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Die Welt, in der ich lebe – sensorisch 01: Optisch

*** Nein, du nicht. ***

 

Das hier richtet sich an die NTs unter meinen Lesern.

 

Immer wieder fällt mir auf, dass ich wohlmeinenden NTs deutlich machen muss:

Ich sehe aus wie ihr, aber ich bin nicht wie ihr.

Wenn ich euch von mir berichte – egal, was -, neigen sehr viele von euch reflexhaft dazu, mit „Ich auch!“ zu reagieren.

Dazu ist zu sagen:

„Nein, du nicht.“

 

Mir ist es im Supermarkt zu voll? Euch auch.

Ich kann flackerndes Licht nicht ertragen? Ihr auch nicht.

Ich brauche ganz viel stille Zeit für mich alleine? Ihr auch.

Ich finde meine Umwelt viel zu laut? – Ihr auch.

 

Ich könnte euch von mir erzählen, was ich wollte – bei euch wär‘s genauso.

Ich könnte auch irgendwas erfinden – bei euch wär’s genauso.

Zum Beispiel:

„Jeden Morgen nach dem Aufstehen male ich mir als erstes mit dem Bleistift Smile-Gesichter auf alle Zehennägel – da fängt der Tag gleich ganz anders an, und konstante Fröhlichkeit ist garantiert.“

Ich tu sowas nicht, ich erzähle sowas auch nicht.

Aber ich bin sicher:

Wenn ich es euch erzählen würde, dann würden ganz viele von euch antworten:

„Ich auch!“

 

Ihr denkt, ihr seid in Sachen Sensibilität wie ich.

 

Seid ihr aber nicht.

Jedenfalls nach allem, was ich sehen kann, seid ihr das nicht.

Nicht mal näherungsweise seid ihr so sensibel wie ich.

Aber das scheint euch nicht zu stören.

Wenn ich ein Beduine wäre und euch erzählen würde, wie heiß es bei mir in der Wüste werden kann, dann würdet ihr vermutlich reflexhaft antworten:

„Oh, das ist bei mir genauso! Speziell in den letzten Sommern – ich kann da so mit dir mitfühlen! Ich weiß, wie schrecklich es sein kann, wenn es so heiß ist!“

 

Nein, kannst du nicht.

Du kannst da nicht mitfühlen. Nicht mal ansatzweise.

Wenn du es könntest, wärst du vermutlich bereits schon tot.

Oder zumindest ziemlich krank.

Die Welt, in der du lebst, unterscheidet sich derart stark von meiner, dass ein „Ich auch!“ praktisch ausgeschlossen ist.

 

Das hier soll kein spätpubertäres „Keiner kann mich verstehen!“ werden. Ich will mal in einer Zusammenschau berichten, in welcher Welt ich lebe. Und du kannst dann vergleichen, ob das bei dir genauso aussieht.

 

Heute will ich mich dabei auf den optischen Teil der Welt, in der ich lebe, konzentrieren. Die restlichen Sinneskanäle kommen in einem späteren Text.

 

Und los geht‘s!

 

 

Ich bin optisch hypersensibel. Selbstverständlich bin ich das. Und selbstverständlich seid ihr das auch. Ihr seid optisch ja sowas von sensibel – da gibt’s schon gar keine Worte mehr für. Aber nach allem, was ich sehen kann, bin ich auch unter den optisch Hypersensiblen ein Hypersensibler. Ich bin sozusagen optisch hypersensibel im Quadrat.

 

 

1

Die Farben

 

Das Grün der Felder, Wiesen und Wälder löst einen unablässigen Schmerz in mir aus. Das ist mir einfach zu grün. Es tut weh in meinen Augen. Das ist einer der Gründe, warum ich im Freien beinahe immer eine starke Sonnenbrille trage: Die Farben werden sehr gedämpft.

