Von „Menschen mit Autismus“ und andern Eigenheiten des zeitgenössischen politisch korrekten Neusprech

Warnung:

Dieser Blog ist nicht politisch korrekt. Er war nie politisch korrekt und wird es vermutlich auch nie sein.

 

Die deutsche Sprache ist mir extrem wichtig. Mein zweitältestes Spezialinteresse ist: „Worte – was sie bedeuten und wie sie zusammengesetzt werden.“ Wer immer auch versucht, mir in meine Sprache reinzureden oder gar drin rumzupfuschen, muss mit meinem energischen Widerstand rechnen.

 

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Vor gut 20 Jahren gab es die sogenannte „Rechtschreibreform“. Sie wurde nach vielen, vielen Jahren der Diskussion unter Experten von irgendwelchen Politikern, die dafür nicht das Mandat hatten, von oben befohlen.

 

Auf einmal sollten wir alle deutlich anders schreiben als vorher, weil einig Experten dazu rieten und ein paar Politiker das befahlen. Demokratisch geht anders.

 

Die deutsche Sprache ist eine ungemein schwierige Sprache, die voller Widersprüchlichkeiten und Ungereimtheiten steckt. Wer das nicht glaubt, kann sich im Internet mal anschauen, wie Ausländer, die Deutsch lernen wollen, an Dingen verzweifeln, die uns selbstverständlich sind. So ist zum Beispiel das Gegenteil von „umfahren“ tatsächlich „umfahren.“

Beispielsatz:

„Da steht ein Mann mitten auf der Straße! Wenn du ihn nicht umfahren willst, dann musst du ihn umfahren!“

 

Wer bitteschön soll das verstehen, wenn er sich von außen dieser Sprache annähert?

 

Orthografisch richtig deutsch zu schreiben ist selbst für Experten oft ein Ding der Unmöglichkeit. Und über die komplizierten Regeln der Interpunktion wollen wir lieber gar nicht erst reden. Der Duden, der bei mir im Schrank steht, listet knapp 200 Regeln auf. 200 Regeln, um die eigene Muttersprache richtig zu schreiben! – So kann man sich auch beschäftigen.

 

Mit anderen Worten:

Die deutsche Sprache zu vereinfachen, damit sie leichter zu lernen und besser zu schreiben ist, scheint dringend angeraten.

 

Aber was diese „Rechtschreibreform“ zuwege brachte, war für mich schlicht eine Katastrophe. Die deutsche Sprache wurde nicht einfacher, sondern komplizierter. Und schlimmer noch: Sie wurde ungenauer, undeutlicher und widersprüchlicher.

So sollten zum Beispiel zusammengesetzte Adjektive immer in zwei Worten geschrieben werden. Aus einem Wort „vielversprechend“ sollte also zwingend „viel versprechend“ werden.

 

Aber wie unterscheidet man unter diesen Umständen zum Beispiel sowas:

 

a)    Ein vielversprechender Nachwuchspolitiker

b)    Ein viel versprechender Nachwuchspolitiker

 

Ich schaute mir diese Rechtschreibreform genau an und beschloss:

Niemals! Nur über meine Leiche!

So werde ich niemals schreiben!

 

Aber die verantwortlichen Politiker glaubten, einfach so über die Sprache der Bevölkerung verfügen zu können und dekretierten: So muss ab jetzt geschrieben werden. Wenn jemand anders schreibt, dann ist das falsch. Wie ich oben schon schrieb: Demokratisch geht anders.

 

Und so wurden dann zum Beispiel ab sofort die Grundschüler getriezt, die ein ganz merkwürdiges Deutsch lernen mussten.

 

Es gab durchaus Widerstand in der Bevölkerung. Aber je mehr Widerworte es gab, desto energischer wurde der Druck der Obrigkeit, diese Reform jetzt zügig und unerbittlich umzusetzen.

 

Aber niemand murkst mir in der Sprache rum. Die deutsche Sprache ist die einzige, die ich kenne, in der man sich extrem präzise ausdrücken kann. Niemand verwässert mir das, indem er Regeln einführt, die der deutschen Sprache ihre Präzision nehmen.

 

Der Vorstand des Unternehmens, in dem ich damals arbeitete, beschloss und dekretierte:

„Wir halten uns alle an die neue deutsche Rechtschreibung!“

Das ist etwas, was Vorstände aller großen Unternehmen offenbar sehr gut können – gehorsam hinter irgendwelchen Trends herlaufen.

 

Ich beschloss:

Vorstand, du kannst beschließen, was du willst. Niemand nimmt mir meine Sprache. Niemand! Auch der Vorstand nicht.

