Immer das gleiche

Ich weiß nicht mehr, wann es mir zum ersten Mal bewusst auffiel. Wahrscheinlich war es, als ich mit meinen Töchtern auf dem Spielplatz im Sandkasten saß:

Wenn ich mich so richtig ausgelaugt fühle und ich mit meinen seelischen Kräften am Ende bin, dann hilft mir vor allem eins:

 

Immer das gleiche.

 

Meine Töchter spielten munter vor sich hin. Sie wollten gar nichts von mir. Ich sollte nur auf dem Rand vom Sandkasten sitzen und da sein. Das tat ich auch. Nach ein paar Minuten borgte ich mir von ihnen ein Sandsieb aus und begann, in einer Ecke des Sandkastens den Sand zu sieben. Dabei ordnete ich den Sand. Die groben Sandkörner räumte ich auf die eine Seite des Sandkastens, den feinen Sand sammelte ich auf der anderen Seite. Das machte ich eine geschlagene Stunde lang. Niemand störte mich dabei. Es war herrlich. Ich kam zur Ruhe. Ich war völlig gelöst. Ich habe mir damals so sehr gewünscht, auf diese Weise den Rest meines Lebens zubringen zu dürfen.

 

Ich saß völlig ausgelaugt im Schatten einer Klippe am Meeresstrand. Die Nichtautisten (NTs), mit denen ich da war, machten weiter unten am Strand ein Riesenhallo mit Wasserrutschen, Gummireifen und anderem Spielzeug. Zum Glück hatte ich diesen Platz gefunden, wo mich keiner sah und mich auch keiner suchen würde. Es war heiß. Ich wühlte meine Hände in den kalten Kies auf dem ich saß und es fühlte sich gut an. Dann schaute ich mir den Kies genauer an. Er bestand aus bunten, runden Steinchen. Jedes war ungefähr so groß wie ein Stecknadelkopf. Es schien aber nur eine bestimmte Anzahl Farben zu geben. Das interessierte mich. Und in den nächsten zweieinhalb Stunden beschäftigte ich mich damit, am Strand die Steinchen nach Farbe und Größe zu sortieren. Es war herrlich! Und wieder wünschte ich mir zutiefst, auf diese Weise den Rest meines Lebens zubringen zu dürfen.

 

Wenn es mir nicht gut geht, brauche ich eine Routinetätigkeit, deren Eintönigkeit die NTs wahnsinnig machen würde. Als Student habe ich als Landschaftsgärtner gearbeitet. Ich kann mich erinnern, dass ich mal einen ganzen Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang ganz alleine auf einem riesigen Anwesen Laub geharkt habe. (Das war vor der Zeit der lärmenden Laubbläser). Das hätte ich noch wochenlang tun können. Wenn ich beim Wandern irgendwo sitze und auf etwas warte, fange ich nach kurzer Zeit an, das, was gerade da ist zu sammeln und zu ordnen. Egal was – Steinchen, Stöcke, Blätter. Wichtig ist nur:

 

Es ist immer das gleiche.

 

Diese eintönigen Routinen durchziehen mein ganzes Leben. Am Computer spiele ich gerne ganz eintönige Spiele mit ganz einfacher Grafik. Ich spiele immer das gleiche Spiel. Einmal, zehnmal, hundert Mal, tausend Mal. Ich erforsche dabei die kleinsten Details des Spiels. NTs würde das wahnsinnig machen. Für mich ist das genau richtig. Ich komme zur Ruhe. Ich entspanne mich. Und auch meine dauernde Schachspielerei erfüllt diesen Zweck. Für Nichtautisten ist eine Partie Schach häufig ein Ereignis, das genauso spannend zu beobachten ist wie die Kontinentaldrift. Für mich ist es genau richtig. Natürlich ist keine Partie wie die andere. Aber mit der Zeit kristallisieren sich Gemeinsamkeiten heraus, die man ordnen kann: Bestimmte Eröffnungen, bestimmte Themen im Mittelspiel und im Endspiel.

 

Es gibt immer was zu ordnen und zu systematisieren: Nägel, Stifte, Gedanken, Jahreszahlen in der Geschichte, Konfliktverläufe in dyadischen Beziehungen, Denkfehler, Geschirr, Altpapier, mathematische Formeln, Korrelationen zwischen Naturereignissen und weltpolitischen Wendepunkten. Ich kann mich mit allem möglichen beschäftigen. Wichtig ist nur:

 

Es ist immer das gleiche.

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