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It’s been such a long week
So much crying
I no longer see a future
I’ve been told when I get older
That I’ll understand it all
But I’m not sure if I want to
Aus einem Lied, das meinen Kleinen schon immer sehr viel bedeutet hat.
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Ich nehme an, dass es sehr vielen Kindern so geht, dass sie sich immer wieder die Frage stellen, ob es sich überhaupt lohnt, groß zu werden. Und aus dem, was ich bei Menschen erlebe, die de jure erwachsen sind, schließe ich, dass die meisten von ihnen sich – zumindest in Teilbereichen – dagegen entscheiden.
Dass ich erwachsene Menschen so erlebe, dass sie sich über längere Zeiträume (mehr als ein paar Minuten) wie Erwachsene verhalten, ist sehr, sehr selten. Die allermeisten erwachsenen Menschen erlebe ich als unglückliche Kinder, um die die Hülle eines Erwachsenen gewachsen ist. Diese Kinder tun so, als wären sie erwachsen, sind es aber nicht. Erwachsen zu werden – also tatsächlich erwachsen und nicht nur älter – scheint für die allermeisten Menschen in vielen Bereichen entweder
a) nicht erstrebenswert oder
b) nicht möglich
zu sein.
Darüber hinaus scheint für Erwachsene, die Eltern sind, zu gelten:
Beinahe alle Eltern neigen dazu, ihre Kinder mit ihren Eltern zu verwechseln. Das tun sie nicht ständig aber viel zu oft. Sie schieben dann den Kindern die Elternrolle zu, damit sie selber die Kinder sein dürfen.
Mir geht es dabei nicht darum, dass ein Erwachsener sich gefälligst immer erwachsen zu verhalten hat. In meiner Welt ist es so, dass das Leben nur dann lebenswert ist, wenn die Kinder in uns möglichst viel und möglichst oft zu ihrem Recht kommen. Aber es gibt im Leben eines jeden Erwachsenen haufenweise Situationen, in denen hat ein Kind nichts zu suchen. Da hat der Erwachsene zu schalten und zu walten. Alles andere ist diesen Situationen nicht angemessen und führt zu dysfunktionalem Verhalten. Sowas gilt zum Beispiel fast immer für Krisensituationen. Oder für Situationen, in denen sich jemand auf dich verlassen muss – zum Beispiel ein Kind. In so einer Situation ist der Erwachsene bitte erwachsen und schiebt nicht die Rolle des Erwachsenen einem anderen zu – zum Beispiel einem Kind!
Als ich selber ein Kind war, war ich ausschließlich von Erwachsenen umgeben, die als Kind beschlossen hatten, nie erwachsen zu werden. Alle – ohne jede Ausnahme – waren große Kinder, die nur wie Erwachsene aussahen. Sie verhielten sich wie Kinder, sie dachten so, sie fühlten so. Eltern, Verwandte, Ärzte, Lehrer, die Leute, die ich auf der Straße traf – ohne jede Ausnahme. Auf niemanden konnte ich mich in ernsten Situationen verlassen. Oder präziser: Ich konnte mich darauf verlassen, dass sie in Situationen, die ihnen schwierig erschienen, zum Kind mutierten. Sie dachten, fühlten und handelten dann wie ein Kind. Dann sollte jemand anders für sie erwachsen sein – am besten ich. … Und so ziemlich jede Situation schien für sie so schwierig zu sein, dass sie innerlich zum Kind wurden.
Meinen ersten Erwachsenen habe ich erlebt, als ich 22 Jahre alt war. Da begegnete ich zum ersten Mal einem erwachsenen Menschen, der ziemlich zuverlässig auch in anspruchsvollen Situationen erwachsen blieb.
