Möglicherweise finden sich andere Asperger-Autisten in dem wieder, was neurotypische Experten über sie schreiben, ich eher nicht.
Ich will ein Beispiel geben, das mir in den Sinn kam, als ich mir die Rückmeldungen zu einem meiner letzten Blogtexte anschaute. Ich hatte in diesem Text beschrieben, wie die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, sich dem Thema „Beratung“ nähert, und wie ich das erlebe.
Ein AS sprach mich darauf an, dass mir die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, ganz viel zum Thema Beratung erzählt, obwohl
a) Beratung zu meinen beruflichen Tätigkeiten gehört und
b) mich nicht so recht interessiert, was sie zu berichten hat.
Dazu schrieb mir dieser AS:
„Ich habe mich gefragt, warum sie über Beratungskonzepte spricht. Will sie Kontakt mit dir aufnehmen?“
Und ich antwortete sehr spontan:
„Nein, sie will keinen Kontakt mit mir.“
Und das ist der Punkt.
Wenn Autismus-Experten über uns schreiben, betonen sie häufig, dass wir nicht so sehr auf Kontakt mit andern erpicht sind. Dass wir selbstgenügsam in unserer eigenen Welt leben und in dieser Welt unerreichbar für andere um uns selbst kreisen und eben autistisch – selbstbezogen - sind.
In meinen Augen beschreiben sie damit – wie so oft, wenn sie über uns schreiben – vor allem sich selber.
Wollen die NTs wirklich Kontakt zu anderen?
Schauen wir uns das mal an.
Die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, will keinen Kontakt mit mir, wenn sie mir irgendwas erzählt. Sie behauptet das zwar immer wieder. Aber in Wirklichkeit will sie sich selber reden hören und irgendjemand soll dabei sein und das auch hören und darauf reagieren. Dieser Jemand ist weitgehend austauschbar. Das könnte auch ein Hund sein, ein Roboter, eine Freundin oder ein Fremder. Aber es geht nicht um mich. Es geht um sie und ihr aktuelles Spezialinteresse.
Wie es mir geht, interessiert sie nicht, wenn sie so redet. Was ich dazu denke oder fühle auch nicht. Manchmal fragt sie mich irgendwas, bloß um dann in gleicher Art und Geschwindigkeit weiter zu reden. Manchmal antworte ich etwas, aber das kommt nur dann bei ihr an, wenn es in ihr vorgefertigtes Konzept passt. Ansonsten hört sie das (vielleicht) und vergisst es ganz schnell wieder (bestimmt) und redet weiter wie vorher auch. Sie ist dann genau das, was sich die Autismus-Experten immer unter einem Autisten vorstellen. Dabei ist sie durch und durch neurotypisch.
Beinahe alle NTs, die ich kenne, neigen dazu, auf diese Weise zu reden. Sehr häufig erlebe ich keine Dialoge, wenn sie miteinander reden, sondern zwei Monologe, die nebeneinander herlaufen. Sich füreinander zu interessieren und Kontakt miteinander aufzunehmen fällt den NTs, denen ich begegne, oft sehr, sehr schwer. Sie sind das nicht gewohnt, sie können das nicht und die meisten wollen das auch gar nicht. Es löst intensive Ängste in ihnen aus, wenn jemand Kontakt mit ihnen aufnimmt.
Was meine ich damit?
Meistens sind die NTs nicht auf der Suche nach Kontakt, sondern auf der Suche nach Leuten, die „zu ihnen passen“, wie sie das nennen. Sie wollen nicht Kontakt mit jemand anderem, sondern sich über ihre Spezialinteressen austauschen. Da finden sich dann zum Beispiel zwei NTs, die beide für den FC Bayern München schwärmen und die erzählen sich dann gegenseitig, wie toll dieser Verein ist. Damit können sie sich lange und intensiv beschäftigen. Aber das ist nicht das, was ich unter Kontakt verstehe, denn hier interessiert sich nicht einer für den anderen, sondern beide interessieren sich für ihr gemeinsames Spezialinteresse.
