Traumfänger

*** Triggerwarnung: In diesem Text geht es unter anderem um Alpträume und innere Zerstörung. ***

 

 

Es muss jetzt bald 20 Jahre her sein, dass dieser Begriff auf einmal sehr präsent für mich wurde. In irgendeinem vielverkauften Buch tauchte er wohl auf – der Traumfänger. Und kurze Zeit später sah ich allenthalben so ein merkwürdiges Gebilde baumeln – ein knapp handtellergroßer Ring aus filigranem Material, in den so ein mandala-artiges Netz eingearbeitet war. Und irgendwelche Federn oder anderes fluffiges Zeug hing da dran. Dieser Gegenstand hing bevorzugt an Innenspiegeln von Autos - (keine Ahnung, wie NTs das aushalten, dass ihnen da beim Autofahren ständig was vor der Nase baumelt – ich würde da buchstäblich wahnsinnig werden). Aber ich sah ihn auch in Büros an den Wänden, auf Postkarten, in Souvenirläden, über Betten – Traumfänger hier, Traumfänger da. Ich nahm es wahr, aber es kümmerte mich nicht. Für mich war das ohne jede Bedeutung.

 

Ich selber beschreibe mich gerne als „esoterikavers“. Wann immer in einem Gespräch irgendwas zur Sprache kommt, was dem Bereich „Esoterik“ zuzuordnen ist, schau ich, dass ich da weg komme: Geistwesen, Auren, Chakras, Energieströme, was weiß ich … - Nichts für mich. Ich streite nicht ab, dass es sowas geben kann. Ich kann das nicht wissen. Aber wann immer mir irgendjemand mit sowas kommt, schaue ich mir sehr genau die Person an, die das thematisiert. Und bislang habe ich dabei immer nur in Abgründe geschaut.

 

Also:

Bis jetzt habe ich Gespräche über Esoterisches immer nur so erlebt:

Eine Person, die innerlich in finsterster Not ist, versucht, sich irgendwie über ihr inneres Sterben hinwegzuretten, indem sie sich einen bunten Luftballon aufbläst, an dem sie sich festhält. Sie versucht, mit Hilfe dieses Luftballons, sich aus ihrem Elend zu erheben und innerlich davonzuschweben.

Das kann natürlich nicht funktionieren. Vor seinem inneren Elend kann man genausowenig wegrennen wie vor seinem Schatten.

 

Und ganz sicher ist es möglich, dass ich den Ursprungskonzepten, die hinter dem stehen, was diese Person da thematisiert, bitter Unrecht tue. Ich kann das nicht wissen. Aber ich kann nur auf das reagieren, was ich wahrnehme. Und was ich bei Menschen wahrnehme, die mir esoterisch kommen – ach du liebe Güte!

Dasselbe gilt, wenn ich irgendwelche Bücher in den Händen halte, auf denen Fotos von Gurus oder Meistern abgebildet werden, die irgendwelche esoterischen Konzepte vermarkten – ja meine Fresse! Wenn ihr nicht sehen könnt, wie zerstört die innerlich sind – ich kann das. Ich kann das sehen wie den lichten Tag. Und wenn euch diese Meister und Gurus helfen, euer Leben zu meistern:

Bitte sehr.

Dagegen ist in meinen Augen nichts zu sagen.

 

Aber für mich gilt bei sowas:

Danke.

Kein Bedarf. 

Ich trage meinen eigenen Tod und meine eigene innere Zerstörung in mir. Da brauch‘ ich nicht noch die Zerstörung von anderen dazu.

 

Ich bitte, das nicht misszuverstehen: Wenn mich Menschen in Not und Elend ansprechen und mit ihrem inneren Tod und ihrer inneren Zerstörung zu mir kommen, dann schaue ich mir das gerne an. Das ist mein Beruf, und man sagt mir nach, dass ich das gut kann. Ich schaue mir alles an, womit die Leute zu mir kommen. Es gibt keine innere Thematik und keine innere Zerstörung, vor der ich davonlaufe oder wo ich nicht genau hinschaue.

Aber ich akzeptiere nicht, dass mir jemand seinen inneren Tod oder seine innere Zerstörung als Heil- oder Hilfsmittel anbietet.

Danke.

Kein Bedarf.

 

Da kannst du zehnmal ein gefeierter Guru sein.

Da kannst du hundertmal ein zertifizierter Meister sein. Da kannst du dich von mir aus mit dem Papst duzen, und mit dem Dalai-Lama gemeinsam beten kannst du von mir aus auch.

Deine Bücher können Millionenauflagen erzielen und auf deiner Homepage kann dein Gästebuch überquellen von Danksagungen.