Ich kann es Kindern nicht verdenken, wenn sie nicht groß werden wollen. Wenn sie für immer ein Kind bleiben wollen, dann haben sie dafür sehr triftige Gründe. Aber als ich selber noch ein Kind war, habe ich Erwachsene immer dafür gehasst, dass sie nicht erwachsen waren. Und so habe ich als Kind beschlossen, groß zu werden. Und wie!
Sowas zu beschließen war für mich aber auch nicht weiter schwierig. In der Welt, in der ich groß wurde, lohnte es sich in keiner Weise, ein Kind zu sein. Im Gegenteil: Weil ich unter so katastrophalen Umständen groß wurde, war ich viel zu früh viel zu erwachsen.
Und so musste ich in meiner ersten Psychotherapie lernen, ein Kind zu sein. Das war sehr mühsam und schmerzhaft. Und es dauerte viele, viele Jahre. – Aber das ist eine andere Geschichte, und die soll ein anderes Mal erzählt werden.
Viele andere Menschen, die ich kennengelernt habe, nutzten ihre Psychotherapie, um zum ersten Mal in ihrem Leben erwachsen zu werden.
Heute bin ich meinem 60. Lebensjahr näher als dem 50. Ob – bzw. in welchem Maße – ich erwachsen bin, das will ich mal dahingestellt sein lassen. In meinen Seminaren sage ich an dieser Stelle: „Wenn ihr die ganze schreckliche Wahrheit über mich wissen wollt, dann fragt meine Frau.“ Wenn ich Kindern begegne (echten Kindern oder den Kindern in Erwachsenen), ist mir jedoch folgendes wichtig:
a) Ich bin ein Mensch. Als solcher bin ich sehr begrenzt und darüber hinaus ziemlich schwach und verletzlich. Des Weiteren gilt: Das allermeiste, was ein Mensch können kann, das kann ich nicht. Mit anderen Worten: Die weitaus meisten Probleme kann ich nicht lösen. Da kann ich so erwachsen sein, wie ich will.
b) Wenn du die Einschränkungen, die sich aus a) ergeben, berücksichtigst, dann gilt: Du kannst dich darauf verlassen, dass ich mich erwachsen verhalten werde, wenn du dich auf mich verlassen musst. Ich kann vermutlich dein Problem nicht lösen. Aber ich werde mich erwachsen verhalten. Verglichen mit den meisten anderen Menschen bin ich extrem krisenfest. Kinder sind mit fast allen Problemstellungen, für die man einen Erwachsenen braucht, hoffnungslos überfordert. Deshalb mutiere ich in solchen Situationen nicht von einem Erwachsenen zu einem Kind.
c) Du kannst groß werden oder nicht – deine Entscheidung. Egal, wie du dich entscheidest - ich akzeptiere das. Denn du wirst sehr gute Gründe für deine Entscheidung haben. Und egal, wie du dich auch entscheidest: Immer werde ich dich als Menschen ernst nehmen und akzeptieren. Wenn du von mir jedoch als Erwachsener ernst genommen und akzeptiert werden willst, dann musst du auch ein Erwachsener sein.
Nochmal und in Zeitlupe:
Falls du ein Erwachsener bist, gilt:
Immer werde ich dich als Menschen wahrnehmen und akzeptieren.
Aber wenn du von mir auch als Erwachsener wahrgenommen und akzeptiert werden willst, dann musst du auch ein Erwachsener sein.
Als Kind habe ich die Peter Pans dieser Welt aus ganzer Seele gehasst.
Wenn heute Peter Pans auf mich zukommen, dann drehe ich mich innerlich weg und beschäftige mich mit was anderem.
Und falls ich dir gegenüber den Peter Pan geben sollte, dann bitte ich dich, es genauso zu halten.
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Hanspeter Fischer (Freitag, 16 April 2021 13:07)
Ich kannte das alles noch nicht hier. In der Zeitung war ein Bericht über das erwachsene Leben. Ich schrieb einen Komment;
Erwachsen werden ist nicht schwer, Erwachsen sein dagegen sehr.