Vor ein paar Tagen hörte ich im Radio, dass der „Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ für das Jahr 2021 vergeben worden war. Die Frau im Radio sagte, er sei an eine schwarze politische Aktivistin aus Simbabwe gegangen, die sich gegen Kolonialismus und gegen Rechts engagiert.
Wir (meine Kleinen und ich) hörten das. Meine Kleinen fragten:
„Was auch sonst?“
(An wen sonst sollte der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels“ denn gehen, wenn nicht an eine schwarze, politische Aktivistin aus Afrika, die sich gegen Kolonialismus und Rechts engagiert? Es geht ja schließlich nicht um die Qualität der Literatur, sondern um die politische Korrektheit.).
Und andere Kleine antworteten wie aus der Pistole geschossen (Sprachbild):
„An eine lesbische schwarze Transgenderfrau aus Sri Lanka mit Wurzeln in Südamerika, die blind ist, beide Eltern in den Kolonialkriegen verloren hat, einen veganen Import- Exportladen betreibt und in ihrer Freizeit den Regenwald wieder aufforstet.“
Und dann ging’s natürlich richtig los bei meinen Kleinen:
„Und sie vergibt Mikrokredite!“
„Und engagiert sich gegen Rechts!“
„Und hasst Reißverschlüsse!“
„Wieso? Was hat das jetzt mit Reißverschlüssen zu tun?“
„Ja, überleg doch mal – Reißverschluss. Das kommt von „Reißen“. Das ist doch gewalttätig.“
„Ja, genau, sie engagiert sich in der weltweiten Vereinigung zur Verbreitung der Knöpfe, die alle Reißverschlüsse verbieten will.“
„Aber nur, wenn die Knöpfe aus nachhaltigen Rohstoffen produziert wurden.“
„Und ohne Kinderarbeit.“
„Und delfinfreundlich.“
„Wie? Was jetzt mit Delfinen?“
„Ich hab‘ mal gehört, dass Delfine Knöpfe hassen.“
Und so weiter.
Meine Kleinen erzählen den ganzen Tag Unsinn.
Dass kleine Delfine traumatisiert sind von Haiaugen, und dass viele Knöpfe sie an Haiaugen erinnern, und dass sie dieses Trauma auch als erwachsene Delfine nicht los werden und deshalb vor solchen Knöpfen geschützt werden müssen … und so weiter.
Wir können nichts über die Güte der Literatur sagen, die diese Frau produziert. Aber politisch korrekt ist ihre Wahl ganz bestimmt.
Es schwappt eine Welle der politischen Korrektheit rund um den Planeten, deren Wucht uns immer wieder erstaunt.
Das scheint uns so halt- und maßlos zu sein, dass es anscheinend vor keiner Grenze halt machen will.
Der amerikanische Tierschutzverband PETA hat vor geraumer eine Liste politisch korrekter Sprichwörter herausgegeben. Er will, dass aus der englischen Sprache die tierfeindlichen Sprichwörter getilgt werden.
So heißt es zum Beispiel:
„Kill two birds with one stone” (Zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen).
Da werden unschuldige Vögel totgemacht in diesem Sprichwort, und das geht gar nicht. Also soll man fürderhin sagen:
„Feed two birds with one scone” (Ein Scone ist so eine Art weiches Brötchen).
Ein anderes Beispiel:
“Take the bull by the horns” (Den Stier bei den Hörnern packen)
Das gefällt den Stieren vermutlich nicht. Also soll es fürderhin heißen:
„Take the flower by the thorns” (Die Blume bei den Dornen packen. – (Man darf gespannt sein, was der Verband der edlen Pflanzenfreunde (VdeP (Nicht zu verwechseln mit „Voll-Depp“)) zu dieser Idee zu sagen hat)).
Und neulich lasen wir in einem Artikel was über „Bären und Bärinnen“.
Ja, selbstverständlich! Bärenstark sowas! Und bärinnenstark natürlich auch! Aber selbstverständlich!
Wir beschäftigen uns nicht viel mit diesem Zeug. Trends kommen, Trends gehen – im allgemeinen lassen wir solche Moden gepflegt an uns vorbeigehen. Aber zunehmend häufig versuchen selbsternannte politisch korrekte Sprachpolizisten uns in unsere Sprache reinzuregieren. Und das löst bei uns erheblichen Widerwillen und entsprechende Widerstände aus. Und dann schauen wir schon mal genauer hin.
Wir haben den Eindruck, dass weltweit eine neue Empörungs- und Empfindlichkeitskultur gepflegt und gefördert wird (ähnlich wie zu der Zeit der Romantik) und dass jeder, der sich beleidigt (oder nicht gemeint) fühlt, für sich beanspruchen kann, im Recht zu sein. Es gelten also weniger logische Argumente als mehr das Empfinden: Ich bin beleidigt, ich bin empört, ich fühle mich nicht gemeint.
