Ich weiß nicht, ob ich in diesem Blog zu diesem Thema schon mal was geschrieben habe. Ich verliere allmählich die Übersicht, über was ich schon alles geschrieben habe. Aber egal – diese Sache ist mir derart wichtig, da kann ich auch zweimal drüber schreiben.
Worum geht’s?
Ich habe sehr stark den Eindruck, dass beinahe allen NTs meine Art, mich zu konzentrieren völlig fremd ist. Meine Art, mich zu konzentrieren ist ihnen anscheinend derart fremd, dass sie nicht mal eine entfernte Vorstellung davon haben
a) in welchem Zustand ich bin, wenn ich konzentriert bin
b) wie sich das anfühlt, so konzentriert zu sein
c) was ich in diesem Zustand mache
d) wie das für mich ist, wenn sie mich da rausreißen.
Im einzelnen:
In welchem Zustand bin ich, wenn ich konzentriert bin?
Dann bin ich da drin. Dann gibt es für mich buchstäblich nichts anderes mehr. Die gesamte Welt versinkt um mich herum. Es existiert in meinem Sein nur noch das, worauf ich gerade fokussiert bin.
Mit meinen Gedanken, meinen Gefühlen und all dem, was ich tue bin ich geradezu aufgelöst in dem, worauf ich mich da gerade konzentriere.
Wenn du so willst – ich selber trete beiseite und lasse das in den Vordergrund, womit ich mich beschäftige. Wäre ich zum Beispiel ein Gitarrist, dann wäre es wohl eher so, dass nicht ich die Gitarre spiele, sondern die Gitarre mich.
Wie fühlt sich das, so konzentriert zu sein?
Das fühlt sich hervorragend an. Das so ziemlich meine liebste Art, in der Welt zu sein. Ich erlebe das als sehr befriedigend, bereichernd und erfüllend.
Was mache ich in diesem Zustand?
Ich mache das, was anliegt. Sonst gar nichts.
Seit ich denken kann, werde ich bei meiner Arbeit immer wieder auf die Geschwindigkeit angesprochen, mit der ich die Dinge tue. Manchmal bin ich deutlich langsamer als andere. Das ist dann der Fall, wenn ich noch dabei bin, das, womit ich da beschäftigt bin, zu durchdringen.
Oft bin ich aber deutlich schneller als alle anderen.
Das ist dann der Fall, wenn ich begriffen habe, worum’s geht und konzentriert bin.
Einschub
Einige Jahre lang hatte ich Führungsaufgaben. Das war über ein Jahrzehnt vor meiner Diagnose. Ich habe jedem meiner Teammitglieder gesagt:
„Es wird immer wieder vorkommen, dass wir beide im selben Büro arbeiten. Wir werden uns dann am selben Schreibtisch gegenübersitzen. Dabei ist es sehr wahrscheinlich, dass ich da acht Stunden am Bildschirm sitze und kein Wort zu Ihnen sage. Das hat nichts mit Ihnen zu tun. Ich bin dann mit meiner Arbeit beschäftigt."
Einschub Ende
Wie fühlt sich das an, wenn ich da rausgerissen werde?
Das fühlt sich an, als würde die Welt zerbrechen.
Es ist grauenhaft.
Und es fällt mir oft ziemlich schwer, rasch wieder in meine Konzentration zurückzufinden.
Wie erlebe ich hingegen die NTs?
In welchem Zustand sind sie, wenn sie konzentriert sind?
Ich erlebe sie nur sehr selten als konzentriert. Sie neigen dazu, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun. Sie neigen dazu, sich durch Radio, Gespräche und dergleichen abzulenken. Sie sind innerlich selten dort, wo sie sind. Wenn sie bei der Arbeit sind, dann neigen sie dazu, Dinge zu thematisieren, die nichts mit der Arbeit zu tun haben, um sich von der Arbeit abzulenken. Wenn sie genug Disziplin haben, um innerlich bei der Arbeit zu bleiben, dann beschäftigen sie sich oft mit mehreren Dingen gleichzeitig. Wenn sie Freizeit haben, ist sehr oft die Arbeit ihr Thema – und so weiter.
Wenn ich sie im Wartezimmer beim Arzt erlebe, dann blättern sie sehr häufig durch irgendwelche Broschüren und Illustrierte, die da rumliegen oder wischen auf ihrem Handy herum. Sie sind aber nicht innerlich im Wartezimmer und konzentriert auf das, was ist.
