· 

Wie schön, dass es dich gibt

„Wie schön, dass es dich gibt.“ – Ich war 19 oder 20 Jahre alt, als ich diesen Satz zum ersten Mal hörte. Das sagte mir nicht jemand, der in mich verliebt war, sondern einfach ein Mensch, der mir nahe war und mich mochte.

 

Ich war völlig baff, als ich das hörte. Und in den nächsten Tagen ging ich wie auf Wolken (Sprachbild). Ich fühlte mich gemocht, geliebt, angenommen, willkommen.

 

Wie schön, dass es dich gibt – das war ein völliges Kontrastprogramm zu dem, was ich bislang erlebt hatte. Als Kind und als Jugendlicher hatte ich mich meist in keiner Weise willkommen gefühlt. Und das schien mir etwas sehr natürliches zu sein: Egal, wo ich hinkam – ich war nicht willkommen. Ich kannte es nicht anders.- Die Erwachsenen behandelten mich sehr schlecht. Die Kinder und Jugendlichen hackten auf mir rum und mobbten mich. Ich wurde von ihnen gemieden, abgesondert, abgekanzelt. Da gab es nur ganz wenige Ausnahmen. Dass sich jemand freute, wenn er mich sah, das war sehr selten.

 

Später – als meine Töchter noch klein waren - sangen sie bei so ziemlich jeder Gelegenheit:

„Wie schön, dass du geboren bist. Wir hätten dich sonst sehr vermisst …“ Sie brauchten keinen Geburtstag, um sowas zu singen. Das Lied gefiel ihnen, also sangen sie es. Ich hatte den Eindruck, dass es ihnen selbstverständlich war, dass sie willkommen waren. Oft war unsere Wohnung ein einziges Geträller:

 

„Wie schön, dass du geboren bist …“

 

****

 

Heute sehe ich die Dinge differenzierter. „Wie schön, dass es dich gibt“ ist für mich eine sehr zweischneidige Sache geworden (Sprachbild). Wann immer mir jemand das sagt oder schreibt, frage ich nach:

„Für wen ist das schön und aus welchem Grund?“

 

Meistens antworten mir die Menschen nicht. Zum einen fühlen sie sich offenbar vor den Kopf gestoßen (Sprachbild). Zum anderen haben sie sich anscheinend noch nie Gedanken darüber gemacht, was sie da eigentlich sagen.

Wenn sie aber antworten, kommt dabei immer dasselbe raus:

„Für mich ist das schön, weil …“

Und an dieses „weil“ schließen sich dann die Dinge an, aus denen hervorgeht, dass ich die Bedürfnisse dieses Menschen in besonders gutem Maße befriedige.

 

Manchmal stelle ich dann eine weitere Frage

„Ist es denn für mich auch schön, dass es mich gibt?“

 

Wenn die Menschen ehrlich sind, dann sagen sie, dass sie diese Frage nicht beantworten können. Dabei ist es für mich die Hauptsache. Es ist die Kernfrage in meinem Leben, ob ich gerne lebe, ob es für mich schön ist, dass es mich gibt.

 

Wenn du mir also sagst, dass es schön ist, dass es mich gibt, dann sagst du mir nichts anderes, als dass ich Bedürfnisse von dir befriedige und dass dir das gefällt. Dir geht es im Moment gut, weil es mich gibt.

 

Versteh‘ mich bitte nicht falsch – ich habe nichts dagegen, zu irgendwas gut zu sein. Ich habe nichts dagegen, nützlich zu sein. Aber das hier ist mein Leben. Was hat das mit deinen Bedürfnissen zu tun?

 

Wenn es für dich schön ist, dass es mich gibt, dann ist das für dich gut. Mir ist sowas meistens egal. Sehr viele Menschen suchen meine Nähe und meine Gegenwart. Ich habe sie oft gefragt, warum sie das tun und immer dieselbe Antwort bekommen: Es tut ihnen gut. Es tut ihnen richtig gut, in meiner Nähe zu sein.

Aber davon habe ich nichts.

Es bedeutet mir buchstäblich gar nichts.

 

Ich freue mich, wenn es den Menschen gut geht. Ich habe mal gehört, dass es im Buddhismus den Gruß / die Segensformel gibt: „Möge es allen Wesen gut gehen.“ Ich weiß beinahe nichts über den Buddhismus. Ich weiß daher nicht, ob es im Buddhismus diesen Spruch gibt. Aber er gefällt mir. Er ist sehr schlicht, sehr wohlwollend und in keiner Weise übergriffig.

