Die Wissenschaftler wissen auch nicht alles 02 - Sicherheit

Manchmal erlebe ich Situationen, in denen wird mir schlagartig manches klar. Die Situationen selber sind meistens völlig banal. Aber plötzlich begreife ich. So eine Situation erlebte ich Mitte der 90er Jahre, als ich zum ersten Mal in meinem Leben in fester Anstellung war. Ich arbeitete in einer kleinen Unternehmensberatung, die Teil eines riesigen, internationalen Konzerns war. Und wie das in Unternehmensberatungen so ist – du hast abstrus lange Arbeitstage (unter 12 Stunden geht gar nichts) und ständig einen derart harten Zeitdruck, dass du schon sehr auf dich achten musst, wenn du nicht untergehen und scheitern willst.

 

Mein Chef und ich arbeiteten an irgendeiner Unterlage für ein sehr wichtiges Projekt. Für buchstäblich alles war viel zu wenig Zeit. Er schickte mich ins Sekretariat, wo ich eine Diskette holen sollte, auf die eine der Sekretärinnen einen Text geschrieben hatte, den wir unbedingt brauchten.

 

Ich ging ins Sekretariat und bat die Sekretärin um die Diskette mit dem Text. Sie drückte mir die Diskette in die Hand. Damit ging ich zurück ins Büro des Chefs. Und jetzt entwickelte sich dieser Dialog:

Chef (sehr ungehalten): „Ist da der Text auch drauf?“

Stiller: „Ich gehe davon aus.“

Chef (wütend): „Ja, ist da der Text jetzt drauf oder nicht?“

Stiller: „Ich gehe davon aus. Ich habe es nicht überprüft.“

 

Das nutzte der Chef für einen seiner cholerischen Anfälle. Von den gut zwei Dutzend Chefs, die ich bis jetzt in meinem Leben gehabt habe, war er mit Abstand der schlechteste. Er war schon Jahrzehnte in der Branche. Aber ich war tatsächlich der erste Angestellte, der es länger als ein Jahr bei ihm aushielt. Der Chef tobte mich an:

 

Chef: „Aber Sie müssen doch wissen, ob der Text auf dieser Diskette ist. Dafür habe ich Sie doch geschickt!“

Stiller: „Sie haben mich geschickt, um die Diskette mit dem Text zu holen. Frau [Name] hat sie mir gegeben. Ich habe nicht überprüft, ob der Text auf der Diskette ist. Ich gehe davon aus.“

 

So ging das noch eine ganze Weile. Ich kannte das schon: Der Chef nutzte mich als seinen seelischen Mülleimer. Er war trotz seines beruflichen Status‘ ein ziemlicher Verlierer und ein emotionaler Analphabet. Und ich war viel zu schüchtern und zu unerfahren, um mich wirksam zur Wehr setzen zu können.

 

Aber in dieser Situation wurde mir schlagartig klar:

„Er will eine Sicherheit, die gar nicht da ist. Diese Sicherheit, die er braucht, die gibt es gar nicht.“

Gleichzeitig wurde mir klar, dass es sehr viele Menschen gab wie ihn, und dass ich mich ganz deutlich von ihnen unterschied:

Sie brauchen für ihr Leben und ihr Wohlbefinden absolute Sicherheit.

Ich nicht.

Wenn ich die Logik habe, dann reicht mir das völlig.

Und wenn mich jemand fragt, ob irgendwas auf einem Datenträger gespeichert ist, und ich das nicht überprüft habe, wäre es unlogisch, wenn ich sagen würde: „Ja.“ Ich kann nur mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen. Aber ich kann diese Sicherheit nicht geben, denn ich habe es nicht geprüft.

 

Der Chef tobte und wütete da rum. Das brachte das Projekt auch nicht voran (und wir standen unter erheblichem Zeitdruck), aber das war ihm in solchen Situationen völlig egal. Er war eben der typische Verlierer. Und ich dissoziierte und derealisierte und dachte nach.

 

Ich definiere mich als Wissenschaftler.