Du kannst hunderttausende begeisterte Anhänger haben und du kannst spirituell sein bis zum Anschlag.

Du kannst mit den angesagtesten Schamanen rituelle Tänze in der Steppe getanzt haben, bis der Morgen graute und in ihr absolutes Geheimwissen eingeweiht worden sein.

Von mir aus kannst du sogar erleuchtet sein. (Mit staatlichem Zertifikat, versteht sich).

Interessiert mich alles nicht.

Interessiert mich kein bisschen.

Mich interessiert nur, was ich bei dir wahrnehme.

Und was ich bei dir wahrnehme, das nehme ich bei dir wahr und nicht etwa unwahr.

Heile dich selbst, bevor du anderen Heilung aufdrängst.

Und lass mich in Ruhe.

 

 

Aber aus beruflichen Gründen kam ich jetzt in eine Situation, in der es nötig war, dass ich mich mal ein bisschen näher mit dem Konzept des Traumfängers auseinandersetzte. Und ich war entsetzt.

 

Ich zitiere mal aus dem entsprechenden Wikipedia-Artikel. Laut Wikipedia hat ein Traumfänger diese Funktion:

„Es wird dabei angenommen, dass die guten Träume durch das Netz gehen, die schlechten im Netz hängen bleiben und später durch die Morgensonne neutralisiert würden.“

 

Mit anderen Worten:

Die Funktion eines Traumfängers ist es offenbar, vom Schlafenden seine Alpträume fernzuhalten.

 

Ja, seid ihr denn komplett von allen guten Geistern verlassen?!!

 

Wenn das wirklich wahr ist, dann ist es so ziemlich das schlimmste, was sich ein Mensch antun kann, dass er sich einen solchen Traumfänger übers Bett oder sonstwohin hängt.

 

Nochmal:

Schlimmer geht’s kaum.

Wie kann man nur so barbarisch zu seinen inneren Kindern sein?!

Ich weiß nicht, warum vor Traumfängern nicht intensiv und überall gewarnt wird.

Aber da ich solche Warnungen bei meiner Recherche im Netz nicht gefunden habe, habe ich beschlossen, diesen Text zu schreiben.

 

 

Was sind Alpträume und welche Funktion haben sie?

 

Alpträume sind Notsignale. Sie sind Notsignale, die die Teile in uns aussenden, denen es ganz, ganz schlecht geht. Diese Teile brauchen ganz dringend unsere Hilfe. Sie denken nicht in rationalen Kategorien, sondern in magischen. Für sie ist all dieses Traumfängerzeug absolut real. Alpträume sind häufig das vorletzte Mittel, das sie haben, um sich bemerkbar machen. – Das letzte Mittel sind meistens körperliche Erkrankungen, die dann (weil sie meistens nur ärztlich behandelt werden), vor sich hinwuchern und dazu führen, dass wir deutlich vor unserer Zeit sterben.

 

Wie kann man nur so gemein sein und den Teilen in sich selber, die seit ewigen Zeiten in finsterster Dunkelheit im eigenen Inneren vor sich hinvegetieren, signalisieren:

„Mach, was du willst – es interessiert mich nicht!“

„Schrei du nur – ich hör‘ dich sowieso nicht!“

 

Nichts anderes signalisiert ein Traumfänger nach innen.

 

Das ist so gemein.

Das ist verletzend.

Das ist tödlich.

 

Das haben die Teile in uns, die schwerst verletzt (oder sogar tot) in unserem Inneren vegetieren – und das seit Jahren oder Jahrzehnten – absolut nicht verdient.

 

Und falls jemandem diese Zeilen esoterisch vorkommen:

Ich verbürge mich dafür mit meinem Namen, dass diese Signale, die wir mit dem Traumfänger aussenden, von unseren Innenteilen wahrgenommen und verstanden werden. Sie werden sehr genau wahrgenommen. Sie werden sehr genau verstanden.

 

So einen Traumfänger irgendwohin zu hängen ist also exakt das Gegenteil von Heilung.

Es ist eine Verlängerung dieses namenlosen und entsetzlichen Leidens bis ins Uferlose.

Es ist so furchtbar!

 

Das hat niemand verdient.

Vor allem nicht diese Teile in uns, die so sehr unsere Hilfe brauchen.

 

Ich sitze hier vor meinem Laptop und schüttele nur entsetzt den Kopf – wie kann jemand so etwas grausames und gemeines nur tun?!

 

 

Was mich selber betrifft:

 

Regelmäßige Leser meines Blogs wissen, dass es mich in der Kindheit schwer getroffen hat. Ich bin innerlich schwerst verletzt. Ich glaube zu wissen, wovon ich rede, wenn ich Alpträume zum Thema mache.