Christen treffen sich mit Christen und beschwärmen das Christentum. Harley-Davidson-Fahrer treffen sich mit Harley-Davidson-Fahrern auf riesigen Events und fachsimpeln stundenlang über dieses Wunder der Technik und aller Zubehörteile. Die, die glauben, dass die Erde flach ist, treffen sich in ihren Foren und bestätigen sich gegenseitig. Und so weiter.
Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Aber das ist nicht das, was ich unter Kontakt verstehe. Das ist das, was die Autismus-Experten unter Autismus verstehen: In seiner eigenen Welt kreisen und das Spezialinteresse in den Mittelpunkt stellen. Hier begegnet keiner dem anderen, weil der andere mehr oder minder austauschbar ist. Sobald der andere sich nicht mehr für das Spezialinteresse begeistert, wird er uninteressant.
Nochmal, weil das so wichtig ist:
Aus meiner Sicht ist überhaupt nichts dagegen zu sagen, wenn Menschen auf diese Weise ihre Zeit verbringen. Aber es ist nicht das, was ich unter Kontakt verstehe. Denn hier steht das Spezialinteresse im Mittelpunkt und der jeweils andere ist mehr oder minder austauschbar.
Wie geht Kontakt?
Kontakt geht so, dass ich mich für den anderen unmittelbar interessiere, ohne dass irgendeine andere Thematik (Hobby, Religion, Meinung, Spezialinteresse etc.) die Brücke zwischen uns bildet. Wenn ich mit einem anderen Menschen Kontakt aufnehme, dann fokussiere ich mich auf ihn. Er ist dann – außer mir – der wichtigste Mensch auf der Welt für mich. Es gibt in diesem Moment in meinem Sein nur ihn und mich. Alles andere versinkt um mich herum. Wenn ich ihm zuhöre, dann höre ich ihm vollständig zu und sonst nichts. Wenn ich ihn mir anschaue, dann bin ich nur optische Wahrnehmung und sonst nichts. Mich interessiert nicht, was ich dazu denke, meine oder fühle, sondern ich nehme das, was ich wahrnehme, vollständig auf und lasse es in mir wirken. Wenn ich ihn wahrnehme, dann ist das so, als würde man Wasser auf den Waldboden gießen: Das sickert da ein – der Waldboden nimmt es auf.
Und da lasse ich es wirken. Ich nehme Kontakt auf.
Habe ich vorgefertigte Konzepte, in die er passen soll? – die lasse ich sausen. Kann ich irgendwas nicht verstehen? – egal, einfach mal wirken lassen. Fühle ich etwas bei dem, was ich da wahrnehme? – interessant: Gefühle kommen und gehen lassen. Aktiviert das, was ich da wahrnehme Erinnerungen? – Erinnerungen kommen und gehen lassen.
Und so weiter.
Es geht beim Kontakt also darum, da zu sein (mit allen Sinnen, Gedanken und Gefühlen) – und nicht irgendwo anders.
Es geht darum, diesen Menschen so wahrzunehmen, wie er ist – und nicht die Wahrnehmung zu filtern durch Meinungen, Konzepte, Bedürfnisse und dergleichen.
Kontakt ist:
Ich bin da, er ist da.
Und das ist eigentlich schon alles.
Wenn ich Kontakt mit einem anderen Menschen aufnehme, dann nehme ich ihn so auf, wie Waldboden Wasser aufnimmt. Und wenn dieser Mensch es will, dann schildere ich ihm, was das in mir auslöst. Aber die meisten wollen das nicht.