 

Ich mag es sehr, wenn es den Menschen (und den anderen Wesen) gut geht. Und wenn ich dazu beitragen kann, will ich das gerne tun. Aber wenn ich mitbekomme, dass Menschen meine Nähe suchen, weil es ihnen guttut, dann zucke ich nur mit den Achseln: Das ist für ihr Leben wichtig. Für meines nicht. Für mich ist es wichtig, dass ich mir guttue. Für mich ist es wichtig, dass ich gerne lebe.

 

Von der Gegenwart anderer Menschen habe ich beinahe nie was. Ihre Gegenwart tut mir nicht gut. Definitiv nicht. Deshalb meide ich ihre Gegenwart beinahe immer. Es gibt Menschen, bei denen ich das anders erlebe, aber das sind wirklich sehr, sehr wenige.

Und wenn ich dann von anderen Menschen höre: „Wie schön, dass es dich gibt“, dann ist das für mich eine sehr zweischneidige Sache geworden: Ihnen tut es gut, dass es mich gibt. Aber mir tut es nicht gut, dass es sie gibt. Eher im Gegenteil.

 

Wenn es anderen Menschen gut geht, nur weil ich da bin, verbessert das meine Lebensqualität nicht. Kein bisschen. Kernfrage in meinem Leben ist, ob ich gerne lebe. Regelmäßige Leser meines Blogs wissen ein wenig, wie es in mir aussieht und was ich als Kind erlebt habe. Und ich versichere euch: In so einem Leben wie meinem geht es nach dem Überleben der Apokalypse beinahe nur darum: „Lebst du gerne?“ Alles andere verblasst dagegen.

 

Als ich Kind und Jugendlicher war, gaben mir meine leiblichen Eltern (und alle anderen Erwachsenen) buchstäblich Millionen guter Gründe, nicht gerne zu leben. Heute sind diese Menschen entweder tot oder aus meinem Leben verbannt. Ich habe keinerlei Kontakt mehr zu ihnen. Geblieben ist aber die Aufgabe, Gründe zu finden, gerne zu leben. Und bitte – diese Gründe können keinesfalls sein

·         Spaß haben

·         etwas erleben

·         gut drauf sein

·         irgendwas besitzen

·         eine Aufgabe haben

·         gebraucht werden

·         die Komfortzone verlassen

·         mit Freunden was unternehmen

·         beliebt sein

·         zwei Millionen Likes haben

·         berühmt sein

·         reich sein

·         und so weiter.

 

Für mein Leben ist das der reine Quatsch. Solche Ziele/Gründe lenken nur vom eigentlichen Ziel ab. Meine Reise geht nach innen. In meinem Herzen finde ich Gründe, gerne zu leben. Dort oder gar nicht. Oft nenne ich das auch scherzhaft meinen „Kampf ums da sein.“ Darüber werde ich ein andermal schreiben. An dieser Stelle soll es reichen, dass ich zusammenfasse:

 

 

Fazit

 

Wenn es für dich schön ist, dass es mich gibt, dann ist das für dich gut und wichtig. Ich freue mich für dich und habe nichts dagegen. Aber dass es so ist, bedeutet in meinem Leben beinahe nichts. Du hast was davon aber ich nicht. 

 

In meinem Leben ist es entscheidend, ob es für mich schön ist, dass es mich gibt. Und ich gestehe gerne, dass es für jemanden mit meiner Vergangenheit nicht immer leicht ist, Wege dahin zu finden.

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Peter (Sonntag, 20 September 2020 12:09)

    So ist es, dieses "schön, dass es dich gibt" sagt nur: Du befriedigst gewisse Bedürfnisse von mir.
    Was du hier beschreibst, ist trotzdem noch die harmlose Form. Der Satz oder auch Sätze wie Ich/wir/er/sie... mögen dich gern/ brauchen dich... werden auch in übergriffiger Weise verwendet: Sie werden oft ausgesprochen, um den Empfänger der Botschaft emotional zu verpflichten, er ist sozusagen moralisch verpflichtet, umgekehrt genau so zu denken und zu handeln.
    Beispiel: Wir sehen dich so gerne und du kommst so selten...
    Der Satz wird also ausgesprochen mit dem Hintergedanken: Und deshalb hast du meine/unsere/etc. Bedürfnisse zu befriedigen.
    In dem Fall ist es mir sogar lieber, sie verwenden diesen Satz nicht.