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Das Neurotypische Syndrom 13 – Der volkswirtschaftliche Schaden

*** Für alle Autisten geschrieben, denen eingeredet wird, dass sie mit ihrer Autismus-Spektrum-Störung der Allgemeinheit auf der Tasche liegen ***

 

Gib einem Autisten mit hinreichendem IQ eine Aufgabe, die irgendwas mit seinen Spezialinteressen zu tun hat, und die NTs können, was die Arbeitsleistung betrifft, einpacken.

Ausspruch einer unbekannten Autistin

 

 

 

Ich habe in diesem Blog schon einiges über das Neurotypische Syndrom geschrieben: Woran es zu erkennen ist, was seine innere Logik ist, wie Menschen, die es haben, leben – und so weiter.

Was in meinen Augen bis jetzt zu kurz gekommen ist, ist der enorme volkswirtschaftliche Schaden, der durch das Neurotypische Syndrom verursacht wird. Jeder von uns gibt jedes Jahr tausende Euro aus, nur dafür, dass die Neurotypischen neurotypisch sein können. Das dürfte alle Kosten, die der Allgemeinheit durch Autisten entstehen, die nicht am Arbeitsmarkt integriert sind, weit, weit übertreffen.

 

Darüber will ich heute schreiben.

 

Ich kann diese Kosten nicht exakt beziffern. Ich kann nur schildern, wie sie entstehen. Um das möglichst anschaulich zu machen, will ich von meiner eigenen Erfahrung berichten.

 

Seit über zwanzig Jahren arbeite ich in einem Dienstleistungskonzern, der je nach Sichtweise der größte oder der zweitgrößte seiner Branche ist – weltweit. Was mir seit jeher auffällt, ist, dass NTs und ich eine sehr unterschiedliche Art haben zu arbeiten.

 

Vereinfacht und holzschnittartig ausgedrückt sieht das so aus

 

1

Ein NT-Kollege kommt morgens in Büro und beginnt zu arbeiten

a)    Erst mal alle Anwesenden begrüßen

b)    Radio anstellen, Sachen ablegen

c)    Kurzer Plausch mit allen Anwesenden

d)    Auf den Flur gehen und gucken, wer in den anderen Büros anwesend ist

e)    Dort: Leute begrüßen, kurzer Plausch

f)     Zurück zum Arbeitsplatz kommen, Rechner hochfahren

g)    „Jetzt brauch ich erst mal’n Kaffee“ - Kollegen fragen, ob sie auch einen Kaffee wollen

h)    Zum Kaffeeautomaten gehen, dort stehende Kollegen begrüßen

i)      Kurzer Plausch mit den Kollegen am Kaffeeautomaten

j)      Kaffee ziehen und Rückweg antreten

k)    Kurzer Plausch mit den Leuten, die auf dem Weg vom Kaffeeautomaten zum Büro getroffen werden.

l)      Bei Rückkehr ins Büro die Anwesenden über gerade Erlebtes unterrichten. Kurzer Plausch.

m)  Rechner hochfahren

n)    Mails checken

o)    Mit Kollegen über einzelne Mails diskutieren

p)    Arbeit beginnen

 

2

Ich komme morgens ins Büro und beginne zu arbeiten

a)    Alle Anwesenden kurz begrüßen

b)    Sachen ablegen und Rechner hochfahren

c)    Mails checken

d)    Arbeit beginnen

 

Ich halte meine Art und Weise für wesentlich effizienter, auch wenn ich weiß, dass das, was meine NT-Kollegen da treiben, sehr wichtig für den Informationsaustausch und für die Vernetzung ist. Aber was Informationsaustausch und Vernetzung anbelangt - hier gilt dasselbe, was für NTs, die in großen Organisationen arbeiten, auch in vieler anderer Hinsicht zutrifft: Sie beschäftigen sich sehr oft und sehr viel damit, Probleme zu lösen, die es ohne sie gar nicht gäbe. Mit anderen Worten: Wenn NTs bei der Arbeit nicht so derart ausufernd sozial bedürftig wären, dann müssten sie sich auch nicht derart ausufernd vernetzen und so derart ausufernd viele soziale Informationen untereinander austauschen.