Das kann man so machen, aber grundsätzlich führt das zu nichts.
Denn man kann seine Empörung über so ziemlich alles kultivieren und pflegen, bis man sich über Sachen aufregt und empört, die einem früher wirklich egal waren. Der eigenen Empfindlichkeit und Empörungsfreude sind prinzipiell überhaupt keine Grenzen gesetzt. Und die üblichen Hassmaschinen (Twitter, Facebook etc.) tun das ihrige dazu, dass sich so ziemlich jeder über so ziemlich alles empört und aufregt. Aber irgendwann hat das nichts mehr mit „woke“ zu tun, sondern mit überkandidelt bzw. komplett bescheuert.
Neulich bekam ich in einem seriösen Nachrichtenmedium dieses zu lesen:
In einer Halle hatte ein kleineres Konzert irgendeiner weniger bedeutenden Band stattgefunden. Die Musiker waren alle männlich gewesen. Irgendwann hatte sich einer dieser jungen Männer auf der Bühne sein T-Shirt ausgezogen und mit nacktem Oberkörper weitergespielt.
Dazu fiel den „woken“ Menschen dieses ein:
Die Musiker sollten das bitte lassen, denn
a) Die Frauen im Publikum können auch nicht einfach so oben ohne rumhopsen.
b) Es kann sein, dass Menschen im Publikum sind, die als Kind traumatisiert wurden. Solche Menschen können durch den Anblick nackter, schwitzender, männlicher Oberkörper retraumatisiert werden.
Früher hätte ich gesagt: „Urban legend!“ Gut ausgedacht, um uns reinzulegen und Klicks zu generieren.
Heute halte ich derlei Quatsch für real möglich. Was früher nichts als Blödsinn oder Satire gewesen wäre, kann heute tatsächlich ganz ernsthaft so geäußert worden sein.
Und irgendwann besteht die Gefahr, dass solch ein Quatsch in eine Diktatur ausartet. Spätestens dann muss man dem entschlossen entgegentreten. Deshalb schreibe und veröffentliche ich jetzt diesen Text. Die Toleranz kann so ziemlich alles tolerieren aber nicht die Intoleranz. Wenn die Toleranz auch die Intoleranz toleriert, dann führt sich selbst ad absurdum.
Ich will mich an dieser Stelle mit dem Konzept der politischen Korrektheit nicht inhaltlich auseinandersetzen. Zum einen finde ich, dass von den politisch Korrekten auch einige ziemlich kluge Dinge gesagt werden. Zum anderen hat eine Diskussion, in der das Argument gilt: „Ich bin beleidigt also habe ich recht“ bzw. „Ich empöre mich, deshalb bin ich im Recht“ keinerlei Bodenhaftung mehr. Wenn diese Argumente Gültigkeit beanspruchen, dann lässt sich damit buchstäblich alles begründen.
Ich will mich also nicht inhaltlich auseinandersetzen, sondern die politische Korrektheit mit ihren eigenen Mitteln ad absurdum führen.
Hört also mal alle her, ihr politisch korrekten Leute da draußen:
Ich bin (staatlich anerkannt und zertifiziert) Teil einer ausgegrenzten und unterdrückten Minderheit. Ich bin Asperger-Autist. Als solcher werde ich von der nichtautistischen Mehrheitsgesellschaft extrem schlecht behandelt. Das muss ein Ende haben! Der Druck, den die nichtautistische Gesellschaft auf uns ausübt, führt nachweislich dazu, dass
a) Asperger-Autisten eine deutlich kürzere Lebenserwartung haben als Nichtautisten
b) Asperger-Autisten deutlich häufiger schwer krank sind als die Nichtautisten
c) Asperger-Autisten eine ungefähr zehnmal so hohe Suizidrate haben wie die Nichtautisten.
Hier besteht also unabstreitbar dringender Handlungsbedarf.
Ich verlange also, dass ab sofort alle Nichtautisten sich so verhalten, dass ich durch ihr Verhalten weder gestört noch geschädigt noch ausgegrenzt werde. Das steht mir zu, denn ich bin Teil einer unterdrückten Minderheit. Und außerdem bin ich empört. Jawohl!
Als ultimative Sofortmaßnahme verlange ich ultimativ und ab sofort dieses:
1
Ihr alle da draußen verzichtet ab jetzt auf Händeschütteln oder andere körperliche Berührung bei Begrüßungen und Begegnungen. Fast alle Asperger-Autisten haben einen ausgesprochenen Widerwillen gegen Händeschütteln und körperliche Berührungen in sozialen Situationen. Unser Körper gehört uns!
Wenn ihr uns die Hand zur Begrüßung hinstreckt, nötigt ihr uns ein sinnentleertes Ritual auf, das unsere körperliche Integrität verletzt und unser körperliches Selbstbestimmungsrecht missachtet.