Dasselbe erlebe ich beim Frisör. Und so weiter.
Wie fühlen sich die NTs dabei?
Das weiß ich nicht.
Ich habe sie dazu befragt. Aber offenbar konnte ich mit meinen Fragen nicht verständlich machen, was ich wissen wollte.
Was machen die NTs in ihrem Zustand der nicht-Konzentration?
Sie machen dann alles mögliche gleichzeitig. Ich erlebe sie dann als in ihrem Sein zersplittert. Sie gehen den Dingen nicht auf den Grund und sie gehen nicht in die Tiefe. Sie „berühren“ alles mögliche sehr oberflächlich, um sich dann gleich dem nächsten zuzuwenden. Sie sind dann innerlich in Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig unterwegs. Sie sind innerlich an mehreren Orten gleichzeitig.
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Gerne hängen sie sich in ihre Büros Urlaubspostkarten oder Poster, die Urlaubslandschaften zeigen. Das hilft ihnen, bei der Arbeit und im Urlaub gleichzeitig zu sein.
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Gerne stellen sie sich auf ihren Schreibtisch Fotos von ihren Lieben. Das hilft ihnen, bei der Arbeit und daheim gleichzeitig zu sein.
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Sie scheinen fast immer in der Lage zu sein, mehreren Gesprächen gleichzeitig zu folgen.Dabei geht dann kein Gespräch in die Tiefe. Wenn ich sie auf Feiern beobachte, dann neigen sie dazu, mit möglichst vielen verschiedenen Menschen ins Gespräch zu kommen und dabei immer zu registrieren, was bei den anderen Gesprächen läuft, an denen sie gerade nicht teilnehmen.
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Wenn ich sie beim Fernsehen erlebe, dann gucken sie fast immer gleichzeitig in den Fernseher und unterhalten sich dabei.
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Wenn ich sie bei meinen Wanderungen im Wald oder im Gebirge erlebe, neigen sie dazu, zu wandern und sich gleichzeitig mit anderen zu unterhalten. Wenn ich dazu Zählungen mache, stelle ich fest, dass über 99% der Gesprächsinhalte bei diesen Wanderungen irgendwas thematisieren, was überhaupt nichts mit der Wanderung zu tun hat.
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Dasselbe erlebe ich bei NTs, die Sport machen. Sie konzentrieren sich nicht auf ihren Sport. Sie sind, während sie Sport machen, mit ihren Gedanken und Gefühlen zersplittert und innerlich mit allen möglichen Dingen gleichzeitig beschäftigt.
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Sie unterbrechen so ziemlich jede Tätigkeit, wenn das Handy klingelt oder WhatsApp sich meldet, um sich dann mit dem Handy zu beschäftigen. Sie sind dann bei dem, was sie tun und bei dem, was aus dem Handy kommt, gleichzeitig.
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Und so weiter.
NTs, die sich so konzentrieren wie ich und in der Lage sind, laserscharf und stundenlang ihr gesamtes Potenzial auf eine einzige Sache zu konzentrieren, wird es sicherlich geben. Aber ich kenne sie nicht.
Wie geht es den NTs, wenn sie aus ihrer Konzentration gerissen werden?
Nach meinen Beobachtungen geht es ihnen dann deutlich besser als mir in vergleichbarer Situation. Manche finden Unterbrechungen per se sehr angenehm. Andere fühlen sich zwar gestört, aber es ist bei ihnen weit weniger eine Katastrophe als bei mir. Und es gelingt ihnen schneller als mir, in ihren alten Modus zurückzufinden.
In dieser Sache scheinen NTs und ich tatsächlich von unterschiedlichen Planeten zu kommen. Sehr viele von ihnen zeigen keinerlei Respekt und keinerlei Verständnis für mich, wenn ich auf irgendwas konzentriert bin. Sie reißen mich da jederzeit raus, wenn ihnen der Sinn danach steht. Sie denken sich nichts dabei. Ihre Bedürfnisse stehen im Vordergrund. Meine sind ihnen gleichgültig. Sie können offenbar gar nicht anders. Was sie dabei zerstören und was ich dabei erlebe, davon haben sie dann meistens buchstäblich keinen blassen Schimmer. Anders lässt sich ihr Verhalten jedenfalls nicht widerspruchsfrei erklären.
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