Mit anderen Worten: Ich prüfe ohne Ansehen der Person Meinungen und Fakten und übernehme das als vorläufiges Wissen, was sich bei der Prüfung als das Einleuchtendste erwiesen hat.

 

Das ist das eine.

 

Das andere ist: Ich lege bei der Erkenntnisgewinnung großen Wert auf wissenschaftliche Methoden. Und als Methoden gibt es da vor allem a) die Logik und b) die Mathematik. Wenn man von gültigen Axiomen (Voraussetzungen) ausgegangen ist, dann kann das, was man logisch widerspruchsfrei geschlussfolgert hat, nicht falsch sein. Und wenn die reine Logik nicht weiter hilft, dann gibt es viele, viele mathematische Methoden und Verfahren, mit denen man auf die richtigen Schlüsse kommen kann.

 

Die Sicherheit, die man mit diesen Methoden gewinnen kann, ist aber meistens sehr spärlich. In der Wissenschaft gilt fast immer: Das Wissen von heute ist der Irrtum von morgen. Unser wissenschaftliches Wissen ist fast immer nur ein vorläufiges Wissen.

 

Wenn du also für dein Leben und deine Wohlbefinden absolute und unwandelbare Sicherheiten brauchst (und das in Fülle), dann empfehle ich dir, dich von der Wissenschaft fernzuhalten und dich eher irgendwelchen Glaubenssystemen zuzuwenden. Die Welt ist voll von Menschen, die absolute Wahrheiten verkünden, für die sie absolut keine Belege haben, und die man einfach nur glauben kann. So ein Glaube kann das Gefühl von Sicherheit vermitteln. Das ist zwar alles nur Illusion, aber man fühlt sich sicher. Und darum geht’s ja: Dieses schreckliche Gefühl der ewigen Unsicherheit soll verschwinden.

 

Wen die wissenschaftliche Seite dieses Sicherheitsbedürfnisses interessiert: Man nennt das im Wissenschaftsdeutsch „Ambiguitätstoleranz“. Jemand mit einem geringen Sicherheitsbedürfnis hat eine hohe Ambiguitätstoleranz. Und jemand mit hohem Sicherheitsbedürfnis hat eine niedrige Ambiguitätstoleranz. In der wissenschaftlichen Psychologie herrscht bislang keine Einigkeit, in welchem Maße Ambiguitätstoleranz erlernbar ist und in welchem Maße sie angeboren ist.

 

Im Zuge der Corona-Pandemie bekomme ich in einem stärkeren Maße als sonst mit, wessen Sicherheitsbedürfnis hoch ist. Vor allem drei Dinge fallen mir bei der aktuellen Diskussion immer wieder auf:

1)    Der intensive Wunsch, dass sich die Wissenschaftler einig sein mögen

2)    Der Wunsch nach klaren und definierten Verhaltensregeln

3)    Völlig unwissenschaftliche Aussagen

 

Im Einzelnen:

 

 

1

Die Wissenschaftler sollen sich bitte einig sein.

 

Das geht nicht. Wissenschaft ist immer Wandel. Austausch, Diskussion, Streit und allzu oft wüste Pöbelei bestimmen den wissenschaftlichen Diskurs. Immer. Das war immer so, das wird immer so bleiben. Woran liegt das?

 

Zum einen sind da die Wissenschaftler. Das sind Menschen wie andere auch, und die haben ihre persönlichen Befindlichkeiten, ihre Eitelkeiten und ihren inneren Unfrieden, den sie nach außen tragen. Da wird gezankt, da wird gestritten und oft fallen harte, deutliche und böse Worte. Wer in sich keinen Frieden hat, der trägt diesen Unfrieden nach außen. Das ist auch unter Wissenschaftlern so.

 

Zum anderen ist da die Wissenschaft selber. Und Wissenschaft ist beinahe immer ein „Vielleicht ist das so.“ Oft kann man die Wahrscheinlichkeit berechnen, dass eine bestimmte Aussage richtig ist. Aber dabei bleibt es dann auch – es ist eine Wahrscheinlichkeit, mehr nicht. Es ist keine absolute Sicherheit. Wissenschaft arbeitet fast immer mit probabilistischen Modellen. Und diese Modelle lassen keine absoluten Aussagen zu.