Und da ihr nie wissen könnt, ob euer Gegenüber Asperger-Autist ist oder nicht, hat das Händeschütteln und die körperliche Berührung bei Begrüßungen und in sozialen Situationen ab sofort aufzuhören.
Wenn ihr tatsächlich politisch korrekt begrüßen wollt, dann tut ihr das ab sofort so wie ich – ich verbeuge mich immer vor meinem Gegenüber. Auf diese Weise kann ich meinen tiefempfundenen Respekt vor der Individualität und Einzigartigkeit des anderen wesentlich besser ausdrücken als durch Händeschütteln und Berührung.
Also gilt ab jetzt:
Wir verbeugen uns bei einer Begrüßung voreinander und verzichten dabei auf jeglichen Körperkontakt.
Alles andere ist nicht politisch korrekt.
2
Als Asperger-Autist bereitet es mir starke körperliche Schmerzen, wenn du mir bei einem Gespräch in die Augen schaust. Ich kann mich dann nicht mehr auf das konzentrieren, was du sagst oder was ich dazu denke, sondern bin ständig damit beschäftigt, mit diesem Blick und diesen Schmerzen irgendwie fertig zu werden.
Ich verlange daher, dass ab sofort niemand mehr dem anderen in die Augen schaut, wenn er mit ihm spricht oder sozialen Kontakt mit ihm aufnehmen will. Du kannst nie wissen, ob der, den du gleich ansprechen willst oder zu dem du gleich Kontakt aufnehmen willst, Autist ist oder nicht. Und du kannst ihn nicht zwingen, sich zu outen. Das wäre gegen die Menschenwürde.
Wenn du also politisch korrekt ein Gespräch führen willst, dann guckst du ab jetzt an deinem Gegenüber vorbei oder auf einen Punkt im Gesicht, der weit entfernt von seinen Augen ist.
Das sind meine beiden ersten Forderungen an euch.
Ich habe ein Recht, politisch korrekt behandelt zu werden!
Ich verlange hier wirklich nichts Unmögliches von euch.
Weitere – selbstverständlich absolut gerechtfertigte – Forderungen folgen abhängig von meiner jeweiligen Empörungslage an dieser Stelle und in diesem Blog.
Falls ihr euch nicht an diese beiden Regeln haltet, die ich hier aufgeführt habe, seid ihr weder woke noch politisch korrekt, und ich bin schwer beleidigt. Und das kann doch keiner wollen!
P.S.
An alle AS unter meinen Leserinnen und Leser:
Falls ihr auch politisch korrekte Forderungen an die Nichtautisten habt, die euren Autismus betreffen, lade ich euch ein, das in die Kommentare zu schreiben.
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kikkulade (Sonntag, 31 Oktober 2021 18:31)
Dass kleine Delfine traumatisiert sind von Haiaugen, und dass viele Knöpfe sie an Haiaugen erinnern, und dass sie dieses Trauma auch als erwachsene Delfine nicht los werden und deshalb vor solchen Knöpfen geschützt werden müsse.
Darüber habe ich so sehr gelacht, dass ich weinen musste. Dankeschön!! <3
kikkulade (Sonntag, 31 Oktober 2021 18:37)
Ich bin kein Autist. Als HSP fordere ich die Abschaffung der Musikbeschallung an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, Restaurants, Arztpraxen u.w..
Stiller (Sonntag, 31 Oktober 2021 20:33)
"Als HSP fordere ich die Abschaffung der Musikbeschallung an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, Restaurants, Arztpraxen u.w.."
Dem schließe ich mich als AS vorbehaltlos an.
Wer politisch korrekt sein will, muss dieser Form der Folter unbedingt Einhalt gebieten.
Murmur (Montag, 01 November 2021 15:16)
Meine Aspergerenkelin meinte, als ich sie nach ihrer persönlichen politisch korrekten Forderung an alle anderen Menschen fragte, ich solle aufhören zu schwafeln. Sie verstand erst was ich von ihr wollte, als ich ihr von den armen Delfinen erzählte. Und den Haiaugen.
DAS hingegen verstand sie sofort und sie meinte, dass es verboten sein soll, "dass Haie Delfine angucken dürfen und auch dass Leute im Bus oder irgendwo Kinder anreden und anstarren dürfen."
"Und dass ich immer wann ich will mit Mama in Quarantänewoche darf und nicht nur dann wenn im Kindergarten jemand Corona hat".
Sie ist sechs.
Stiller (Montag, 01 November 2021 15:44)
Wir verneigen uns.
Wir verneigen uns vor dir als dem Menschen, der es möglich macht, dass deine Enkelin so kluge Sachen sagt.
Und wir verneigen uns vor deiner Enkelin, die so kluge Sachen sagt.
Ich schließe mich den Forderungen deiner Enkelin an.