In der Reihe „Die Ratschläger“ bespreche ich in loser Folge häufige und beliebte Ratschläge, die mir aufgefallen sind. Ich versuche aufzuzeigen, wo das destruktive Potenzial dieser Ratschläge liegt.
Ich halte Ratschläge in sozialen Situationen generell für schädlich. (Ratschläge, um technische Probleme zu lösen, – z.B. wie man einen Motor repariert -, halte ich für völlig ok). Ich kann mich nicht erinnern, mal einen Ratschlag in einer sozialen Situation als nützlich erlebt zu haben.
Dass jemand ein Ratschläger ist, ist oft leicht zu erkennen. Ratschläger können sich vom Wort „einfach“ nicht trennen. Für sie ist alles einfach:
„Warum machst du nicht einfach …?“
„Warum versuchst du nicht einfach … ?“
„Wäre es nicht viel einfacher, wenn du … ?“
In Buch- oder Broschürenform sieht das dann so aus:
„Einfach abnehmen in nur zehn Minuten am Tag.“
„In nur zwanzig Minuten zur Topform.“
„Einfach nein sagen lernen.“
„Jedes Kind kann einschlafen.“
„Einfach besser sein …“
Was ist daran so destruktiv?
Was habe ich dagegen, wenn die Person A zur Person B sagt: „Warum sagst du dann nicht einfach nein, wenn du das nicht willst? Ist doch ganz einfach!“
Immer, wenn ich einem anderen Menschen einen Rat gebe, dann definiere ich die Beziehung zu diesem Menschen. Wenn ich ungefragt Ratschläge verteile, dann definieren die Beziehung häufig als Ungleichgewicht: „Du brauchst mich, um …“ Ich werte also den anderen ab und mich auf. Das hat vermutlich ganz viel mit meinen inneren Bedürfnissen zu tun (mich großartig zu fühlen, gebraucht zu werden, gelobt zu werden oder was auch immer) und ganz wenig mit den Bedürfnissen des anderen.
Steigern lässt sich diese Abwertung durch den Gebrauch des Wortes „einfach“:
„Warum gehst du nicht einfach zu deinem Chef und sagst ihm, was du davon hältst? Also ich würde das tun an deiner Stelle.“
Nach meiner Beobachtung geht es in so einem Fall darum, dass eine Person A sagt, dass ihr etwas schwer fällt. Und die Person B kontert mit: „Das ist ganz einfach.“
Was bedeutet das auf der Beziehungsebene?
Auf der Beziehungsebene wird ungefähr dieses ausgesagt:
„Was bist du für ein Depp, dass das so schwer für dich ist?!“
„Deine Sicht der Dinge ist falsch. Meine Sicht der Dinge ist richtig.“
„Rechtfertige dich gefälligst dafür, dass du so blöd (feige, ungeschickt etc.) bist!“
„Lass dich von mir führen, du bist zu doof dazu.“
„Du bist falsch!“
Wenn ein Ratschläger das Wort „einfach“ benutzt, dann macht er sich fast immer zum Mittelpunkt des Universums. Seine Sicht der Dinge ist die einzig richtige und gültige. Alle haben sich dem anzupassen. Er wertet damit die Art, wie der andere die Dinge sieht und wie er etwas macht, fast immer vollkommen ab. Hier wird fast immer zu einem Psychospiel eingeladen: „Du brauchst mich, um ein besserer Mensch zu werden.“
Immer wieder wird diese eigentümliche Zentrierung (ich bin der Mittelpunkt des Universums) moralisch gerechtfertigt durch Sätze, die sich so anhören:
„Ich verlange von niemandem mehr als von mir selber.“
„Das hab sogar ich geschafft.“
In meinen Seminaren sage ich dazu:
„Ja“, sagte das Eichhörnchen zum Elefanten, „ich verlange von niemandem mehr als von mir selber. – Und jetzt klettere auf diesen Baum!“
Lässt sich der, dem dieser Schlag gilt, auf dieses Psychospiel ein (z.B. dadurch, dass er sich rechtfertigt oder in die Verteidigung geht), dann können sich beide jede Menge negativer Zuwendung geben. Am Ende steht dann oft, dass beide frustriert aus diesem Gespräch rausgehen. Das ist meistens auch das unbewusste Ziel dieses Psychospiels – an der Realität soll sich nichts ändern, aber es soll bitte jeder sein Quantum an negativer Zuwendung mit nach Hause nehmen können.