 

Meine ältere Tochter ist direkt nach dem Abitur nach Irland ausgewandert. Obwohl ich sie sehr schätze, habe ich sie dort nie besucht. Sie erzählte mir von dort nämlich dieses:

„Hier (in Irland) ist es noch grüner als bei uns (in Deutschland).“

 

In meiner Welt ist die Hölle grün. Und wenn ich meine Tochter in Irland für eine Woche besuchen würde, dann müsste ich mich vermutlich in den nächsten drei Wochen davon erholen. Soviel Zeit kann ich nicht erübrigen, solange ich berufstätig bin.

 

Blumen und Farben.

Fast alle Blumen sind für mich wie ein Knallfrosch, der in meinen Augen, in meinem Kopf explodiert. Kleine, winzige Blumen, die am Wegesrand blühen (einzeln blühen wohlgemerkt – mal hier eine, mal dort eine) sind ganz ok. Das schaue ich mir gerne mal an.

 

Aber ihr NTs könnt ja nicht anders. Ihr müsst sämtliche Blumen auf protzig züchten. Tulpen, Rosen, Chrysanthemen – egal, was ihr in die Finger kriegt … ihr macht aus jeder Blume einen Sprengsatz. Je gewalttätiger, desto besser. Wenn ich einen Blumenladen betrete, muss ich mich jedesmal innerlich wappnen. Am liebsten würde ich nur mit einer Schweißerbrille da reingehen. Dasselbe gilt für Frühling und Herbst, wenn ihr aus euren Blumenkästen an den Balkonen ganze Wasserfälle aus Farben macht – grauenhaft! Ich weiß dann oft gar nicht, wohin ich zuerst weggucken soll. Oder eure Gärten! … 

 

Ihr streicht eure Häuser bunt.

Ihr fahrt bunte Autos.

Eure Kleidung ist poppig bunt.

Eure Getränke sind bunt.

Die Teller, von denen ihr esst, sind bunt.

Eure Inneneinrichtung ist bunt.

Eure Läden und Geschäfte sind bunt.

In euren Städten hängen überall bunte Plakate.

Euer Schmuck ist bunt.

Die Displays eurer PCs, Laptops, Handys, Tablets – bunt, bunt, bunt

Was euch aus dem Fernseher entgegenquillt: bunt

Alles, was ihr in irgendwelchen Läden kaufen könnt – Bücher, Möbel, Lebensmittel, Kleidung, Werkzeug, Medikamente, Stifte, Klebstoff, Brillen, Zeitschriften, sonstige Gebrauchsgegenstände – bunt, bunt, bunt … Sogar euer Klopapier ist bisweilen bunt. Und wenn es nicht bunt ist, so ist es doch zumindest bunt verpackt.

 

Schaut euch auf eurem Schreibtisch und in euren Wohnungen um – ihr werdet nirgendwo euren Blick hinrichten können, ohne dass es poppig bunt ist.

 

Bei euch ist alles bunt.

Ihr mögt das so, ihr wollt das so. Wenn das nicht so wäre, dann hättet ihr euch eure Welt nicht so eingerichtet.

Bunt explodiert in mir. Es explodiert in meinen Augen und in meinem Kopf.

Bunt tut in mir weh.

Ich kann bunt nicht ertragen.

 

Irgendwann stellte mir die Firma, für die ich arbeite, ein Tablet von Apple zur Verfügung. Ich kannte das nicht. Ich hatte von Apple-Produkten keine Ahnung. Wenn ich gefragt wurde, sagte ich dazu immer:

„Apfel ist nicht unbedingt meine Lieblingsfirma.“

Also wurde ich in dieses Gerät eingewiesen. Zuerst war der Bildschirm schwarz. Das fand ich sehr angenehm. Dann erschien ein weißer Apfel auf dem Display, und eine feine weiße Linie, die immer länger wurde, zeigte an, in welchem Maße dieses Tablet seine Programme geladen hatte. Das ging auch. Da tat nichts weh.

Dann wurde der Bildschirm hell, und in meinen Augen und in meinem Kopf explodierte ohne jede Vorwarnung eine grauenhafte Kakophonie in bunt. Es war ein Desaster!