Den meisten NTs, die ich kenne, ist diese Art des Kontakts nicht recht. Sie wollen es lieber oberflächlich. Sie wollen den anderen nicht erkennen und sie wollen nicht erkannt werden. Meine Art, Kontakt aufzunehmen und sie wahrzunehmen löst immer wieder große Ängste in ihnen aus. Sie wollen das sein und bleiben, was die Autismus-Experten unter Autisten verstehen: Sie wollen in ihrer eigenen Welt kreisen und dort unerreichbar für andere sein. Begegnung mit anderen Menschen findet sehr gefiltert über Alltag, Arbeit und Spezialinteressen statt, aber das war es auch schon.
Dass bei den NTs über die Beschäftigung mit den Spezialinteressen auch echte Kontakte entstehen können, steht außer Frage. Aber es passiert eben nur sehr, sehr selten. Ich habe über Jahre zahlreiche NTs dazu befragt, und sie alle sagten mir unabhängig voneinander: „Echte Freunde findest du in deinem Leben zwei oder drei. Mehr nicht.“
Alles andere sind eben nur lose Bekanntschaften oder dergleichen.
So gesehen unterscheiden sich NTs und Autisten überhaupt nicht (wie so oft).
P.S.
Ein AS, dem ich meine Texte oft vor der Veröffentlichung zur Prüfung vorlege, fragte mich, ob meine Form der Kontaktaufnahme nicht daher rühren würde, dass Menschen mein Spezialinteresse sind.
Ich habe darüber nachgedacht und das verneint. So, wie ich Kontakt mit Menschen aufnehme, so schaue ich auch den Wolken nach. Auf diese Weise beobachte ich Ameisenstraßen und tippe in meinen Erlebnislaptop. Beinahe immer gehe ich in dem, was ich gerade tue, vollkommen auf.
So, wie ich Kontakt aufnehme, ist meine Art, in der Welt zu sein.
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lemonbalm (Samstag, 09 Februar 2019 10:35)
Ich habe nach den ersten Zeilen schon verstanden.
So ist das.
Murmur (Samstag, 09 Februar 2019 19:44)
In Kontakt sein mit jemand anderem,
so wie du es beschreibst,
so ganz und gar, bedeutet, sein Ego zu loszulassen.
In diesen Momenten verschwindest du.
Das macht den meisten Menschen höllisch Angst.
Das ist fast wie sterben für sie. Auch wird der Sinn davon nicht eingesehen.
Das ändert sich jedoch bei vielen im höheren Alter, spätestens aber wenn die Zeit abgelaufen ist.
Paradoxerweise.
Auf dem Sterbebett wird klar: In Kontakt gewesen sein war LEBEN.
Wäre Leben gewesen.
Der Tod ist in diesem Fach des Lebens der effizienteste Lehrer.
Stiller (Sonntag, 10 Februar 2019 05:37)
Murmur, vermutlich haben wir die gleiche Sicht der Dinge.
Jedoch gibt es in meiner Welt kein Ego, ich weiß auch nicht, was das sein könnte.
Wenn ich mit anderen in Kontakt trete, lasse ich alles sausen, was mich daran hindern könnte und fokussiere mich darauf, da zu sein und wahrzunehmen. Ich nehme mich wahr, und ich nehme den anderen wahr. Das ist eigentlich schon alles.
Zu "Der Tod ist in diesem Fach des Lebens der effizienteste Lehrer" gibt es in der nächsten Woche einen etwas anders gelagerten Text.
Murmur (Sonntag, 10 Februar 2019 09:41)
Stiller...
Ego als Begriff in diesem Kontext hier:
Eine Identifikation mit den eigenen Bildern, Eindrücken, Vorlieben und Abneigungen über die empfundene "Realität" im Aussen und Innern.
Ego = Ich-Gefühl = Existenzgefühl.
Mein prioritäres Interesse als Ego ist es demnach, diese Konzepte zu stärken, indem ich mir andere Menschen suche, die möglichst viele von meinen Konzepten teilen.
Diese werden dann "Freunde" genannt, und als solche wieder dem eigenen Ego einverleibt.
Die Trennung zwischen mir und allem anderen bleibt bestehen.
Ein "wirklicher" Kontakt findet kaum statt.
