Im Musical „Mary Poppins“ gibt es eine Szene, in der ein Mann erzählt, wie er gelernt hat, in sozialen Situationen schlau und intelligent zu wirken: Immer wenn er um seine Meinung zu irgendwas gefragt wird, antwortet er mit einem selbsterfundenen, kompliziert klingenden Adjektiv. Es beginnt mit „Superkalifragilistisch“ und hat, wenn ich es richtig gezählt habe, 14 Silben.
Das mag wie die durchgeknallte Laune eines Künstlers wirken, der unbedingt was auf die Bühne bringen muss. Für mich, ist es in mancherlei Hinsicht der Alltag. Davon will ich heute schreiben.
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Das Superkalifragilistisch der anderen
In meinem beruflichen Umfeld hatte ich beinahe zwei Jahrzhente viel mit Unternehmensberatern zu tun. Alles, was Rang und Namen in dieser Szene hat, war dabei – McKinsey, Roland Berger, Boston Consulting, Arthur D. Little, Price Waterhouse – und wie sie alle heißen mögen. Jau! Unternehmensberater! Ein Autor, den ich sehr schätze, hat zu diesem Berufsbild mal gesagt: Wenn ein Unternehmensberater auf dem Weg zur Arbeit an einem Computergeschäft vorbeigeht, schlägt sich das in seinem Lebenslauf als Erfahrung mit Computern nieder. Geht er darüber hinaus noch in den Laden und kauft sich eine kabellose Maus, dann ist das „Projekterfahrung in der Computerbranche“.
Ich habe viel Erfahrung mit diesen Jungs gemacht. (In den seltensten Fällen sind das Frauen). Einzeln und jeder für sich sind sie alle sehr nett, extrem arbeitsam und ziemlich gescheit. Aber im Verbund verwandeln sie sich in einen Haufen ungezogener Kinder in Businessanzügen, die dummes Zeug von sich geben und Unternehmen ruinieren. Der Mythos, der sie umgibt, beruht nicht auf den Ergebnissen, die sie erzielen, sondern im wesentlich auf drei Dingen:
1) Sie arbeiten wie die Blöden. Unter achtzig Stunden in der Woche geht kaum ein Unternehmensberater nach Hause.
2) Sie geben ständig superkalifragilistisches Zeug von sich, das für Uneingeweihte schrecklich gescheit klingt, in Wirklichkeit aber ein eigener Slang des baren Unsinns ist.
3) Sie haben virtuose Fähigkeiten in Powerpoint und Excel.
Der Quatsch, den Unternehmensberater auf Folien schreiben, sieht meistens so aus:
„Die KPIs müssen geframet werden, um am POS die Leverage-Effekte fokussierter zur Wirkung zu bringen und die Performance zu steigern.“
Im Detail und auf Deutsch:
- KPI - „Key Performance Indicator“: Woran erkennen wir, dass die Leistung erbracht wird? „Geframet“ – die Sachen müssen den neuen Unternehmensvorgaben entsprechen.
- POS – „Point of Sale“: Da, wo der Verkauf tatsächlich stattfindet.
- Leverage-Effekte: Mengenrabatt
- Performance: Leistung
Und was wird jetzt hier superkalifragilistisches ausgesagt?
„Wir müssen darauf achten, dass die Verkäufer Unterlagen im neuen Design mit zum Kunden nehmen, sonst lohnt sich der Druck dieser Unterlagen überhaupt nicht. Außerdem glauben wir, dass der Kunde mehr kauft, wenn er die Prospekte in den neuen Farben bekommt.“
Aber würde man das nicht in unverständliche Unternehmensberatersprache übertragen, könnte man nicht diese Irrsinnshonorare verlangen (und bekommen), die in dieser Branche üblich sind. Drei- bis fünftausend Euro am Tag kann so ein Spitzenschwurbler am Tag kosten. (Dieses Honorar bekommen aber nur die wenigsten. Die meisten spielen für ihre Firmen zwei- bis zweieinhalbtausend Euro am Tag ein).
Die Sprache der Unternehmensberater ist ein System, um Gedankentiefe zu simulieren und dabei beinahe nichts oder tatsächlich gar nichts auszusagen. Wer diese Sprache beherrscht, erwirbt auf jeder Entscheideretage, die ich bislang kennengelernt habe, den Ruf, superwichtig und nobelpreisverdächtig gescheit zu sein. Jeder Unternehmensberater, der auf sich hält, spricht diese Sprache fließend.
Gut. Soweit zu den hochbezahlten Konkursbeschleunigern in teuren Businessanzügen. Ich könnte noch hunderte dieser Unternehmensberaterphrasen aufführen, aber das Prinzip dürfte klar sein:
Schwurbel dir superkalifragilistisch etwas zusammen, und du wirkst blitzgescheit und darfst hohe Honorare verlangen. (Viele wissenschaftliche Untersuchungen belegen das: Je komplizierter du dich ausdrücken kannst, desto gescheiter und kompetenter wirkst du auf die Leute).
Wie sieht das sonst so in meinem beruflichen Umfeld aus?
