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Keep a little bit

Als ich Jugendlicher und junger Erwachsener war, war Supertramp eine feste Größe in der internationalen Musikwelt. Nach holprigen Anfängen bekam diese Band auf ihren Tourneen auch die größten Hallen voll. Ihre Singles und LPs konnten sich immer gut platzieren. Die Musik von Supertramp hat mir viele Jahre sehr viel bedeutet.

 

Einer der beiden kreativen Köpfe dieser Band – Roger Hodgson – schrieb sehr persönliche Texte zu seinen Liedern. Immer wieder hatten sie Bekenntnischarakter.

Vor ein paar Jahren sah ich auf Youtube eher zufällig ein Interview mit ihm, in dem er gefragt wurde, welches seiner vielen Lieder, die er für Supertramp geschrieben hatte, für ihn das wichtigste sei. Und er antwortete ebenso spontan wie energisch:

 

Give a little bit

 

Fasziniert schaute ich mir das ganze Interview an.

Denn dieses Lied hatte ich immer gehasst. Während des Interviews wurde mir auch deutlich, warum.

Davon will ich heute schreiben.

 

Der Text von „Give a little bit“ lässt sich zusammenfassen zur Lebensmaxime von vielen NTs:

Wenn wir nur alle ein wenig mehr von uns, von unserem Leben und von unserer Herzlichkeit an andere geben würden, dann wäre diese Welt ein wesentlich besserer Ort.

 

Und mir sträuben sich die Nackenhaare.

Mein Lebensmotto ist nicht „Give a little bit“. Ich bin sehr viel mehr für „Keep a little bit“.

 

Nehmen wir die erste Strophe:

 

Give a little bit

Give a little bit of your love to me

Give a little bit

I’ll give a little bit of my love to you.

There’s so much that we need to share

So send a smile and show you care.

 

In meinem Leben ist es mir sehr, sehr wichtig:

Gib mir nicht ungefragt deine Liebe (es sei denn, du bist ein Kind). Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie für mich unverdaulich ist und ich mit ihr nichts anfangen kann. Es reicht mir völlig, wenn du mich als Person respektierst und achtest. Bitte nimm Abstand davon, mich auch noch lieben zu wollen. Du kennst mich doch überhaupt nicht. Was von mir willst du da lieben?

Ich habe nichts davon, wenn du das Bild liebst, das du dir von mir gemacht hast.

Und wenn du mir ungefragt deine Liebe gibst, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass ich das als distanzlos und bedrängend erlebe. Wenn du mich liebst, ist das also vermutlich sehr belastend für mich.

Achte meine Menschenwürde, das reicht mir völlig.

Und wenn du so viel Liebe in dir hast, dass du damit um dich schmeißen musst, dann schmeiß woanders hin, aber nicht in meine Richtung.

Lieb‘ dich selber. Ich greif‘ dich ja auch nicht aus lauter Liebe mit Tränengas an.

 

Im Lied geht es weiter.

In der nächsten Strophe geht es darum, dass man einander ein wenig von seinem Leben geben soll

Und alles, was mir dazu spontan einfällt, ist:

Bitte nicht!

 

Behalte dein Leben für dich. Was soll ich damit?

Ich gehe buchstäblich zugrunde daran, dass mir so viele Menschen ihr Leben aufdrängen wollen. Ich habe meins und das reicht mir völlig.

Es löst in mir tiefsten Widerwillen aus, wenn andere Menschen ihr Leben mit mir teilen wollen, ohne dass ich sie darum gebeten habe.

 

Ein emotionales Crescendo für Gefühlsanalphabeten findet sich am Ende der zweiten Strophe:

“See the man with the lonely eyes

Oh, take his hand, you’ll be surprised”

Hier wird offenbar davon ausgegangen, dass man Einsamkeit dadurch überwindet, dass man sich einander zuwendet – so ein Unsinn.