 

Ein Hinweis für die NTs unter meinen Lesern, denen das Arbeitsverhalten der NTs völlig normal und meine Beschreibung ziemlich abwertend vorkommt:

Bitte bedenken Sie dieses:

Der Konzern, für den ich arbeite, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Probleme seiner Kunden zu lösen. Die Kunden geben uns im Austausch dafür Geld. Ich halte diesen Tausch für fair. Er beruht auf gemeinsamer Übereinkunft. Aber wir lösen die Probleme unserer Kunden nicht dadurch, dass wir Kaffeetassen spazieren tragen und ausufernd in die soziale Kommunikation mit Kollegen gehen. Dafür bezahlt uns der Kunde nicht. Das ist nicht Teil der Übereinkunft.

 

Ich will das anhand einer fiktiven Rechnung verdeutlichen, die einem Kunden gestellt würde, wenn sie transparent wäre:

 

Rechnung für Lösung Ihres Problems

 

1.    Kosten für Material:                                                                                        38,40 Euro

2.    Kosten für Arbeitsstunden (24 * 38.00 Euro)                                               912,00 Euro

Darin enthalten

a)    Kosten für Arbeitsstunden, in denen wir tatsächlich an Ihrem

Problem gearbeitet haben (18 * 38.00 Euro)                                         684,00 Euro

b)    Kosten für Arbeitsstunden, die dem sozialen Austausch unserer

Beschäftigten untereinander zum Opfer fielen (6 * 38.00 Euro)           228,00 Euro

3.    Kosten für Verpackung und Versand                                                            16,38 Euro

 

Gesamtkosten, die wir Ihnen in Rechnung stellen:                                          966,78 Euro

 

In diesem fiktiven Beispiel zahlt also der Kunde 228.00 Euro dafür, dass die Neurotypischen neurotypisch sein können. Egal, ob der Anteil der Arbeitsstunden, die dem sozialen Austausch zum Opfer fallen, in Wirklich höher oder niedriger ist. Fakt bleibt: Dass der Kunde das bezahlen muss, ist nicht fair. Da NTs, die in größeren Organisationen arbeiten, aber sozial derart bedürftig sind, können sie gar nicht anders. So wird buchstäblich jede Dienstleistung, die sie erbringen, immens teuer.

 

Die wirtschaftlichen Schäden die durch das Neurotypische Syndrom verursacht werden, sind also immens. Denn zum sozialen Austausch der NTs am Arbeitsplatz gehören auch Dinge wie

a)    Lästern über Kollegen

b)    Austausch über private Probleme, Urlaubsreisen, Kindererziehung und dergleichen

c)    Mobbing

d)    Macht-, Revier und Karrierekämpfe

e)    Beziehungen und Affären anbahnen, Beziehungen und Affären beenden

f)     Feiern und Jubiläen

g)    Mails mit Sozialkram austauschen, lesen, kommentieren, weiterleiten

h)    Und so weiter

Das kostet alles unheimlich viel Zeit – vom Kunden bezahlte Arbeitszeit.

 

Ich habe keine Ahnung, wie viele Milliarden Euro jedes Jahr alleine in Deutschland auf diese Weise vergeudet werden. Milliarden Euro jedes Jahr, um die negativen Folgen des Neurotypischen Syndroms abzufedern – das muss man sich schon leisten können, als Kunde und als Volkswirtschaft. Autisten mögen die Sozialsysteme belasten. Die Kosten des Neurotypischen Syndroms schlagen sich aber in einer Art „Steuer auf alles“ nieder. Denn buchstäblich alles, womit sie entlang der Wertschöpfungskette beschäftigt sind, verteuert sich durch den sozialen Austausch, ohne den sie nicht leben können. Vielleicht ist es sogar sinnvoll, hier von einer zusätzlichen „Sozialabgabe“ zu sprechen. Oder von einem Solidaritätsbeitrag für die Neurotypischen.