Im Reflex wandte ich sofort ruckartig den Kopf ab und meinte nur:

„Davon bekommt man ja Augenkrebs!“

Der junge Mann, der mich in dieses Gerät einwies, schaute mich sehr vorwurfsvoll an.

Für mich ist die Hölle nicht nur grün, sie ist auch bunt.

Und sie trägt klangvolle Namen wie Windows oder Apple.

Aber ihr NTs wollt eure Welt so. Wenn das nicht so wäre, dann hättet ihr sie euch nicht so eingerichtet.

 

Ich tausche in meiner Welt sukzessive alles, was bunt ist, gegen schwarze Gegenstände aus. Ich sitze gerade an meinem Schreibtisch. Die Farbe, die hier vorherrscht, ist schwarz. Ich liebe Schweizer Taschenmesser. Auf meinem Schreibtisch liegen drei rum. Alle schwarz. Als ich vor ca. einem Jahr zufällig mitbekam, dass es Schweizer Taschenmesser auch in schwarz gibt, habe ich sie mir zu Weihnachten geschenkt. – Es war ein Fest! Jetzt tun mir meine Taschenmesser nicht mehr in den Augen weh.

 

Grau (wie Nebel) und beige gehen auch. Oder gedeckte Farben. Oder ganz, ganz dezente Farben. Ich würde meine Wohnung nicht schwarz streichen. Es ist schon ok, wenn die Wände heller sind. Unangemaltes Holz ist auch ok. Aber bitte nicht bunt.

 

 

2

Der Wandschmuck, die Böden

 

Wenn irgendwo was an den Wänden hängt, bleiben meine Augen schmerzhaft daran hängen. Das gilt für Innenwände wie für Außenwände.

 

Wände in der Wohnung

 

Fotos an den Wänden? Geht in meiner Welt gar nicht! Weder von der lieben Familie (und alle schauen einem in die Augen!) noch von irgendwelchen Landschaften oder Tieren. Fotos an den Wänden tun mir ziemlich weh.

 

Dasselbe gilt für Bilder an den Wänden. Ich kann das nicht ertragen. Wenn ich in Hotels übernachten muss (was aus beruflichen Gründen oft der Fall ist), hänge ich in einer ersten Amtshandlung fast immer erst mal diesen ganzen Quatsch ab, der da an den Wänden hängt. Ich weiß, ihr braucht sowas, um euch wohl zu fühlen. Für euch sind „nackte“ Wände ein Graus. Für mich sind Wände nur Wände und sonst nichts. Und da hängt bitte nichts – außer Tapete.

Kein Bild, kein Foto, kein Kruzifix, kein Erinnerungszettel, keine Grafik, keine Blumenampel, keine Kerzenlampe - nichts! Gar nichts!

Ein schlichter Kalender, um Termine einzutragen ist ok. Ein Kalender, wohlgemerkt. Schlicht.

 

Zeug, das an den Innenwänden hängt, tut mir fast immer in den Augen weh.

 

Daniela Schreiter, eine autistische Künstlerin, deren Werk ich sehr schätze, hat mir vor geraumer Zeit einen kleinformatigen Kunstdruck von sich geschenkt. Mir bedeutet dieser Kunstdruck sehr viel. Aber er hängt bei mir nicht an der Wand. Er liegt – Bild nach unten – in meinem Bücherregal. Und immer, wenn ich ihn anschauen will, nehme ich ihn in die Hand und drehe ihn um.

 

Meine Welt ist voller Uhren. Aber die sind lautlos und machen keinen Krach (dazu in einem anderen Text mehr). Und vor allem hängen sie nicht an den Wänden. Auf dem Schreibtisch, an dem ich jetzt sitze, befinden sich normalerweise drei Uhren. (Jetzt sind es nur zwei, weil eine offenbar wieder mal von einer meiner Töchter verschleppt wurde). Aber diese Uhren hängen nicht an der Wand.

 

Warum drei Uhren? Eine sollte doch reichen.