Manchmal ist es auch so, dass der Ratschläger sich gut fühlt nach so einem Gespräch. – Es geht ihm besser: Er hat geholfen, er hat Erfahrung weiter gegeben, er hat anderen den Weg aufgezeigt etc. …
Kann man so machen, keine Frage. Aber negative Zuwendung ist es trotzdem. Denn der andere ist abgewertet worden.
Manchmal ist es meine Aufgabe im Beruf, Coaches auszubilden. Fast alle, die zu mir kommen, wollen sich zum Ratschläger ausbilden lassen. Das ist mit mir aber nicht zu machen. Schon die zweite Regel, die Coaches bei mir zu verinnerlichen haben, ist:
„Das Wort „einfach“ ist aus dem Wortschatz gestrichen.“
(Die erste Regel ist: „Halte dich arbeitsfähig.“)
Es geht aber nicht so sehr um das Wort als um die Einstellung, die dahinter steht. Wenn ich als Coach oder als Therapeut arbeite, dann gilt:
Wenn der, der da zu mir kommt, seine Schwierigkeiten mit der Sache hat, dann ist das objektiv schwierig für ihn. Das akzeptiere ich. Das ist seine Wirklichkeit. Und mit dieser Wirklichkeit werden wir jetzt arbeiten. Es geht also nicht darum, ihm seine Wirklichkeit auszureden oder sie gegen eine andere auszutauschen (am besten gegen meine!), sondern sich diese Wirklichkeit gemeinsam anzuschauen und sie gemeinsam zu prüfen. Wie ich die Dinge sehe, ist vorerst völlig unerheblich. Und wenn es eine tragfähige und nachhaltige Lösung gibt, dann liegt sie im Herzen dieses Menschen, nicht in meinem Kopf.
Das führt nicht dazu, dass mir die Leute freudestrahlend um den Hals fallen. Viele kommen genau deshalb zu mir, weil sie von mir Ratschläge wollen. Am besten irgendwas einfaches. Das ist mit mir nicht zu machen. Für die meisten sozialen und emotionalen Problemstellungen gibt es keine einfachen Lösungen, die tragfähig wären.
Wenn die Problemstellung, mit der du zu mir kommst, schwierig für dich ist, dann wird das schon seinen Grund haben. Schließlich bist du kein Depp. Und bevor wir diesen Grund nicht kennen, sollten wir nicht versuchen, irgendwas an der Schwierigkeit zu ändern.
Wenn du also zu mir kommst, und einen Ratschlag willst – am besten irgendwas einfaches – dann ist es sehr wahrscheinlich, dass du nicht nach Hilfe suchst, sondern nach negativer Zuwendung. Die bekommst du von mir nicht. Du willst nicht an deinem Leben was ändern, sondern nur mal schnell eben mit negativer Energie aufgetankt werden. Mit diesem Bedürfnis musst du zu einem Ratschläger gehen. Der hilft dir sicher gerne (und sehr versiert) weiter. Du kannst aber auch zu den Ratgeberfibeln greifen, mit denen der Markt geradezu überschwemmt ist, wo für beinahe jedes soziale und emotionale Problem eine einfache Lösung versprochen wird. Es gibt so viele Wege, sich mit negativer Zuwendung zu versorgen.
So hat jeder seine soziale Funktion und jedem ist gedient.
Kurze Zusammenfassung für alle Ratschläger, die einfache Lösungen propagieren:
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Für die weitaus meisten sozialen und emotionalen Probleme gibt es keine einfachen Lösungen, die nachhaltig tragfähig sind.
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Bei solchen Problemen nach einfachen Lösungen zu suchen, führt fast immer in die Irre. Es verführt dazu, statt Veränderungen in der Realität anzustreben, nach Quellen der negativen Zuwendung zu suchen.
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Wenn es für den anderen so einfach wäre wie du behauptest, dann hätte er es schon längst getan.
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Dass es für dich so einfach ist und für ihn so schwer, liegt daran, dass er nicht du ist. Es liegt höchstwahrscheinlich nicht daran, dass es ihm an Intelligenz, Willen oder Charakter fehlt.