 

Für alle, die Vergleiche lieben:

Das ist so, als würde ich ein Auto fahren, dessen Bremspedal nur funktioniert, wenn es mit Blattgold belegt ist. Natürlich gibt es bei jedem Bremsvorgang einen Abrieb. Und alle 100 Kilometer muss ich deshalb in die Werkstatt und mir das Bremspedal erneut mit Blattgold belegen lassen. – Lästig und teuer. Rein physikalisch hat das Blattgold nichts, aber auch absolut gar nichts mit dem Bremsvorgang zu tun. Aber das Auto ist eben ein neurotypisches Auto, und deshalb geht Bremsen nur, wenn Blattgold auf dem Bremspedal ist.

Würden Sie dafür bezahlen wollen, nur damit Sie Auto fahren können?

 

 

Wenn ich arbeite, dann weiß ich bei jeder Tätigkeit sehr genau, wer dafür eigentlich bezahlt (der Kunde nämlich) und kann daher prüfen, ob meine Tätigkeit überhaupt gerechtfertigt ist.

Da ich Autist bin, fällt bei meiner Arbeitstätigkeit keinerlei Sozialgedöns an, für das irgendein Kunde bezahlen muss. Wenn ich arbeite, dann arbeite ich und sonst nichts.

Deshalb sage ich bei Vorträgen vor Arbeitgebern gerne:

 

„Wenn Sie wollen, dass über die Arbeit geredet wird, dann nehmen Sie einen Neurotypischen. Wenn Sie wollen, dass die Arbeit getan wird, dann nehmen Sie einen Autisten.“

 

Das ist natürlich überspitzt formuliert. Natürlich leisten auch die meisten NTs ganz hervorragende Arbeit. Aber sie tun das eben in aller Regel deutlich weniger effizient als ich. (In der Tat – Ich kenne keinen einzigen neurotypischen Kollegen, der die Begriffe Effektivität und Effizienz überhaupt auseinander halten kann. Es wird sie geben, diese Kollegen, aber ich kenne sie nicht. Für die meisten NTs, die ich kennengelernt habe, ist das, was mich täglich beschäftigt, anscheinend nur sehr selten ein Thema).

 

Bei jeder anfallenden Aufgabe stelle ich mir diese Fragen:

1.   Muss das überhaupt getan werden, oder erledigt sich das dadurch, dass es liegengelassen wird?

2.   Muss das von mir getan werden? Ich bin extrem teuer. – Gibt es jemanden, der das billiger, besser oder schneller machen kann als ich, und in dessen Aufgabenbereich das eher fällt als in meinen?

3.   Kann ich das auf einfachere, schnellere oder bessere Weise erledigen?

 

So habe ich mir in all den Jahren, die ich mittlerweile für diesen Konzern arbeite, viele, viele Freiräume geschaffen, um effizienter arbeiten zu können und den ganzen Sozialkram zu minimieren. (Nochmal: Der Kunde bezahlt mich dafür, dass ich seine Probleme löse, nicht dafür, dass ich mit meinen Kollegen Sozialgedöns mache):

 

·      Protokolle? – Lese ich nicht.

·      Einladungen zu Büro-Partys oder irgendwelchen betrieblichen Feiern? – Gehe ich nicht hin.

·      Einladungen zum Kaffeetrinken nach dem Mittagessen? Nehme ich nicht an.

·      Einladung zum Lästern über Kollegen? – Nehme ich nicht an.

·      Einladungen zu Meetings? – Nehme ich beinahe nie an.

·      Verabschiedung von Kollegen (in den Ruhestand, in andere Abteilungen und dergleichen)? – Gehe ich beinahe nie hin.

·      Weihnachtsfeiern? – Gehe ich beinahe nie hin.

·      Verpflichtende Skype-Konferenzen, die mich bei meiner Arbeit nicht voranbringen? - Da kann man hervorragend formal anwesend sein und nebenbei was arbeiten.

·      Elend lange Tagungen ohne inhaltliche Substanz? - Ich habe immer unerledigte Vorgänge dabei, die dringend sind. Die Tagungspolizei kann aus der Entfernung unmöglich unterscheiden, ob ich gerade eifrig mitschreibe oder Vorgänge abarbeite.

·      Du bist ein Kollege und schreibst mir laufend Stuss, der mich in meiner Arbeit nicht voran bringt? – Für solche Menschen stelle ich Regeln in Outlook ein: Wenn Post von ihnen kommt, wird sie direkt in den Papierkorb verschoben.