Es sind drei Uhren, damit ich den Kopf nur heben aber nicht drehen muss, wenn ich wissen will, wie spät es ist. Sie sind so auf meinem Schreibtisch verteilt, dass ich immer eine im Blick habe, wenn ich den Kopf hebe, egal, wie ich gerade sitze.

 

Oder guckt euch die Lampen an, die bei euch von der Decke hängen oder in der Gegend rumstehen. Für mich ist das fast immer ein schwerer Angriff auf die Augen. Das tut weh!

 

Oder eure Möbel – verziert, verschnörkelt, bunt. Und was steht auf euren Esstischen? Blumen? Kann man die essen? Weg damit! Tischdecke? Braucht kein Mensch! Kerzen? Ja geht’s eigentlich noch?!

 

Hauswände und Flure

 

Da hängt bitte auch nichts. Gar nichts hängt da – außer Tapete respektive Putz, Schiefer etc.

 

 

Teppiche und Fußböden

 

Bunt geht gar nicht. Und bitte auch keine Muster. Und am bitte garnichsten: bunte Muster. Das ist für mich die Höchststrafe.

 

 

So.

Das soll mit den Farben und den Störungen erst mal reichen. Ich denke, das Muster ist klar geworden.

 

Und jetzt lade ich euch, liebe NTs, die ihr so voller „Ich auch!“ seid, ein, die Welt, in der ihr euch so eingerichtet habt, dass es euch gut geht, mit meiner zu vergleichen.

Gibt es da Farben oder nähert sich das, was euch umgibt, langsam aber stetig einem Schwarzweißfilm an?

Wie geht ihr mit Blumen um?

Wie reagiert ihr auf das Bunt, das die Natur uns vor allem im Frühling und im Sommer so überreichlich und üppig bietet? (Übrigens: Grün ist auch bunt).

Was hängt bei euch daheim an den Wänden?

Wie farbig sind eure Schreibtische bzw. eure Arbeitsplätze?

Wie bunt sind eure Teppiche, eure Fußböden, eure Hausflure?

Wie bunt ist eure Kleidung?

Wie bunt ist das Geschirr, das ihr benutzt?

Sind eure Möbel verziert? (Drechseleien und anderer Folterkram)

Sind eure Möbel bunt?

Falls ihr ein Auto fahrt – welche bunten Farbtupfer habt ihr in dieses Auto eingebracht?

Und so weiter.

 

Tatsache ist, dass ich noch nie einen NT erlebt habe, dessen optische Hypersensibilität meiner auch nur annähernd gleichkommt. Das ist nicht weiter schlimm. Schlimm ist nur das permanente „Ich auch!“, das mir NTs reflexhaft entgegenbringen. Da stehen sie dann mit ihrer bunten Kleidung vor mir. Ihr Handgelenk ziert eine bunte Uhr. Wenn sie weiblich sind, sind sie gerne mit buntem Schmuck ausstaffiert (sehr dezent, versteht sich) und dann sagen sie mir:

„Ich auch!“

 

Ja, selbstverständlich. Du auch. Was denn sonst?

Mittlerweile sage ich nichts mehr dazu.

Aber hier wollte ich das mal alles aufschreiben.

 

 

Kommen wir zum nächsten Punkt bei „optisch“:

 

 

3

Helligkeit

 

Euer hell ist nicht mein hell. Wenn ich tagsüber draußen bin, trage ich fast immer eine Sonnenbrille. Es ist die stärkste Sonnenbrille, die ich in Deutschland auftreiben konnte – sie filtert 95% des Sonnenlichtes raus: Man hat mir gesagt, das sei Standard bei Gletscherbrillen.

Aber ich gebe gerne zu, dass ich oft gerne eine deutlich stärkere Sonnenbrille hätte.

 

Und bitte, ihr lieben Ich-auch!-NTs:

Noch niemals habe ich es erlebt, dass jemand eine Sonnenbrille so oft und so durchgehend trägt wie ich. Ich trage diese Sonnenbrille, wenn es regnet, ich trage sie in der Dämmerung, und wenn Innenräume große lichtdurchflutete Fenster haben, dann trage ich diese Brille auch oft genug in geschlossenen Räumen.