In Momenten in denen dieses Konstrukt geschwächt ist oder es aus anderen Gründen möglich ist, aus den engen Grenzen zu treten, scheint etwas Allumfassendes auf, was allerdings jenseits sämtlicher Begrifflichkeit ist.
Tiefer Kontakt findet statt und VERSTEHEN auf nichtbegriffliche Weise.
Für das "Ego", was auf Begrifflichkeiten aufgebaut ist, der blanke Horror...
Auch für mein Ego.
Meistens zumindest.
Auf den anders gelagerten Text zum "grossen Lehrer" freue ich mich.
Neo-Silver (Sonntag, 10 Februar 2019 10:22)
Die meisten Menschen erschaffen sich ein Abbild ihrer Selbst, welches sie nach außen hin aufzeigen welches aber nicht ihr wahres Inneres widerspiegelt.
Ob dies eine Sozialkompetenz oder Überlebensstrategie ist, weiß ich nicht.
Meine Vermutung ist, dass dieses nach außen hin dargestellte Idealbild der Stärkung der Position in einer sozialen Gruppe dient und zusätzlich dadurch rückwirkend auch den Selbstwert beeinflusst.
Fatalerweise führt dieser Mechanismus auch dazu das die ursprüngliche wahre und echte Persönlichkeit mehr und mehr verblasst oder die Gefahr dafür besteht.
Kontaktaufnahme, so wie du sie beschreibst, bedarf m.M.n. aber einer solchen Offenheit und auch Kenntnis der wahren innerlichen Welt wie es nur wenige Menschen tatsächlich zulassen wollen und auch können.
Der Vorteil eines Autisten, unabhängig der nichtautistischen Forschung über uns, ist meiner Meinung nach das wir nicht sehr stark in sozialen Shemata denken.
Wir müssen und wollen nicht bedacht darauf sein eine Stellung in der Gruppe zu erhalten oder ein besonderes Ansehen zu erlangen, sondern können uns viel mehr auf den eigentlichen Kontakt konzentrieren.
Am Ende möchte ich aber auch anmerken, dass es viele Autisten gibt, welche Aufgrund ihrer kindlichen und jugendlichen Erfahrungen ein gestörtes Selbstbewusstsein haben und dementsprechend auch zu so einer Erstellung eines nur nach außen hin dargestellten, veränderten und angepassten Bildes ihrer Selbst neigen.
Ps:
Eine direkte Frage an dich Stiller.
Deine Position in der Firma ist mitlerweile, durch jahrelange Arbeit, sehr gefestigt und annerkannt, war aber deinen Beschreibungen nach nicht immer so gesichert und auch bedroht.
Ich kann mir vorstellen, dass auch du in der Anfangszeit eine Art Darstellung deiner Selbst repräsentieren musstest, damit du in dieser sozialen Gruppe, deiner Arbeit, deine Position, also deinen Lebensunterhalt, absichern konntest.
Konntest du dort noch Kontakt in dem Sinne wie du ihn beschreibst zu Jemandem aufnehmen?
Evtl. irre ich mich auch mit meiner o.g. Prämisse, wodurch sich die Frage dann erübrigt.
Stiller (Montag, 11 Februar 2019 05:03)
Murmur, vielen herzlichen Dank für die Erklärung. Ich glaube, ich habe begriffen, was du meinst.
Für mich schließt sich heir auch ein Kreis. Du schreibst:
"Mein prioritäres Interesse als Ego ist es demnach, diese Konzepte zu stärken, indem ich mir andere Menschen suche, die möglichst viele von meinen Konzepten teilen."
Ungefähr das hatte ich im Sinn, als ich den Text schrieb, dem ich den Titel "Querdenker ..." gab. Erst, wenn wir die Konzepte, die wir von uns selbst haben, loslassen, haben wir die Chance, der zu werden, der wir sind. Dieses Loslassen ist (zumindest in meiner Welt) ein lebenslanger Prozess.
