was uns in unserem Leben belastete und bedrängte, das konnte nun wirklich niemand bestreiten

 

Dasselbe galt aber auf ihrem Gebiet auch für unsere leibliche Mutter.

 

Doch wir haben auch dieses Problem (Emanzen texten uns voll) gelöst:

Wir haben schon vor Jahrzehnten den Beschluss gefasst, dass wir nicht mehr mit Menschen reden, die recht haben. Und selbstverständlich halten wir uns an diesen Beschluss. Wir hören solchen Menschen vielleicht noch zu, aber wir reden nicht mehr mit ihnen. Dafür ist uns unsere kostbare Lebenszeit viel zu schade. Und wenn Menschen, die recht haben, irgendwas schreiben, dann lesen wir das in aller Regel nicht. Wir wissen ja auch so schon, was drinsteht. Wenn wir heute also hören, dass „alte, weiße Männer“ an allem schuld sind, dann nehmen wir das alter, weißer Mann gelassen und akzeptierend zur Kenntnis und beschäftigen uns mit was anderem. Irgendwer muss ja an allem schuld sein, und es ist sicher sehr schön für all die jungen, weiblichen und farbigen Menschen dieser Welt, dass sie wissen, dass sie so großartige Menschen sind. Es sei ihnen gegönnt.

 

Als wir junger Erwachsener waren, stellten wir fest, dass wir weder männlich noch weiblich sein wollten. Wir wollten lieber irgendein „es“ sein. Das probierten wir ein paar Jahre. Dann stellten wir aber fest, dass wir von den Frauen die Finger nicht lassen konnten. Und das war auch faszinierend:

Als wir Student waren, trug uns eine Kommilitonin zu, dass irgendeine Frau in uns verliebt war. Wir seufzten dazu und sagten:

„Irgendwer ist immer in uns verliebt.“

Mit anderen Worten:

Frauen fanden irgendwas an uns anziehend. Immer schon. Das war noch nie anders.

 

Als wir junger Erwachsener waren, stiegen uns aber auch die Schwulen nach. Und sie waren viele! Entweder waren sie alle sexuell entsetzlich ausgehungert oder wir sahen wirklich gut aus. Das konnten wir nie klären. Wir konnten jedoch mit all den Schwulen nichts anfangen. Wir waren hetero durch und durch. Etliche von ihnen ließen sich dadurch nicht stören und rückten uns ziemlich auf die Pelle. Da konnten wir dann recht schroff und abweisend werden. Vermutlich haben wir sehr viele männliche Herzen gebrochen in dieser Zeit.

Irgendwer war immer in uns verliebt.

Aber uns war es echt lieber, wenn sie uns aus der Ferne anschmachteten.

 

Später stellten wir dann fest, dass es uns strunzegal war, welche Rollenmuster oder -stereotype an uns herangetragen wurden. Wenn man uns sagte, dass irgendwas, was wir taten oder waren „typisch männlich“ sei, dann war unsere Standardantwort:

„Was willst du? Ich bin ein Mann. Soll ich mich „typisch weiblich“ verhalten?“

 

Wenn uns irgendjemand sagte, dass das, was wir taten oder waren nun wirklich nicht männlich war oder sich für einen Mann nicht gehörte, dann war unsere Standardantwort:

„Da hast du völlig recht.“

 

Mit anderen Worten:

Die Diskussion über „männlich“ und „weiblich“ hatte über Jahrzehnte keinerlei Relevanz in unserem Leben. Für uns galt immer: „Menschen sind Menschen.“ Und es galt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das war so ziemlich alles, was wir in dieser Sache wissen mussten. Der Rest ergab sich.

 

Aber vor ein paar Monaten fragte ich meine Kleinen:

„Sind wir männlich?“

Damit meinte ich nicht unsere biologische Ausstattung, sondern unsere Persönlichkeit und unsere Art, in der Welt zu sein.

Und sie antworteten sehr sicher und spontan:

„Ziemlich.“

Daraufhin fragten wir einen Menschen, der in unserem Leben ist, und der es wissen muss:

„Sind wir männlich?“

Und dieser Mensch antwortete genauso spontan und sicher:

„Absolut!“

 

Das verblüffte uns, und wir begannen, intensiv darüber nachzudenken. Monatelang. Dabei kamen wir aber immer zum selben Ergebnis:

 

Die schwarzen Schafe gehören uns.

Und die weißen Schafe gehören uns auch.

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