·     Ich muss mal wieder einen Bericht schreiben, den am Ende eh niemand liest? - Da schmier‘ ich ratz-fatz irgendwas zusammen (gerne aus alten Berichten zusammengefügt), was den Anforderungen genügt – und weg damit!

·      Und so weiter.

 

Natürlich kann einem sowas nur in den Sinn kommen, wenn man ein normaler Autist ist. Für NTs ist dieser ganze uneffektive und ineffiziente Sozialkram zwingend notwendig, damit sie überhaupt arbeiten können.

 

Und ja, natürlich beschweren sich die NTs gerne bei mir über diese ewig langen Meetings, die niemandem was bringen, sie seufzen über die vielen Jubiläen und Geburtstagsfeiern zu denen sie hin müssen – und so weiter. Wenn ich mit den NTs darüber spreche, dann hassen sie das genauso wie ich. Aber zum einen sind es die NTs, die diesen Sozialkram initiieren und zum anderen sind es die NTs, die daran teilnehmen.

 

Ein Beispiel aus der Praxis

Die Chefin meines Chefs ließ letztens eine Mail rumgehen, in der sie mitteilte, dass sie jetzt ein neues Büro habe und dass sie ausprobiert hätten, wie viele Leute da rein passen: 53 NTs passen da rein. Mordsmäßig wichtige Information (Ironie). Sowas bringt mich bei der Arbeit wirklich voran und nützt unseren Kunden (Ironie). Und das ist kein Einzelfall. Viele Chefs in diesem Konzern kommen auf eigenartige soziale Ideen. Das ist bei uns sehr en vogue. Das läuft unter „Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit“.

 

53 NTs pressen sich also auf Kosten unserer Kunden in ein Büro, um später auf Kosten unserer Kunden darüber kommunizieren zu können. Denn nach dieser Aktion sind diese NTs natürlich alle in die Kommunikation darüber gegangen. Und sicherlich haben NTs, die von dieser Aktion nur aus zweiter Hand hörten, mit anderen darüber gesprochen – auch auf Kosten unserer Kunden. Und so weiter. So sieht Vollbeschäftigung aus (Ironie). (Übrigens beschwert sich die Konzernleitung laufend, dass wir ein Kostenproblem hätten).

 

53 NTs, die mir später mitteilen werden, wie sehr sie es hassen, ständig zu irgendwelchem Sozialgedöns gehen zu müssen.

 

Ein anderes Beispiel

Unsere Kaffeeküchen wurden jetzt konzernweit mit Tischkickern und Basketballkörben ausgestattet, um die Kommunikation untereinander zu fördern. Da stehen die Kollegen, die sich sonst mit der Kommunikation am Kaffeeautomaten beschäftigen dann also am Kicker oder werfen Körbe. Ich bin sicher, dass das im Sinne des Kunden ist (Ironie).

 

 

Wir dürfen gespannt sein, was den NTs in diesem Konzern als nächstes einfällt. Jüngst war der komplette Konzernvorstand zu Gast im Silicon Valley – eine Woche lang – mal sehen, was er von dort für tolle soziale Neuheiten mitgebracht hat. Auf jeden Fall duzen sich seitdem fast alle im Konzern, und man sieht deutlich weniger Krawatten als früher. Und wer weiß - vielleicht fassen wir uns demnächst jeden Morgen vor der Arbeit tanzend an den Händen, springen um die Tische herum und singen dabei die Firmenhymne. Der Kunde zahlt. Er zahlt alles. Er zahlt auch die Steuer auf alles – den Solidaritätszuschlag für Neurotypische. Er zahlt auch für Blattgold auf dem Bremspedal.

 

 

Zusammenfassung

Eine schier ozeanische soziale Bedürftigkeit ist das Hauptcharakteristikum des Neurotypischen Syndroms. Nimm einem durchschnittlichen NT seine soziale Zuwendung, und er kann nicht mehr arbeiten. So einfach ist das. Aber diese soziale Zuwendung ist immens teuer, und sie trägt wenig oder nichts zur Lösung der Probleme des Kunden bei. So zahlt der Kunde neben der Problemlösung auch immer für das ganze Sozialgedöns, das die NTs bei der Arbeit veranstalten. Der volkswirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, geht allein in Deutschland jedes Jahr in die Milliarden. Das ist wie eine zusätzliche „Steuer auf alles“, die von jedem erhoben wird.  