 

Und wenn eine Aussage A mit der Wahrscheinlichkeit von 95% richtig ist, dann gibt es mit Sicherheit unter den Wissenschaftlern völlig überzeugte Anhänger der Aussage B, der im Moment nur 5% Wahrheitswahrscheinlichkeit zukommen. Aber sie sammeln Argumente und führen Forschungen durch, um für die Anerkennung der Aussage B zu kämpfen. So ist das nun mal. Wir haben nichts besseres, um zu gültigen Forschungsergebnissen zu kommen.

 

 

2

Die Wissenschaftler sollen uns sagen, was wir zu tun haben – klipp und klar

 

Das geht nicht. Dazu müssten die Wissenschaftler absolute Sicherheiten haben. Die haben sie aber nicht. Und bei ganz vielen Modellrechnungen müssen sie von vorläufigen Annahmen ausgehen, von denen niemand sagen kann, ob sie zutreffend sind oder nicht.

 

 

3

Die haltlosen, unwissenschaftlichen Aussagen

 

Da tun sich nach allem, was ich sehen kann, vor allem die Journalisten hervor. Anscheinend haben sie in ihrem Studium sehr viel über Journalistik und sehr wenig über Wissenschaft gelernt.

 

Ich will mal die drei Aussageformen nehmen, die ich am häufigsten finde.

 

a)    „Die Zahl der Erkrankten ist um fünf Prozent gestiegen.“

b)    „Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen A und B.“

c)    „Wissenschaftler finden Beweise für …“

 

Was ist an diesen Aussagen auszusetzen?

 

 

a) Die Zahl der Erkrankten ist um fünf Prozent gestiegen.

 

(Völlig abstrus wird das natürlich, wenn das zu der Aussage verdichtet wird: „Erkrankte um fünf Prozent gestiegen“.)

 

Also:

Was ist daran unwissenschaftlich?

 

Zum einen:

Wir wissen nicht, wie hoch die Zahl der Erkrankten ist. Wir wissen nur wie hoch die Zahl der positiven Tests ist. Und die ist ganz stark abhängig davon, wie viele Tests durchgeführt werden. Wenn ich überhaupt nicht mehr teste, kann ich über die Tests auch keine Erkrankungen mehr feststellen. Das bedeutet aber nicht, dass die Zahl der Erkrankten gesunken ist. Und wenn ich buchstäblich jeden teste, dann bekomme ich ganz viele positive Testergebnisse. Das bedeutet aber nicht, dass die Zahl der Erkrankten gestiegen ist.

 

Man kann sich an dieser Stelle zum Beispiel dadurch behelfen, dass man die Anzahl der gesamten Tests durch die Anzahl der positiven Ergebnisse teilt und schaut, ob sich dieser Quotient verändert. (Immer davon ausgehend, dass sich die Zuverlässigkeit (Reliabilität) der Tests nicht verändert. Falls die Reliabilität sich ändert, dann muss man natürlich noch die Maße für die false positives bzw. false negatives jedes Mal neu bestimmen und in die Berechnungen einfließen lassen. (Wissenschaft kann sehr kompliziert sein)).

 

Zum anderen:

Die Aussage, dass irgendwas um fünf Prozent gestiegen ist, ist genauso wissenschaftlich wie die Frage:

„Was ist der Unterschied zwischen einem Kirchturm?“

Wenn wir von Veränderungen sprechen, müssen wir uns immer gleichzeitig anschauen, von welcher Basis wir ausgehen und von welchem Zeitraum wir sprechen: Verglichen mit was hat sich das, was wir untersuchen, in welchem Zeitraum verändert?

 

 

„Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen A und B.“

 

Was ist daran unwissenschaftlich?