Wenn zwei Einsame sich einander zuwenden, dann bleiben sie einsam, sie spüren das nur nicht mehr so. Die Einsamkeit wird dann durch die Zweisamkeit nur übertönt, aber sie ist immer noch da und kann im Inneren eines jeden der beiden leise und still weiterwuchern. Dann lebt man Einsamkeit zu zweit.

Kann man so machen.

Aber wesentlich sinnvoller scheint mir zu sein, sich den wirklichen Ursachen der Einsamkeit zuzuwenden.

 

Ich habe meinen Zivildienst in einem Wohnheim für nichtsesshafte und strafentlassene Männer abgeleistet. Ich glaube sehr viel einsamer als jemand, der wohnungslos auf der Straße lebt, kann man nicht sein.

Dennoch:

Die Einsamkeit dieser Männer wurde nicht weniger, wenn andere sich ihnen zuwandten. Ihre Einsamkeit wurde nur dann weniger, wenn sie lernten, sich sich selber zuzuwenden.

 

 

 

Wenn ich also irgendjemandem eine Gebrauchsanweisung für mich geben kann:

Lass mich in Ruhe.

Lass mich bitte in Ruhe.

Keep a little bit.

Wenn du alleine in deinem Leben nicht klarkommst, weil du es bislang versäumt hast, mit dir selber in Kontakt zu kommen, dann nehme ich das zur Kenntnis. Aber was habe ich damit zu tun? Nimm Kontakt mit dir selber auf und lass‘ mich in Ruhe.

Dein einsames und verlorenes Leben wird nicht dadurch besser, dass du es mir aufhalst. Und wenn du einsam bist, wird deine Einsamkeit nicht dadurch weniger, dass du sie mit anderen teilst.

 

Nochmal:

Wenn zwei einsame Menschen eine Beziehung eingehen, dann verschwindet die Einsamkeit nicht. Sie wird nur nicht mehr so stark gefühlt.

 

Und nein, ich habe nichts zu geben. Das wenige, was ich habe, brauche ich selber. (Sollte ich von irgendwas mehr haben, als ich brauche, dann werde ich es achtlos liegenlassen und wer‘s findet, der darf’s behalten).

Ich habe nichts zu geben.

Ich bin nur da.

 

Und auch von dir will ich nichts.

Solltest du etwas haben, was ich gerne hätte, dann werde ich dich darauf ansprechen, und wir werden schauen, ob wir auf faire Weise tauschen können.

Aber das ist eher unwahrscheinlich.

Also gib mir nichts.

Ich will’s nicht haben, ich kann’s nicht brauchen.

Vor allem nicht deine Liebe.

 

Ich weiß nicht, was dein Lebensweg ist.

Wenn du einen ähnlichen Weg gehst wie ich, dann können wir darüber sprechen, dass wir gemeinsam gehen und einander auf diesem Weg begleiten. Dann können wir das Leben teilen. Das kann wunderschön sein. Das kann sehr erfüllend sein. Wir können auf diese Weise aneinander wachsen. Nach allem, was ich sehen kann, gibt es für mich keine bessere Weise zu leben. So ein gemeinsamer Weg kann Jahrzehnte lang sein – bis einer von uns beiden stirbt.

 

Aber auch, wenn wir gemeinsam gehen, dann geht jeder für sich, und wir beide gehen gemeinsam. Du hast dein Leben, ich habe meines. Wenn wir das Leben teilen, beruht das auf klarer Absprache. Und wenn wir irgendwann feststellen, dass unsere Lebenswege sich trennen, dann gehen wir wieder auseinander. Vielleicht ist das traurig, aber es ist dann absolut notwendig.

 

Also gib mir bitte nichts, es sei denn, ich frage ausdrücklich danach.

Und gib mir vor allem nicht deine Liebe und nicht deine Ratschläge.

Die kann ich nicht brauchen.

Behalte dein Leben für dich, ich behalte meines für mich.

Die Welt wird durchs unreflektierte Geben nicht besser. Im Gegenteil.

 

Keep a little bit.

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