 

 

Epilog

Vor ein paar Jahren kam mal ein Kollege auf mich zu und wollte wissen, ob es für mich einen Spitznamen oder einen Ehrentitel gäbe. Ich war gerade mal wieder Harlekin-mäßig drauf, und so antwortete ich ihm spontan:

„Euer Effizienz“.

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Kommentare: 5
  • #1

    Lou (Mittwoch, 06 Februar 2019 15:02)

    Hallo,

    ich halte deine Ausführungen für "zu kurz gedacht". Du gehst hier davon aus, dass ein wirtschaftlicher Schaden dadurch entsteht, dass Geld (zu viel in dem Falle) in Umlauf gebraucht wird. Das Gegenteil ist aber der Fall: Wenn Geld fließt, kann Wirtschaft erst funktionieren.
    Außerdem ist das Zahlen über Stundenlohn für reine Arbeitszeit ja durchaus etwas, was positiv ist. Menschen müssen zwar immer noch 8 Stunden auf der Arbeit verbringen für 80 Euro (bei einem Stundenlohn von 10 Euro), aber arbeiten tatsächlich nur 5 Stunden (beispielhaft) und erhalten so quasi einen Stundenlohn von 18 Euro. Das klingt an für sich sehr fair.
    Ich würde es also nicht als wirtschaftlichen Schaden ansehen, sondern als Zeichen, dass Autisten weniger Stunden arbeiten sollten (oder mehr verdienen) - und auch Neurotypischen weniger arbeiten sollten, sofern sie aufhören mit diesem sozialen Wasauchimmer. Im Endeffekt wird ja die selbe Menge Arbeit verrichtet. Man könnte also alle vor die Wahl stellen: Einen zB 5 Stunden Tag für die gleiche Entlohnung ohne Smalltalk etc - oder 8 Stunden mit Smalltalk.

    Lg

  • #2

    Stiller (Mittwoch, 06 Februar 2019 17:08)

    Vielen Dank für diese interessanten Anregungen.

    Ja, möglicherweise habe ich "zu kurz gedacht".
    Ich habe zwar einige Semester lang Volkswirtschaftslehre studiert, aber zum einen bedeutet das nicht, dass ich das auch begriffen habe, und zum anderen ist das auch schon fast ein Vierteljahrhundert her.

    In meinen Gedanken war die die Ausweitung der Geldmenge (M0 - M2) gar nicht das Thema.
    Sondern ich bin von den eklatanten Produktivitätsverlusten ausgegangen, die dadurch verursacht werden, dass die NTs wegen ihrer sozialen Bedürftigkeit pro Zeiteinheit deutlich weniger Werte schaffen (also wertschöpfend tätig sind) als das einem Autisten möglich wäre.

    Ich sah den volkswirtschaftlichen Schaden also in einer signifikanten Schwächung des Gütermarkts und habe den Geldmarkt völlig außen vor gelassen. Die Grenzkosten bei der Wertschöpfung sind hier einfach viel zu hoch. Damit fällt eine Volkswirtschaft, die vergleichsweise wenige Autisten am Arbeitsmarkt integriert, gegenüber einer Volkswirtschaft, die vergleichsweise viele Autisten am Arbeitsmarkt integriert, ganz erheblich zurück. Sie verliert an Wettbewerbsfähigkeit, was wieder negative Auswirkungen für den Arbeitsmarkt hat (was wiederum auf den Gütermarkt zurückwirkt, da weniger Inlandsnachfrage da ist - etc.).

    Die Lösung, die du vorschlägst: Autisten verdienen mehr pro Stunde oder arbeiten halt entsprechend weniger, wird meines Erachtens in vielen Arbeitsverhältnissen, wo nach Arbeitsergebnis bezahlt wird und nicht nach Arbeitsstunden (z.B. bei Akkordlohn) bereits realisiert.