Diese Aussage ist inhaltsleer. Alles hängt mit allem zusammen. Wir teilen alle ein gemeinsames Universum. Da beeinflusst sich alles gegenseitig. Ich tippe hier gerade an meinem Schreibtisch in meinen Laptop. Und wenn man fein genug misst, wird man feststellen, dass die Schwerkraft des Jupiters einen Einfluss auf meine Tastatur hat. Wenn Sensationsjournalisten jetzt daraus machen: „Nachgewiesen: Schwerkraft des Jupiters beeinflusst unser Tippverhalten“, dann ist das richtig. Alles beeinflusst buchstäblich alles. Wissenschaftlich wird die Aussage „A hängt mit B zusammen“ jedoch erst dann, wenn man sagt, in welchem Maße A mit B zusammenhängt.

 

 

Ich will es an einem konkreten Beispiel verdeutlichen:

In der Wissenschaft gibt es das „Maß für den Zusammenhang“ (Korrelationskoeffizient). Dieses Maß für den Zusammenhang wird r genannt. r gibt an, wie stark zwei Dinge zusammenhängen, zum Beispiel (A) Population der Katzen und (B) Population der Mäuse.

 

r kann grundsätzlich Werte zwischen -1 und 1 annehmen.

Ein Wert von -1 sagt aus, dass da, wo das eine ist, das andere nicht ist: Da wo es ganz viele Katzen gibt, gibt es überhaupt keine Mäuse und umgekehrt.

Ein Wert von 0 sagt aus, dass kein Zusammenhang zwischen den Populationen von Katzen und Mäusen zu erkennen ist.

Ein Wert von 1 sagt aus, dass da, wo ganz viel von dem einen ist, auch ganz viel von dem anderen ist. Mit anderen Worten: Katzen und Mäuse sind die besten Freunde. (Vermutlich sind wir hier gerade in einem Disneyfilm, da kommt sowas häufiger vor).

 

In der Realität ist es sehr selten, dass r einen Wert von -1 oder 1 annimmt. In der Regel liegt er irgendwo dazwischen.

 

Jetzt nehmen wir mal an, dass der Zusammenhang zwischen der Population der Katzen und der Population der Mäuse  - 0,3 ist. Dann würde wahrscheinlich in der Zeitung stehen:

„Klarer Zusammenhang erkennbar! Wo viele Katzen sind, da sind wenig Mäuse!“

 

Ja, grundsätzlich ist das so. Das zeigen unsere Zahlen ja.

Gleichzeitig muss man aber auch dieses wissen (und das wird in aller Regel unterschlagen (vermutlich, weil die Journalisten das einfach nicht wissen)):

Es gibt das sogenannte „Maß der Varianzaufklärung“. Dieses Maß bestimmt, in welchem Maße wir die Streubreite der Ergebnisse mit unserem Modell erklären können. Denn es ist ja so: Unsere Messergebnisse streuen - Mal sind mehr Mäuse da, wenn viele Katzen da sind, mal sind weniger Mäuse da, wenn viele Katzen da sind. Und um klären zu können, in welchem Maße unser Modell (Katzen vertreiben Mäuse) diese Streuung erklären kann, gibt es das „Maß der Varianzaufklärung“. Das Maß der Varianzaufklärung ist das Quadrat von r. Es wird meist als R2 geschrieben.

 

R2 kann rechnerisch zwischen 0 und 1 liegen. (-12 = 1)

0 bedeutet: Da ist keine Varianzaufklärung.

1 bedeutet: Alle Varianz in unseren Messergebnissen wird durch dieses Modell erklärt.

 

Wenn der Zusammenhang r zwischen Katzenpopulation und Mäusepopulation bei  - 0,3 liegt, dann liegt die Varianzaufklärung R2 bei 0,09. Und das ist sehr weit weg von 1. Wenn wir das in Prozent ausdrücken wollten: 9% der Streuung unserer Messergebnisse kann durch unser Modell erklärt werden.

 

Und hier liegt die Crux an Aussagen, die sich so anhören:

„Wissenschaftler weisen nach: A hängt mit B zusammen!“

Ja, es stimmt. Diese Aussage ist wahr. Die Wissenschaftler haben einen Zusammenhang von A und B gefunden. Aber beinahe nie geben die Journalisten in ihren Artikeln Informationen über r oder R2.