Du schreibst:
"Diese werden dann "Freunde" genannt, und als solche wieder dem eigenen Ego einverleibt.
Die Trennung zwischen mir und allem anderen bleibt bestehen.
Ein "wirklicher" Kontakt findet kaum statt."
Das sehe ich auch so.
Du schreibst:
"In Momenten in denen dieses Konstrukt geschwächt ist oder es aus anderen Gründen möglich ist, aus den engen Grenzen zu treten, scheint etwas Allumfassendes auf, was allerdings jenseits sämtlicher Begrifflichkeit ist.
Tiefer Kontakt findet statt und VERSTEHEN auf nichtbegriffliche Weise."
Da sind wir uns einig.
Seit einigen Jahren habe ich einen Text dazu in Arbeit, aber mit dem komme ich nicht so recht voran.
Stiller (Montag, 11 Februar 2019 05:16)
Hallo NeoSilver,
du schreibst:
"Ob dies eine Sozialkompetenz oder Überlebensstrategie ist, weiß ich nicht."
Ich denke, dass es beides ist.
Du schreibst:
"Am Ende möchte ich aber auch anmerken, dass es viele Autisten gibt, welche Aufgrund ihrer kindlichen und jugendlichen Erfahrungen ein gestörtes Selbstbewusstsein haben und dementsprechend auch zu so einer Erstellung eines nur nach außen hin dargestellten, veränderten und angepassten Bildes ihrer Selbst neigen."
Ich hatte noch nie Kontakt mit einem Autisten, wo ich den Eindruck hatte, dass das anders war.
Du schreibst:
"Ich kann mir vorstellen, dass auch du in der Anfangszeit eine Art Darstellung deiner Selbst repräsentieren musstest, damit du in dieser sozialen Gruppe, deiner Arbeit, deine Position, also deinen Lebensunterhalt, absichern konntest."
Das ist auch heute so. Manchmal, wenn ich sehr müde bin und meine Deckung sinken lasse, dann erleben die Leute mich für Momente so, wie ich bin. Da entsteht bei ihnen augenblicklich ein derartig tiefes Gefühl der völligen Fremdheit, dass sie erschrecken und erschauern. Die meisten von ihnen können dieses Gefühl nicht integrieren und vergessen es dann auch schnell wieder.
Du fragst:
"Konntest du dort noch Kontakt in dem Sinne wie du ihn beschreibst zu Jemandem aufnehmen?"
Nein, das konnte ich nicht. Ich komme dem heute immer wieder nahe, aber ich muss auch vorsichtig sein. Die allermeisten Menschen, denen ich begegne, haben eine so große Angst vor Kontakt, wie ich ihn verstehe, dass sie in Gefahr geraten, wenn ich ihnen das anbiete.
Kikkulade (Dienstag, 26 Februar 2019 10:10)
Stiller schreibt: Die allermeisten Menschen, denen ich begegne, haben eine so große Angst vor Kontakt, wie ich ihn verstehe, dass sie in Gefahr geraten, wenn ich ihnen das anbiete.
Exakt. Dann kommt der Schmerz und die Angst. Und dem kann ich mich nur bewusst nähern. Sonst wird das ach so gut organisierte Konstrukt in null-komma-nix umgeworfen und dann habe ich den den inneren Chaos-Salat. Oder Verdrängung und Vergessen ist die Alternative.
Bis also die "Stiller-Kontaktion" salonfähig wird, bedarf es therapeutischer Arbeit. Um das eigene Innenleben mit den Kleinen und den Größeren, den dunklen und den helleren kennenzulernen.
anon (Mittwoch, 19 Juni 2019 09:29)
Hi, danke für die Texte, sie sind sehr eindrücklich, und ich lese sie um generell Verständnis zu gewinnen über Menschen. Eine Frage wäre da .. weil ich das nun auch gewissermassen nicht als so nett empfinde. Die Frau mit der ich de jure verheiratet bin .. scheint wenig respektvoll. Auch wird sie als wenig .. geschätzt von Ihrer Seite, auch weil eventuell unsensibel, beschrieben. - Frage: Warum sind Sie mit ihr (noch) zusammen? .. wegen Kindern Haus etc.? .. hm geht mich nichts an aber drängt sich auch ..