Und nochmal, weil das an dieser Stelle so wichtig ist: Ich trage in diesem Fall in den Innenräumen nicht irgendeine modisch-schicke Schmunzipunz-Sonnenbrille, wie man sie halt trägt, weil man so – hach! – so sensibel ist und das helle Sonnenlicht nun wirklich nicht so gut verträgt. Ich trage in diesen Innenräumen eine Gletscherbrille.

 

Ich komm‘ grad vom Einkaufen zurück. Es ist 08:00 in der Frühe, es ist Frühherbst. Draußen geht ein permanenter Nieselregen nieder. Ich kann euch versichern, dass ich beim Einkaufen vielen, vielen Menschen begegnet bin. Keiner von ihnen trug eine Sonnenbrille.

 

 

4

Optisch wahrnehmbare Bewegung

 

Auch das ist etwas, womit mich NTs in den Wahnsinn treiben können: Bei ihnen ist es beinahe nie ruhig. Optisch ruhig meine ich.

 

Das beginnt mit diesen vermaledeiten Uhren, bei denen sich gut sichtbar (und hörbar! – aber dazu in einem anderen Text mehr) ein Sekundenzeiger bewegt. Ich kann euch versichern: Sowas gibt es in meiner Welt nicht. Uhren sind ok. Aber die bewegen sich nicht. Die stehen in meiner Welt nur so da rum. Die blinken nicht im Sekundentakt mit ihren freundlichen Doppelpunkten zwischen den Zahlen, und da rückt auch kein Sekundenzeiger gut sichtbar und ohne jedes Erbarmen vor.

Es gibt Menschen, die haben Standuhren in ihrer Wohnung, da dreht sich am Sockel ein Kranz aus bunten Kugeln immerwährend von links nach rechts und von rechts nach links.

Es gibt Menschen, die haben Standuhren, wo sich ein wuchtiges Pendel permanent bewegt.

Und so weiter.

Uhren in Bewegung – ein unverzichtbarer Bestandteil meiner ganz privaten Hölle.

 

Wenn es irgend geht, kaufe ich Elektrogeräte, die nicht blinken, wenn man sie auflädt, einschaltet oder in Betrieb nimmt. Dass ihr überhaupt auf die Idee kommt, sowas zu produzieren bzw. gut zu finden, zeigt mir, dass unsere Welten nicht kompatibel sind.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass es in eurer Welt unablässig blitzt, blinkt, flackert, wackelt und ruckt. Etliche von euch können offenbar gar nicht mehr anders sein. Eure ganze Welt hat ADHS.

 

In meiner Welt wird auch nicht nervös mit den Fingern auf der Tischplatte getrommelt. Wenn ich sitze, dann tapse ich nicht nervös mit den Füßen rum. Ich fahre mir nicht unablässig mit den Fingern durch die Haare und rutsche auch nicht ständig herum. In meiner Welt ist es optisch ziemlich ruhig.

 

Bei euch flackert die Weihnachtsbeleuchtung. Geht gar nicht!

Bei euch – wenn ihr in Städten wohnt -, wandern nachts bunte Lichter - von Autos produziert – an der Zimmerdecke lang. Geht gar nicht!

Ihr liebt bunte und flackernde Leuchtreklame. Wenn das nicht so wäre, würde es diese bunte und flackernde Leuchtreklame nicht geben.

Ihr hängt euch glitzernden Schmuck in die Wohnungen, der sich beim leisesten Windhauch dreht und das einfallende Licht in unterschiedlichste Richtung reflektiert oder schreckliche Schatten wirft. Die reine Folter!

Bei manchen von euch baumelt am Innenspiegel des Autos irgendwas rum.

Und so weiter.

 

Und natürlich die Krönung des optischen Overloads – der Fernseher!