 

Ich weigerte mich kategorisch, der Rechtschreibreform zu folgen. Dafür bekam ich starken politischen Druck am Arbeitsplatz, aber das war mir egal.

 

Letztendlich ist diese Rechtschreibreform gescheitert, weil die Bevölkerung einfach nicht mitzog. Die Universitäten, die Schulen, die Behörden und all die, auf die der Staat Druck ausüben konnte, setzten diese Reform um. Der Rest der Bevölkerung ging in den passiven Widerstand und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein (Sprachbild). Es hielten sich einfach so wenig Menschen an diese Rechtschreibreform, dass sie aufgegeben werden musste.

 

2

Nach einem Vortrag an einer großen Universität im Norden Deutschlands standen die üblichen Verdächtigen (Sprachbild) um mich herum und wiesen mir meine zahlreichen Fehler nach. Lauter Studenten und Studentinnen, die von keinerlei Sachkenntnis getrübt - dafür aber mit einer Überdosis des korrekten politischen Bewusstseins abgefüllt - genau wussten, was richtig und was falsch war. Das ist etwas, womit ich bei meinen Vortragsreisen leben muss: Je weiter ich nach Norden komme, desto mehr Studenten finden sich nach dem Vortrag bei mir ein, um mir zu erzählen, wie’s richtig ist.

 

In diesem Fall erzählte mir eine politisch offenbar sehr bewusste und sichtlich aufgebrachte Studentin, dass ich in meinem Vortrag nicht „gegendert“ hätte. Ich kannte diesen Begriff nicht. Ich ließ ihn mir von ihr erklären. Ich war völlig verblüfft von ihrem Ansinnen. Dann antwortete ich ihr aber spontan:

„Ich freue mich sehr für Sie, dass es Ihnen gelungen ist, Ihr Leben so einzurichten, dass das ein ernsthaftes Problem für Sie ist.“

 

Ich habe mich danach natürlich schlau gemacht, was es mit dieser Genderei so auf sich hat. Dabei stellte ich fest:

Im Zuge der „Ich bin beleidigt, also habe ich recht“-Welle, die zur Zeit rund um den Planeten schwappt, hatte sich eine autoautorisierte Sprachpolizei gebildet, die jeden energisch darauf hinzuweisen hatte, wenn er nicht korrektes Neusprech sprach. In den Beiträgen, die ich las, ging es richtig zur Sache. Das Schicksal der Menschheit hing offenbar davon ab, dass man alles und jeden mitsprach, um nur bloß niemandem das Gefühl zu geben, nicht gemeint zu sein. Der nächtliche Himmel der deutschen Sprache hing auf einmal voller Gendersternchen. Kann man so machen. Beim Sprechen habe ich nichts dagegen, aber ich werde den Teufel tun, beim Schreiben irgendwelche Sonderzeichen in meine Texte einzufügen, weil die Sprachpolizei das befiehlt. Ich selber habe nichts dagegen, mich einer Kultur anzupassen und zum Beispiel von „Studenten und Studentinnen“ zu sprechen, wenn ich dort zu Gast bin. Wenn man in diesem sozialen Umfeld so spricht – warum nicht? Es ist zwar ein wenig umständlicher aber nicht falsch.

 

Aber die Sprachpolizei wollte eben deutlich mehr. Sie wollte nicht Verhaltensänderung, sondern Gesinnungswandel. Die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, hat es zum Beispiel schon verinnerlicht. Sie spricht nicht von „Studenten und Studentinnen“, sondern entweder von „Studierenden“ oder – das gefällt ihr wesentlich besser – von

„Student[Sprechpause]innen“.

Das ist politisch korrektes Neusprech und zeigt, dass man auf der richtigen Seite steht, die richtige Gesinnung hat und zu den Guten gehört.

 

Da ich keinerlei Interesse daran habe, zu den Guten zu gehören oder auf irgendeiner Seite zu stehen, lasse ich das. Ich spreche deutsch und nicht Neusprech.