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Dafür fallen dir andere Dinge furchtbar schwer, die für ihn ganz einfach sind.
So einfach ist das.
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Kikkulade (Sonntag, 16 Februar 2020 21:24)
Der letzte Satz hat mir einfach am besten gefallen ;)
Neo-Silver (Dienstag, 18 Februar 2020 14:19)
Hallo Stiller,
kannst du bitte ein Beispiel für ein d.M.n. gutes Gepräch rezitieren oder kreieren.
Ich denke das könnte mir helfen.
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Im Grunde beschreibst du dabei ja deine Tätigkeit eher als Katalysator, welcher der Person hilft, sein Problem auf eigene Weise, für ihn individuell und selbstständig lösen zu können.
Als Beispiel in so einem Gespräch:
Nun fragt dich die Person nach Klärung der Sachlage direkt, "Was würden Sie/Du in meiner Situation tun?".
Gibst du dann Hilfestellung oder leitest du das Gespräch wieder in die Richtung, dass die Person allein erkennt, wie er/sie/es sich helfen kann?
Oder wie gehst du mit einer Situation um, in welcher die Person offensichtlich trotz Hilfestellung nicht dazu fähig ist, eine Lösung für ein Problem zu finden.
Wirst du das Gespräch vertagen oder meinst du, es gibt immer einen Weg, den die Person finden kann, selbst wenn es die Einsicht ist, dass Problem im Moment noch nicht lösen zu können?
Ich bin mir sicher das dies ohne ein genaues Beispiel schwierig zu beschreiben ist, aber evtl. kannst du es ja trotzdem versuchen.
Stiller (Dienstag, 18 Februar 2020 14:53)
Hallo Neo-Silver,
ich habe den Eindruck, dass deine Frage von der (zumindest unbewussten) Annahme ausgeht, dass es für soziale oder emotionale Probleme eine richtige Lösung gibt. In meiner Welt gibt es das nicht. Wenn ein Baum im Wald nicht wachsen will, dann kann ich ihm das nicht abnehmen. Ich kann nicht für ihn oder an seiner Stelle wachsen. Wenn er gerade nicht wächst, wird er dafür einen sehr guten Grund haben.
Du fragst:
"(...) wie gehst du mit einer Situation um, in welcher die Person offensichtlich trotz Hilfestellung nicht dazu fähig ist, eine Lösung für ein Problem zu finden."
Ich weiß nicht, von dem diese "Hilfestellung" gekommen ist. Da ich keine Hilfestellung in solchen Gesprächen leiste, ist sie von jemand anderem gekommen.
"Hilfestellung" bei sozialen und emotionalen Problemen ist in meiner Welt fast immer eine Behinderung des Menschen, dem diese "Hilfe" gilt.
Wenn jemand mich fragt, was ich an seiner Stelle tun würde, und ich
a) den Eindruck habe, dass ich genügend über die Situation weiß, um sie einschätzen zu können und
b) selber in solch einer Situation eine Handlungsoption präferieren würde ,
dann sage ich ihm, was ich an seiner Stelle tun würde.
Wenn ich noch nicht genug über die Situation weiß, dann stelle ich Fragen, um die Situation zu klären. Oft genug antworte ich aber auf eine solche Frage:
"Du, das weiß ich auch nicht."
Ich gebe aber keinen Rat im Sinne von
"Du, an deiner Stelle würde ich jetzt ...", sondern ich antworte ehrlich auf eine berechtigte Frage.
Was der andere mit dieser Antwort macht, ist seine Sache. Wenn ich den Eindruck habe, dass es ihm an Lebenserfahrung fehlt, sage ich dazu aber auch:
"Das ist das, was ICH vermutlich tun würde. Ich bin aber nicht du. Ich weiß nicht, was DU tun würdest oder tun solltest. Ich kann dir nicht sagen, was richtig für dich ist."
Ich werde darüber nachdenken, ob es sinnvoll sein kann, wenn ich mal das Transskript eines Gespräches von mir hier veröffentliche. Aber es wäre auf jeden Fall nicht ein "gutes Gespräch", sondern einfach ein Gespräch.