Habt ihr sowas?

Guckt ihr in sowas freiwillig rein? (Wenn das Ding angeschaltet ist, meine ich).

 

Ich selber schaue mir gerne mal Filmbeiträge auf YouTube an. Aber nur dort. Denn dort habe ich jederzeit die volle Kontrolle über das Geschehen. Ich weiß ganz genau, was da jetzt kommen wird, und ich kann mit einem Mausklick das ganze anhalten oder ausschalten. Und der Bildschirm ist – verglichen mit euren Fernsehern – sehr klein. Das ist ganz, ganz wichtig: Das bewegte Bild ist klein!

 

 

Gut.

Das soll erst mal zu „optisch“ reichen. Eigentlich wollte ich hier nahtlos den akustischen und den olfaktorischen Teil anschließen, aber wenn ich das gemacht hätte, wäre der Text zu lang geworden.

 

Ich werde das irgendwann später nachholen.

 

Und falls du ein NT bist und trotz dieser Lektüre sagst:

„Ich auch!“, dann sage ich dir aus meiner Erfahrung:

„Nein, du nicht.“

Wenn du sagst: „Ich auch!“, dann bist du entweder ein AS, der noch nicht diagnostiziert wurde oder ein NT, der sein Selbstbild nachjustieren muss. Tertium non datur.

Damit wirst du leben müssen.

Aber falls es dich tröstet:

Da draußen sind ganz viele Menschen, denen du tatsächlich sehr ähnlich bist. Zu denen kannst du hingehen, und ihr könnt gemeinsam eine selige und harmonische Orgie des „Ich auch!“ feiern – sensibel bis zum Anschlag.

 

Da fühlt ihr euch bestimmt alle sehr wohl bei. So sensibel, so gemeinsam und so harmonisch meine ich.

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Kommentare: 2
  • #1

    Tina (Sonntag, 03 Oktober 2021 14:42)

    Wieder ein sehr interessanter Beitrag, danke dafür. Ich bin auch diagnostizierte Autistin und finde einen persönlichen Unterschied sehr interessant: Ich liebe Farben, habe eine weit überdurchschnittliche Farbwahrnehmung und besonders die Grüntöne in der Natur haben einen sehr beruhigenden Effekt auf mich. Dafür bin ich was Geräusche angeht echt aufgeschmissen ;) Punkt drei und vier kann ich so unterschreiben.

  • #2

    Stiller (Sonntag, 03 Oktober 2021 15:56)

    Ich danke dir für diese Rückmeldung, Tina.
    Sie macht mir deutlich, dass mein Text vermutlich nicht vollständig ist.

    Du schreibst:
    "Ich liebe Farben, habe eine weit überdurchschnittliche Farbwahrnehmung"

    Das ist bei mir nicht anders.
    Aber meine Farben sind innen, nicht außen. Ich bin Synästhet. Beinahe alles, was ich wahrnehme, löst Farben und Bilder in mir aus.

    Ich sehe dich in 200 Metern Entfernung - du gehst auf mich zu? Die Farben und Bilder, die ich dabei wahrnehme, sagen mir sehr zuverlässig, wie es dir im Moment geht.

    Ich lese ein Buch über irgendwelches Mathezeug? Die Farben und Bilder, die ich dabei wahrnehme, sind vielgestalter und umfangreicher als bei einem Feuerwerk.

    Du betrittst einen Raum, in dem ich bereits sitze und öffnest dafür die Tür? Die Bilder und Farben, die dadurch ausgelöst werden, wie du diese Tür öffnest, sagen mir sehr viel über dich.

    Und so weiter.

    Meine Welt ist voller Farben und voller Bilder.
    Aber diese Bilder und diese Farben sind innen.
    Sie sind weit weniger intensiv als das, was mir an Farben und Bildern von außen angeboten wird.
    Aber sie sind da, und sie bedeuten mir sehr, sehr viel.
    Ohne sie bin ich blind und hilflos.
    Die Farben von außen überschreien und zerstören das alles.