Der Zusammenhang zwischen A und B ist grundsätzlich da, keine Frage. Aber ist er substanziell? Ist hier etwas, worüber sich überhaupt zu reden lohnt? Oder beeinflusst hier gerade mal wieder der Jupiter unser Tippverhalten an der Tastatur?

 

Ich will es anhand einer Analogie verdeutlichen:

Vor vielen, vielen Jahren las ich im Spiegel über die Planung einer neuen Hochgeschwindigkeitsverbindung der Deutschen Bahn zwischen Frankfurt und München. Die projektierten Kosten betrugen mehrere Milliarden Mark. Argumentiert wurde, dass man eine Zugverbindung zwischen diesen beiden Metropolen brauchte, die deutlich schneller war als die alte. Und tatsächlich hätte die Bahn auf dieser neuen Trasse Zeit eingespart: Fünf Minuten.

Es gab hier also einen klaren Zusammenhang zwischen (A) Wir investieren Milliarden in eine neue Zugtrasse und (B) Reisende sparen auf diese Weise Zeit.

Aber der Zusammenhang war in keiner Weise substanziell.

 

Aussagen von Journalisten, die diese Bauart habe

„Wissenschaftler finden Zusammenhang zwischen A und B“ (ohne dass gleichzeitig die Zusammenhangmaße r und R2 berichtet werden, die die Wissenschaftler gefunden haben), die kannst du also voll in die Tonne kloppen. Ich weiß auch ohne Wissenschaftler und ohne Journalisten, dass alles mit allem zusammenhängt. Das ist so, als würde ich in der Zeitung lesen: „Heute ist heute!“

 

Und für die Journalisten unter meinen Lesern:

Ihr macht einen guten, schweren und vor allem überaus wichtigen Job da draußen. Ich weiß das, und ich weiß das zu schätzen. Aber wenn du über Wissenschaft schreiben willst, dann lasse dich bitte vorher in Wissenschaft ausbilden, sonst ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass du hanebüchenen Unsinn schreibst. Du schreibst ja vermutlich auch nicht über Automotoren, ohne von Automotoren gründlich Ahnung zu haben, oder?

 

(Und falls du eine wissenschaftliche Ausbildung hast, dann unterschlage in deinen Artikeln bitte nicht die Zusammenhangmaße und verzichte im Zweifelsfall auf reißerische Artikel, wenn R2 unter 0,2 liegt).

 

 

„Wissenschaftler finden Beweise für …“

 

Das kann ich ganz kurz abhandeln:

Wissenschaftler finden beinahe niemals den Beweis für irgendwas. Sie finden fast immer nur Belege für irgendwas.

Wenn wir in diesem Zusammenhang von „Beweis“ reden, dann gaukeln wir eine Sicherheit vor, die nicht da ist. Wie vor Gericht in einem Indizienprozess tragen Wissenschaftler geduldig Beleg für Beleg zusammen, dass ihre Hypothese richtig ist. Aber Beweise finden sie in aller Regel nicht. 

 

Sicher ist in der Wissenschaft so ziemlich gar nichts, außer dass wir nur vorläufiges Wissen haben.

 

Aber wenn ich mir die Welt um mich herum anschaue und sie mit der Zeit vergleiche, als noch die wissenschaftsfeindliche Kirche mit ihrem absoluten Wissen herrschte, dann habe ich den Eindruck:

 

Wir haben es sehr weit geschafft mit diesem vorläufigen Wissen. Vorläufiges Wissen und Unsicherheit sind der absoluten Wahrheit und der absoluten Sicherheit unbedingt vorzuziehen.