    Vermutlich müsste sich ein Autist, zu dessen Spezialinteressen die Volkswirtschaftslehre gehört, mit dieser Thematik beschäftigen, um sie intellektuell zu durchdringen und ausgewogene Lösungsvorschläge zu generieren.



  • #3

    Lou (Donnerstag, 07 Februar 2019 14:44)

    "Sondern ich bin von den eklatanten Produktivitätsverlusten ausgegangen, die dadurch verursacht werden, dass die NTs wegen ihrer sozialen Bedürftigkeit pro Zeiteinheit deutlich weniger Werte schaffen (also wertschöpfend tätig sind) als das einem Autisten möglich wäre."

    In dem Punkt fand ich deine Ausführungen auch sehr interessant!
    Ich habe selbst wenig Ahnung von Volkswirtschaftslehre, sodass es auch sein kann, dass meine Anmerkungen eventuell wieder fehlerhaft sind. Mir fiel es lediglich auf und ich wollte es anmerken.

    Lg

  • #4

    Lola (Freitag, 07 Februar 2020 12:33)

    Weder gefällt mir Ihr Beitrag, noch Beiträge von NTs. Warum? Nicht weil ich auf inhaltlichen Fehlern reiten müsste, sondern weil beide das Gleiche tun: Keine Akzeptanz und keine Toleranz. Manche Menschen brauchen null Soziales, manche ganz viel, manche brauchen eine Wertschätzung, andere nicht, manche brauchen an manchen Tagen dies und an anderen Tagen jenes. Wir sind (noch) keine Roboter, die an jedem Tag gleich gut funktionieren. Ich jedenfalls nicht, obwohl mich Small talk und das meiste Soziale oft überfordern. Aber durch meine Erkrankungen (...) bin ich nicht immer gleich leistungsfähig. Heisst das jetzt, dass ich weniger verdient habe? Obwohl ich gerne meine Ruhe haben, damit ich speditiv arbeiten kann, brauche ich aufgrund meiner Erkrankung auch mal das Doppelte an Zeit für die gleiche Arbeit. Nicht, dass ich dümmer wäre, nur Zeitungen falten würde oder sonst was, aber ich habe einfach meine Einschränkungen.
    Soziales Miteinander beinhaltet Unterschiede zu akzeptieren, wertschätzen und gegenseitige Unterstützung. Sonst würden die heutige Gesellschaft und Wirtschaft zusammenbrechen. Wenn ich mit meinen Einschränkungen nicht darauf zählen kann, dass auch meine doppelte Anstrengung für das Gleiche eine finanzielle Wertschätzung erhält, dann würde ich unter der Brücke landen und wäre nach 2 Tagen tot. Genau das würde in einer rein leistungsmässig orientierten Gesellschaft passieren. Wir steuern geradewegs darauf zu.
    Der Kunde arbeitet in seinem Bereich nicht anders, also weiss er ziemlich genau, was sein Auftrag beinhaltet. Ausser natürlich ein NT-Kunde arbeitet mit perfekt funktionierenden Aspies. Wie bei den NTs können nicht alle Aspies selbständig arbeiten. NTs möchten keine Aspies integrieren, aber möchten Aspies NTs integrieren?
    Ideal wäre, wenn Aspies und NTs auf dem Gebiet arbeiten könnte, das sie interessiert und wo ihre Stärken zum Zuge kommen. Das ist heute meist nicht der Fall. Keiner will es wirklich zugeben, aber die meisten Arbeitnehmer wünschen sich eine andere Aufgabe, eine die im richtigen Mass herausfordert und zufrieden macht. Für die wenigsten Aspies und NTs gibt es eine freie Stelle, an der sie sich wohlfühlen würden. Auch die Angst vor einem Wechsel, wie der finanzielle Aspekt lässt einem verharren und zuletzt krank werden. Kranke oder behinderte (...) Menschen, Menschen, die scheinbar anders sind oder funktionieren, will man nicht integrieren, die finanzielle Angst ist zu gross. Das scheint mir ein recht krankes System. Schauen wir uns auf der Strasse um, dann sehen wir, wie viele es schon getroffen hat. Schauen wir noch, wie viele „Hilfsstellen“ es gibt mit Unterstützung jeglicher Art, dann wissen wir es.
    Fangen wir doch mal an mit Respekt, Toleranz und Akzeptanz, jeder bei sich und wir untereinander. Wir sind nicht gleich, keiner, und werden es nie sein.
    Ich weiss, die NTs haben mit solchen Vergleichen angefangen. Aber Gleiches mit Gleichem zu vergelten, hat noch nie funktioniert. Gutes hervorheben, ohne andere dabei schlecht zu machen, wäre schon ein Anfang. Ich arbeite noch dran, wie an vielem anderem auch. Auch für mich gäbe es einen Ort, wo meine Leistung „normal“ wäre, ohne dass ich dabei draufgehe. Ich werde ihn finden.
    Ich wünsche Allen ein gutes und schönes Leben, wie auch immer es sein mag.