Stiller (Mittwoch, 19 Juni 2019 15:39)
Vermutlich habe ich nicht richtig verstanden:
1
Was ist an „die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin“ wenig respektvoll?
2
Ich erlebe die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, als deutlich weniger sensibel als mich. Was genau hat das damit zu tun, ob ich sie schätze oder nicht?
3
Die Frage, warum ich mit der Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, noch zusammen bin - die ist aus welchen Gründen wichtig oder bedeutsam?
Enrico Pallazzo (Dienstag, 10 Dezember 2019 23:56)
Mir hat sich die selbe Frage aufgedrängt. Wenn ich meine Frau erwähne, ist sie „meine Frau". Dass sie das auch (aber eben nicht nur) de jure ist, erschließt sich von selbst. Wenn jemand aber konsequent eine derart komplizierte und reduzierende Umschreibung verwendet, tut er das nicht ohne Bedacht.
Also schließe ich mich anons Frage an: warum diese Bezeichnung und was soll sie ausdrücken im Gagensatz zur erwartbaren Bezeichnung „meine Frau"?
Stiller (Mittwoch, 11 Dezember 2019 01:15)
Hallo, Enrico Pallazo,
du schreibst.
"Wenn jemand aber konsequent eine derart komplizierte und reduzierende Umschreibung verwendet, tut er das nicht ohne Bedacht."
Das ist völlig richtig. Mein zweitältestes Spezialinteresse ist "Worte - was sie bedeuten, und wie sie zusammengesetzt werden." Dass ich mich unbedacht äußere, ist sehr selten.
Du fragst:
"warum diese Bezeichnung und was soll sie ausdrücken im Gagensatz zur erwartbaren Bezeichnung „meine Frau"?"
Der Grund für diese Bezeichnung ist vollkommen logisch.
Dass dieser Grund ohne Kontext nicht zwingend ersichtlich ist, ist mir klar. Ich nehme das billigend in Kauf, um die Privatsphäre der Beteiligten zu schützen. Ich bitte um Verständnis.
P.S.
Wenn du schreibst:
"Mir hat sich die selbe Frage aufgedrängt", dann verlässt du die Realität.
Eine Frage kann sich dir nicht aufdrängen. Eine Frage kann nicht handeln.
Wenn du aus solch einer realitätsreduzierten Position Fragen stellst, bin ich wachsam.
Enrico Pallazzo (Mittwoch, 11 Dezember 2019 08:45)
Du hast dich zwischen den Varianten (1) "meine Frau" und (2) "die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin" mehrfach für die zweite entschieden.
Für Variante (1) spricht:
1. Sie erfüllt den Zweck besser, die Privatspähre der betroffenen Person zu schützen.
2. Sie erfüllt den Zweck besser, den eigentlichen Sinn von Sätzen zu vermitteln, die nicht ausschließlich von der betroffenen Person handeln.
3. Sie verursacht weniger Aufwand beim Schreiben und Lesen.
Für Variante (2) könnte sprechen, dass du deinen Lesern eine Zusatzinformation über die betroffene Person geben willst. Das hast du aber eben ausgeschlossen.
Stimmen wir soweit überein?
P.S.: "Die Frage drängt sich auf" ist eine Metapher, die keine Verständnisprobleme erzeugt. Das genügt mir. Auch ich wähle meine Worte mit Bedacht und im Bewusstsein, dass Metaphern wörtlich genommen nicht die Realität abbilden. Wenn sie darüber hinaus die Wachsamkeit des Lesers bzw. Zuhörers anregen, ist das ein positiver Nebeneffekt.