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Kommentare: 2
  • #1

    Peter (Montag, 11 Januar 2021 18:08)

    Hallo Stiller,

    Deine 2 letzten Artikel sind ziemlich umfangreich, deshalb gehe ich im Moment nur auf einen Teil ein.
    Ich denke, dass du mit dem vorläufigen Wissen nicht die Mathematik meinst. Hier gilt wirklich: entweder man weiss es nicht oder man weiss es endgültig. Ein bewiesener Satz wird für immer ein bewiesener Satz bleiben. Es ist auch die einzige Wissenschaft, in der es Beweise gibt. Dass Mathematiker selber wieder Menschen sind, wie du im Punkt 1 schreibst, ist klar. Sie sind untereinander nicht immer die besten Freunde. Aber jedenfalls kann ein Mathematiker den korrekten Beweis eines anderen nachvollziehen und wird nicht widersprechen. In der Hinsicht sind sie sich einig.
    In der Physik gibt es bereits inhaltlichen Streit der Physiker untereinander, sie sind sich nicht einig. Das dringt aber nicht sehr weit nach aussen.

    Ich gehe noch auf Punkt 3 über haltlose Aussagen ein, genauer auf c. Wie schon oben geschrieben, Beweise gibt es nur in der Mathematik. Als einen Beleg definiere ich eine Beobachtung, die zur Hypothese nicht in Widerspruch ist. Gerade im Beispiel eines Indizienprozesses vor Gericht ist das ein Problem. Das Urteil hat für den Angeklagten immerhin extreme Konsequenzen. Hier wäre absolute Sicherheit wirklich wünschenswert. In der Praxis habe ich meine Zweifel am Prinzip "in dubio pro reo".

    Das Beispiel mit der Corona-Pandemie: Hier würde ich ebenfalls sagen, dass mit VOR-läufigem Wissen VOR-schnell VOR-eilige VOR-Schriften erlassen werden.
    Ich sage, man soll die Sache akademisch analysieren und erforschen, aber mit Veröffentlichungen zumindest so lange warten, bis sie sich nicht mehr häufig ändern. Und erst recht mit Gesetzen, die nach solchen "Erkenntnissen" beschlossen werden.

  • #2

    Stiller (Mittwoch, 13 Januar 2021 21:56)

    Hallo Peter,

    vielen Dank für deine Rückmeldung. Da sind sehr viele Denkanstöße für mich drin.

    Im Einzelnen:

    Du schreibst:
    "Ich denke, dass du mit dem vorläufigen Wissen nicht die Mathematik meinst."
    Das ist korrekt.
    Die Bereiche der Wissenschaft, in denen ich mich bewege und halbwegs sicher fühle, sind anwendungsbezogen und deutlich weniger fomalisierbar als die Mathematik.


    Du schreibst:
    "Als einen Beleg definiere ich eine Beobachtung, die zur Hypothese nicht in Widerspruch ist. Gerade im Beispiel eines Indizienprozesses vor Gericht ist das ein Problem. Das Urteil hat für den Angeklagten immerhin extreme Konsequenzen. Hier wäre absolute Sicherheit wirklich wünschenswert."
    Es ist richtig, dass absolute Sicherheit in solchen (und vielen anderen Fällen) "wirklich wünschenswert" wäre. In meiner Welt ist es sehr wichtig, sich der Tatsache zu stellen und sie vollumfänglich zu akzeptieren, dass es diese Sicherheit nicht gibt. Mit all den - zum Teil schrecklichen - Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Das ist für mich ein sehr wichtiger Teil davon, die Welt so zu sehen, wie sie tatsächlich ist und nicht so, wie man sie gerne hätte.

    Wir sind als Menschen alle ganz schrecklich fehlbar, und ein Leben zu führen, ohne massiv schuldig zu werden, ist nicht möglich. Das gilt insbesondere für die Menschen, die Verantwortung übernehmen.


    Du schreibst:
    "Ich sage, man soll die Sache akademisch analysieren und erforschen, aber mit Veröffentlichungen zumindest so lange warten, bis sie sich nicht mehr häufig ändern."
    Das sage ich auch.
    Nach meiner Erfahrung stehen jedoch zwei ganz wichtige Größen dem entgegen, dass dieser Grundsatz auch gelebt wird:
    a) Das Bedürfnis der handelnden Personen nach sozialer Beachtung
    b) Die Knappheit der Ressourcen. (Hier vor allem: Geld und Machtmittel sind immer notorisch knapp).