  • #5

    Stiller (Freitag, 07 Februar 2020 18:14)

    Hallo Lola,

    vielen Dank für Ihre Ausführungen.
    Sie schreiben:
    "Weder gefällt mir Ihr Beitrag, noch Beiträge von NTs."

    Damit kann ich leben.
    Vermutlich sind hier zwei Erklärstränge wichtig:

    a
    In allen Beiträgen, die unter der Überschrift "Das Neurotypische Syndrom" stehen, versuche ich, in exakt derselben Sprache zu schreiben, in der die NT-Fachleute sonst über uns schreiben. Das soll interessierten NTs die Möglichkeit geben zu erleben, wie es ist, wenn man auf diese Weise unter Druck gesetzt wird.

    Ich habe bei meinen Vorträgen immer wieder erlebt, dass NTs überhaupt keine Ahnung haben, welch vernichtender Druck von so einer Sprache ausgehen kann. Sie haben so lange keine Ahnung davon, bis ich ihnen mal vormache, wie das ist. Meine Vorträge dauern selten länger als eine Stunde. Danach sind die NTs meistens ziemlich bedröppel.
    Ich sage ihnen dann:

    "Sie haben das jetzt eine Stunde erlebt. Wir erleben das jeden Tag. Ununterbrochen. Tag für Tag, Woche für Woche, Momant für Monat, Jahr für Jahr.

    Sie können jetzt hier aufstehen und rausgehen und dieser Alptraum ist für Sie vorbei.
    Wir haben diese Möglichkeit nicht. Für uns geht das nie vorbei. Erst, wenn Sie eine andere Sprache finden, um über uns zu reden."

    Als meine Töchter klein waren, haben sie mich gebissen. Sie hatten keine Ahnung, dass mir das weh tut. Deshalb habe ich sie sanft zurückgebissen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Spiegel für ihr Verhalten zu bekommen.
    Ähnlich ist der Zusammenhang hier.

    b
    Wir sind unterschiedliche Persönlichkeiten.
    Wir haben unterschiedliche Lebenserfahrungen gemacht.
    Daraus resultiert eine unterschiedliche Sicht der Dinge.

    Da ich mich vor allem im Beruf unter NTs bewege, habe ich dort meine meisten Lernerfahrungen gemacht. Mit am wichtigsten war diese:
    "Sei wehrhaft!"
    Seit ich glaubhaft nach außen abstrahle, dass jemand, der versucht, mich anzugreifen zu mobben oder sonstwie zu schuriegeln, ein wirklich ernsthaftes Problem bekommt, haben die NTs mit ihren ewigen Angriffen aufgehört.

    Davor haben sie mich jahrzehntelang gemobbt, rumgeschubbst, fertig gemacht, als Boxsack für ihre Frustrationen benutzt (Sprachbild) ... und so weiter.

    Es gibt Menschen, die sich an meiner latenten Aggressionsbereitschaft stören. Denen sage ich für gewöhnlich:
    "Ich habe diese Welt nicht gemacht. Ich lebe nur in ihr."
    Wenn diese Menschen belesen sind, sage ich ihnen:
    "Si vis pacem para bellum."

    Natürlich kann man das auch ganz anders sehen.
    Vielen herzlichen Dank, dass Sie ihre Sicht der Dinge geteilt haben.