 

Um die Dinge klarzustellen, leite ich meine Vorträge an Universitäten seit dieser Zeit damit ein, dass ich darum bitte, dass man mir nachsieht, dass ich manchmal nicht beide Geschlechter mitspreche. Dann sage ich sowas wie:

 

„Ich komme aus einer Welt, in der man nicht dafür bezahlt wird, dass man politisch korrekt ist, sondern dafür, dass man Probleme löst. Ich beschäftige mich mit Aufgabenstellungen und Problemen, die recht schwerwiegend sind. Wenn sich zum Beispiel jemand hilfesuchend an mich wendet, weil er als Kind von erwachsenen Familienmitgliedern vergewaltigt wurde, dann kommt es nicht darauf an, politisch korrekt zu sein. Dann kommt es darauf an, dass dieser Mensch rasch die Hilfe bekommt, die er jetzt im Moment braucht. Und ich kann Ihnen versichern: Derlei Gespräche führe ich häufiger. Wenn aber das Gendern und die politische Korrektheit in Ihrem Leben eine wichtige Rolle spielt, dann akzeptiere ich das. Ich gratuliere Ihnen, dass Sie Ihr Leben so einrichten konnten, dass das eine so wichtige Rolle spielt. Die Welt, aus der ich komme und aus der ich heute zu Ihnen spreche, sieht anders aus. Meine Wirklichkeit ist eine andere.“

 

3

Manchmal schaue ich mir an, was andere Autisten im Internet posten. Und seit einiger Zeit stoße ich auch hier auf wahre Fluten der politischen Korrektheit. Manchen Autisten ist es offenbar wichtig, dass man nicht von Autisten, sondern von „Menschen mit Autismus“ spricht.

 

Das können die für sich gerne so machen. Wenn sie Menschen mit Autismus sind, dann nehme ich das zur Kenntnis. Ich selber bin Autist. Und tatsächlich: Ausnahmslos alle „Menschen mit Autismus“, die ich kenne, sind in Wirklichkeit Autisten.

 

Warum ist diese Unterscheidung für mich so wichtig?

 

a

Von „Menschen mit Autismus“ zu sprechen, ist erst dann logisch sinnvoll, wenn auch Steine, Pflanzen oder Tiere autistisch sein können. Nach meinem Kenntnisstand ist Autismus aber etwas typisch menschliches. Also ist von „Menschen mit Autismus“ zu sprechen, ungefähr so sinnvoll, wie von „tierischen Pferden“ oder von „pflanzlichen Bananen“ zu sprechen.

 

b

Wenn ich es richtig verstanden habe, dreht es sich um etwas, was im Bereich des politisch Korrekten „Ableismus“ genannt wird. Da geht es darum, dass Menschen nach ihren Fähigkeiten beurteilt werden. Ich kann mich aber auch irren. Ich erlebe das als eine aufgeregte, in Teilen geradezu hysterische „Ich bin betroffen!“- und „Ich bin beleidigt!“-Diskussion. Daran habe ich keinen Anteil. Ich bin weder betroffen noch beleidigt und verstehe vieles aus dieser Diskussion nicht.

 

Wie auch immer:

„Mensch mit Autismus“ soll offenbar bedeuten:

In erster Linie bist du ein Mensch. Also solcher sollst du betrachtet und behandelt werden. Und erst in zweiter Linie bist du Autist.

 

Für mich ist das gelebte Diskriminierung. Ich bin Autist durch und durch. Ich bin Autist in erster, zweiter und dritter Linie. Autismus macht mich aus. Autismus ist mein Wesenskern. Wenn ich von meiner Persönlichkeit das abziehe, was autistisch ist, dann bleiben maximal fünf Prozent von mir übrig. Ich bin also nicht ein Mensch mit dem Anhängsel oder der Ausprägung Autismus, sondern Autismus ist exakt das, was mich definiert und ausmacht. Mein Autismus ist keine Behinderung, keine Störung und auch kein Anhängsel von mir, sondern mein Wesenskern.

 

Und deshalb bin ich Autist. Und sonst nichts.

(Völlig egal, was die politisch korrekten Menschen von der Sprachpolizei sagen).

 

4

Das war vor ungefähr zehn Jahren. Ich hatte damals eine Chefin. Wir machten gerade das jährliche Bewertungsgespräch, in dem es darum ging, in welchem Maße ich meine Ziele erreicht hatte. Da Teile meines Gehalts variabel sind, wirkt sich das jährliche Bewertungsgespräch unmittelbar auf mein Einkommen aus.

 

Die Chefin lobte mich in den höchsten Tönen und ein ums andere Mal wollte sie mir ein A geben – die höchste von fünf Kategorien. Ich sagte ihr:

„Nu mach‘ mal langsam. Mir reicht es, wenn ich gut bin. Ich will im Konzern aber nicht auffallen.“

„Wie meinst du das?“

„Ich habe kein gutes Gefühl dabei, wenn ich auf einmal so gut bin, dass alle möglichen Leute in der Zentrale über meinen Namen stolpern und über mich sprechen.“

„Ach, du hast Angst, gepetermüllert zu werden?“

Ich verstand nicht.

Wenn ich eine Comicfigur gewesen wäre, wären über meinem Kopf drei dicke Fragezeichen aufgetaucht. Gepetermüllert? Was sollte das sein?