Ich will zwei Beispiele geben:
a)
Wenn ich in dem Konzern, in dem ich arbeite, etwas von der Personalabteilung will, muss ich mich seit einiger Zeit an PxP wenden. Ganz recht – wir haben kein Personalressort mehr. Aus dem Ressort Personal wurde PxP. PxP steht für „People Experience“. Da hat vermutlich wieder irgendeine Schar Unternehmensberater voll hingelangt. Personalarbeit soll erfahrbar werden, wurde mir mitgeteilt. Es soll für die Mitarbeiter ein Erlebnis sein, mit diesem Ressort zusammenzuarbeiten. Dafür steht dieser neue Name. (Das ist echt so, das habe ich mir nicht ausgedacht, und es ist nicht aus einem Dilbert-Cartoon).
Kontakt mit dem Ressort Personal als Erlebnis – sowas brauche ich so nötig wie Fußpilz. Die sollen mir mein Gehalt überweisen und mich in Ruhe lassen.
b)
Und da ich beruflich sehr viel unterwegs bin, muss ich oft Reisekostenabrechnungen einreichen. Tja. Früher ging das an die entsprechende Abteilung. Die hieß (kaum zu glauben!): Reisekostenabteilung. Wahnsinn, was?
Seit einiger Zeit schicke ich meine Reisekostenabrechnungen an die Abteilung „PxP Payroll & Travel“.
Wenn das nicht ein Erlebnis ist … Jedes Mal, wenn ich meine Reisekostenabrechnung versende, muss ich jetzt schrecklich kichern. Das war früher nicht so.
Damit haben wir also zwei Funktionen des superkalifragilistischen Sprachstils herausgearbeitet:
1) Intelligenz und Kompetenz vortäuschen
2) Ganz alltägliche Dinge zur nie da gewesenen Sensation hochjazzen.
Aber da gibt es noch eine andere Funktion. Und die ist mir wichtig, wenn ich selber so spreche: Schutz.
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Mein eigenes Superkalifragilistisch
Oft genug bin ich in meinem Beruf gezwungen, Kompetenz, Aufmerksamkeit, Interesse oder Anteilnahme zu heucheln. Da habe ich mir inzwischen einen Haufen Sentenzen zurechtgelegt, die ich ziehen kann wie ein Skatspieler seine Trümpfe, wenn es darauf ankommt.
Schauen wir uns das mal an.
Situation:
Wir stehen oder sitzen in einer größeren Gruppe zusammen. Jemand erzählt den anderen von irgendeiner sozialen Situation, die er als wichtig oder schwierig empfand. Ich habe nicht richtig zugehört, weil ich nicht interessiert war. Aber ich wollte auch nicht so unhöflich sein, den NT mit seinem Geschwätz einfach stehen zu lassen.
Ich höre:
„Stiller, was sagst du denn als Psychologe dazu?“
Ich antworte:
„Als Psychologe sage ich dazu, dass mein Honorar 60 Euro in der Stunde beträgt.“
Situation:
Auf irgendeiner Tagung wird irgendwelches soziales Projektzeug zusammengeschwurbelt. Redner lösen einander in nicht endender Reihung ab, hunderte Powerpointfolien tauchen auf und verschwinden wieder – Tortendiagramme, Kurven, Anglizismen, Tabellen, Bilder, Slogans. Ich bin mit irgendwas beschäftigt, was ich für sinnvoller halte, tue aber so, als würde ich zuhören. Plötzlich wird der Fluss der Folien unterbrochen und irgendwer richtet das Wort an mich.
Ich höre:
„Stiller, was sagst du denn dazu?“
Ich antworte:
„Das sieht schon sehr interessant aus, aber ich glaube, wir müssen den sozio-kulturellen Kontext noch stärker berücksichtigen.“
Alternative:
„Unter Berücksichtigung der gegebenen Rahmenbedingungen ist das vermutlich schon eine sehr gute Näherung an eine optimale Lösung. Wir sollten jedoch die Dinge, die out of scope sind, noch einmal scannen um zu prüfen, ob wir keinen relevanten Stakeholder übersehen haben.“
Vor ein paar Tagen bekam ich eine Mail. Mein Arbeitgeber fragte an, ob ich nicht weitere Vorträge an Universitäten halten könnte. Als ein mögliches Thema dieser Vorträge wurde unter anderem genannt (so wahr ich hier sitze):
„Arbeitsumfeld Schule... von Chancen, Risiken, Möglichkeiten und Grenzen“
Ich hatte keine Lust auf diese Vorträge. Und so schrieb ich umgehend zurück:
„Das klingt für mich ähnlich wie ‚Die Alternativen des Absoluten‘ oder ‚Wohl und Wehe der Zukunft in Angesicht von Gegenwart und Vergangenheit‘ oder ‚Angewandte Irrelevanz im Lichte neuerer Ansätze der diskursiven Annäherung an das Ungefähre.‘
Ich fürchte, da bin ich nicht kompetent.“
Solange ich für Geld arbeite, werde ich also immer wieder irgendwas Superkalifragilistisches zusammenschwurbeln müssen, um mich irgendwie zu schützen. Wenn ich in Rente gehe, ist Schluss damit. Dann gibt es von mir wieder nur Klartext. Aber bis dahin gilt wohl:
Die paradigmatische Prägnanz des Kommunizierten ist sehr oft nicht kongruent mit der sozial induzierten Intention der Statussublimierung des Kommunizierenden.
Was immer das auch heißen mag.
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