 

Wenn ich auf meiner Reise nach innen in Bereiche komme, wo es richtig heftig wird – Vergewaltigung, Folter, Mordversuche gegen mich (alles in früher und frühester Kindheit) -, dann sehen auch meine Nächte dementsprechend aus. Dann kann es tage- und wochenlang so gehen, dass mir des nachts Alpträume im Viertelstundentakt reingereicht werden. Wenn ich mich in solchen Zeiten nachts hinlege, dann frage ich mich nicht, ob ich Alpträume haben werde. Ich frage mich, welche Alpträume ich haben werde und wie viele.

 

Ja, und dann kommen sie halt:

Notsignale von meinen Kleinen. Hunderte. Ein Alptraum schlimmer als der andere.

Und ich bin so froh, dass meine Kleinen sich endlich trauen, sie mir zu senden!

Jahrelang hatte ich keine Alpträume.

Endlich haben die, die meine Hilfe so nötig haben, genug Vertrauen gefasst, sich wieder zu melden!

Und ich lade sie oft vor dem Einschlafen ein:

„Ich habe den Eindruck, dass ich euch heute tagsüber mal wieder nicht richtig zugehört habe: Schickt mir Träume.“

 

Zu meinem Glück tun sie das. Sie tun es wirklich reichlich.

 

 

Ich bin kein Masochist. Und ich sage auch nicht, dass das der von mir angestrebte Endzustand ist – dass ich jede Nacht Alpträume habe. Aber wenn ich heilen will, dann muss ich rein in dieses Alptraumland.

 

Ich habe meinen Kleinen in die Hand versprochen:

„Wir lassen keinen zurück.“

Das gilt speziell für die Kleinen in mir, die das nicht glauben und sicher sind, dass sie bis ans Ende aller Tage in der Finsternis dahinvegetieren müssen.

Aber auf mein Wort ist Verlass. Ich stehe mit meinem Leben dafür.

 

Für diese Kleinen gilt:

Ladet euer Zeug bei mir ab. Ich bin groß und stark genug, dass ich das alles sehen, erleben und fühlen kann. Kommt her und ladet ab.

 

Einschub

Es gibt Menschen, die innerlich schwerst verletzt sind und die noch nicht weit genug gestärkt und gefestigt sind, um ihren Kleinen diese Alpträume abzunehmen. Für die Kleinen in diesen Menschen gilt nicht: „Kommt her und ladet ab.“

 

Ich kann nicht für diese Menschen sprechen. Ich kann nur für mich und aus meiner Erfahrung sprechen. In meinem Leben hat immer gegolten:

Meine Innenteile schicken mir nur die Träume und die Gefühle, die ich auch annehmen und verarbeiten kann. Niemals mehr. Was immer sie mir auch schicken – ich habe es zu akzeptieren, denn es ist jetzt dran.

 

Dass das nicht immer zu einem Leben in heiterer Gelassenheit führt, ist klar. Aber das ist auch nicht mein Bestreben. Mein Ziel im Leben ist nicht, dass es mir ständig gut geht, sondern, dass ich lebendiger werde. Ich will nicht abstumpfen, sondern heilen. Ich will mich nicht über mein Leiden erheben, sondern dort hineingehen. Meine Kleinen haben ein Recht darauf, dass ich komme, um sie zu befreien.

 

Ich habe in meinem Leben niemals Psychopharmaka genommen. Um Psychiater und psychiatrische Kliniken habe ich immer einen großen Bogen gemacht. Ich kann nicht für die sprechen, die den Eindruck haben, sich in ernsthafte Gefahr zu bringen, wenn sie das akzeptieren, was ihre Kleinen ihnen schicken. Ich kann nicht für die sprechen, die auf Psychopharmaka angewiesen sind.

 

Ich habe durchaus meine Erfahrungen mit Halluzinationen und psychotischen Episoden. Aber ich war zum Beispiel bislang noch nie klinisch depressiv. Ich kann hier also nur für mich sprechen. Und für die, die nicht auf Psychopharmaka angewiesen sind.

Einschub Ende

 

Ich lade also meine Kleinen ein, ihr Zeug bei mir abzuladen. Und das tun sie dann auch.

 

Auf diese Weise kann ich heilen.

Ich kenne keinen anderen Weg.

 

Also:

Verbrennt eure Traumfänger und entschuldigt euch bei euren Kleinen. Das ist das Mindeste, was ihr tun könnt.

Und hört ihnen zu, wenn sie euch Alpträume senden. Sie sind wertvoll.

 

Jeder Alptraum ist ein Schatz.

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