Die Chefin interpretierte meinen Gesichtsausdruck richtig und setzte mich ins Bild:

 

Peter Müller war eine der besten Nachwuchsführungskräfte des Konzerns gewesen – begabt, beliebt, über die Maßen leistungsstark und erfolgreich. Er war Abteilungsleiter gewesen und hatte sich auf eine freie Bereichsleiterposition beworben. Bevor er das getan hatte, hatte er sich natürlich bei den verantwortlichen Stellen versichert:

a)    diese Position ist frei und könnte von mir besetzt werden

b)    wenn ich diese Position nicht bekomme, kann ich meine alte Stelle behalten.

 

Das war schlau und umsichtig von ihm gewesen. Und sowohl a) als auch b) hatte man ihm vollumfänglich bestätigen können. Also hatte er sich beworben.

Aber da es ihm an Lebenserfahrung fehlte, hatte er vergessen, sich über c) Sicherheit zu verschaffen. Und c) war:

c)    diese Stelle hat Bestand und wird nicht demnächst aus Kostengründen gestrichen.

 

Und so bekam Peter Müller eine Bereichsleiterstelle, von der die Verantwortlichen im Ressort Personal wussten, dass sie in drei Monaten aus Kostengründen gestrichen werden würde. Peter Müller verlor also nach drei Monaten seinen Job, und da seine alte Stelle inzwischen nachbesetzt worden war, konnte er nicht mehr zurück.

 

Mit anderen Worten:

Peter Müller war auf einmal arbeitslos.

 

Und laut Aussagen meiner Chefin lag das daran, dass Peter Müller im Konzern derart bekannt und beliebt war, dass die entsprechenden Personen im Ressort Personal vor Neid zerfressen waren und sich lange überlegt hatten, wie sie ihn aus dem Konzern kriegen könnten.

 

Ich wusste, wer der zentrale Personalverantwortliche in dieser Sache war und knurrte nur:

„Diese Ratte!“

 

Meine Chefin sah mich tadelnd an und sagte mir:

„‘Ratte‘ sagt man nicht mehr. Man sagt jetzt: ‚Langschwänziges Nagetier mit Kanalisationshintergrund‘.“

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Kommentare: 1
  • #1

    Peter (Sonntag, 04 Juli 2021 18:19)

    Servus Stiller,

    Zum Gendern:
    Ich habe eine Alarmanlage, um mich vor Einbrecherinnen und Einbrechern zu schützen. Eines von vielen Beispielen. Dann hast du schnell deine Ruhe.

    Zur Rechtschreibung: Mir ist aufgefallen, dass (oder daß ??) du gewisse Teile der Rechtschreibreform doch übernommen hast. Für mich ging sie in die richtige Richtung, aber nicht wiet genug. Inkonsequenzen einer gewachsenen Sprache wird es immer geben. Das mit dem umfahren: In der gesprochenen Sprache kann man den Unterschied in der Betonung hören. Dieses Gegenteil gilt auch nur für einen stehenden Gegenstand: Einen Ölfleck kannst du nur auf eine Weise umfahren (vielleicht noch links oder rechts, aber ansonsten: durch). Weiterer Unterschied: Entweder du umfährst ihn oder du.....kleiner grammatikalischer Unterschied bei der Konjugation. Allerdings kein deutsch-spezifisches Problem. Ob demokratisch überhaupt vernüpnftig wäre, ist die nächste Frage. Mir scheint ein einstimmiger Beschluss eines Expertenkollegiums besser zu sein als ein demokratischer Mehrheitsbeschluss. Die besten Werke sind eintimmig entstanden, mit Vetorecht für jeden. Beispiel aus der Mathematik: Bourbaki.

    Da bei Menschen mit .... stimme ich dir voll zu. Mein Vorschlag: Menschen mit Neurotypismus. Sie sind vom Leben gestraft, leid tun sie mir trotzdem nicht. Die haben ihr Mitleid bei mir lang verzockt.

    Ich sehe mich im übrigen auch als Autist und nicht als Mensch, vermutlich noch deutlicher als du. Die Menschen soll der Teufel holen. Ich will nicht zu ihnen gehören. Mir ist bewusst: Objektiv bin ich mit ihnen genetisch kompatibel. Das ist aber auch schon alles, was ich sehe.

    Zu letzt zurück zuim Anfang, mit dem Gendern: Ich formuliere es lieber etwas deutlicher: Wenn ihr sonst keine Probleme habt...

    Das mit dem Peter Müller: Kenne ich, eine beliebte Strategie des weg-lobens.