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Offener Brief an das amerikanische Volk

Liebe Amerkaner,

 

Ich bin Stiller, ich bin Deutscher, ich schreibe einen weithin unbekannten Blog, in dem ich meine Ansichten und Meinungen zu verschiedenen Themen teile. Die meisten dieser Themen betreffen Autismus und verwandte Gebiete. Dieser Blog ist nichts Besonderes und auch nicht wirklich wichtig.

 

Jetzt werden Sie sich vielleicht fragen, was das amerikanische Volk mit „Autismus und verwandten Gebieten“ zu tun hat. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch – ich glaube nicht, dass die USA oder das amerikanische Volk besonders von diesen Themen betroffen sind. Aber so ziemlich alles, was Sie tun oder nicht tun – als Volk, als Land, als Nation – betrifft mich, genauso wie es die meisten Menschen auf der Welt betrifft.

 

Wenn ein Volk eines kleineren Landes – sagen wir Panama oder Belize – die gleichen Dinge tun würde wie Sie, würde es vermutlich niemanden kümmern. Aber vielleicht kennen Sie das Sprichwort „Große Macht bedeutet große Verantwortung“. Und offen gesagt – ich bin besorgt. Ich bin tief besorgt, dass viele von Ihnen in den USA entweder den Zusammenhang zwischen Macht und Verantwortung nicht kennen – oder das er ihnen einfach egal ist.

 

Soviel ich weiß, halten die meisten von Ihnen die USA für eines der stärksten und besten Länder der Welt. Wenn nicht sogar für das stärkste und beste der Welt.

Nun – wenn das so sein sollte, welche Verantwortung würde daraus erwachsen?

Und wären Sie willens und in der Lage, diese Verantwortung auch zu tragen?

 

Wie Sie vielleicht schon vermutet haben, ist dieser Brief durch Ihren Präsidenten Donald Trump ausgelöst worden. (Ja, ich weiß: Viele von Ihnen betrachten ihn nicht als ihren Präsidenten. Aber ich fürchte, er ist Ihr Präsident. Ob Sie das nun wollen oder nicht. Und an allererster Stelle müssen Sie irgendwie mit ihm fertig werden und nicht ich oder irgendwelche Ausländer).

 

Aber Ihr Präsident Trump ist nicht das Problem. Ja, wenn ich privat über ihn rede, dann nenne ich ihn den „König der Dummheit“. Und ich sage, dass er extrem erfolgreich war, seine Dummheit als Volksnähe zu verkaufen. In der ganzen Welt machen sich Menschen Sorgen wegen ihm, aber dennoch – er ist nicht das Problem. Er ist ein Symptom des Problems. Deshalb bedeutet es nicht, dass alles wieder in Ordnung ist, wenn er nur verschwindet. Nein – das Problem wird bleiben. Stärker und finsterer als zuvor. Und es wird bei Ihnen bleiben, beim amerikanischen Volk. Und da Sie ein so starkes Volk und so eine starke Nation sind, bleibt Ihr Problem auch das Problem der restlichen Welt.

 

Gut – wenn Ihr Präsident nicht das Problem ist, was ist das Problem dann? Und was kann man tun?

 

Ich fürchte, dass das Problem, über das ich hier rede, sehr komplex ist und sich einfachen Lösungen entzieht. Es geht nicht darum, einen Drachen zu töten, einen Menschenfresser zu erschlagen oder einen Feind zu besiegen. Und nein, dieses Problem ist nicht irgendwas unamerikanisches, das sich auf verschlungenen und düsteren Wegen heimlich irgendwie von außen in ihr wundervolles Land geschlichen hat, um es zu durchdringen und zu vergiften. Soweit ich sehen kann, ist das Problem, von dem Ihr Präsident nur ein Symptom ist, so amerikanisch wie ein Apfelkuchen (apple pie). Sie hatten es schon immer. Schon seit den ersten Anfängen der USA. Es ist der düstere Schatten, der auf der amerikanischen Seele liegt. Manchmal ist er dunkler und stärker. Manchmal ist er heller und schwächer. Aber er war schon immer da. Und seit ein paar Jahrzehnten scheint er wieder zu wachsen. Jedenfalls nehme ich das aus der Entfernung so wahr. 

 

Über welches komplexe Problem rede ich hier?

 

Nun, ich habe keinen geeigneten Namen dafür. Vielleicht kann die Soziologie irgendwas anbieten. Und ich bin auch weit entfernt davon, alle Aspekte und Details, die zu diesem Problem beitragen, fassen zu können. Aber soweit ich sehen kann, sind die beiden Hauptwurzeln, die zu Ihrem Problem beitragen

 

a)    Unwissenheit

b)    Gewalt

 

Wenn ich Ihre Zeitungen lese oder Ihre Reden höre oder Selbstbeschreibungen im Netz anschaue, dann erfahre ich, dass die USA gegründet sind auf

 

1)    Freiheit

2)    Menschenrechte

 

Und Sie sind dann sehr stolz auf die Freiheiten, für die die USA stehen. Unermüdlich zählen Sie die Menschenrechte auf, die in Ihrer Verfassung verankert sind. Tapfer und voller Idealismus verteidigen Sie diese Rechte gegen alles und jeden.

Und Sie haben völlig Recht damit, finde ich. Das ist etwas, auf das jedes Land sehr stolz sein könnte. Genau diese Rechte sollte jeder haben und verteidigen. Und Sie waren die ersten, die eine ganze Nation auf solchen ehrenwerten und würdigen Prinzipien gründeten. In dieser Hinsicht verdankt die Welt den USA sicherlich eine ganze Menge. Daran besteht kein Zweifel.

 

Aber was ist mit

 

a)    Unwissenheit

b)    Gewalt?

 

Das sind auch Grundprinzipien der USA. Daran besteht kein Zweifel. Sie achten diese Prinzipien sehr hoch und verteidigen sie gegen alles und jeden. Aber nur selten finde ich, dass Sie diese Prinzipien als Ihre Grundprinzipien benennen, wenn ich Ihre Zeitungen lese, Ihre Reden höre oder mir ihre Selbstbeschreibungen anschaue.

 

Die USA gründen auf Unwissenheit und Gewalt. Ob Sie das nun wollen oder nicht. Das ist der düstere Schatten, der auf der US-amerikanischen Seele liegt und der den USA folgt, wohin immer sie auch gehen. Ich will Ihnen ein paar Beispiele für a) und b) geben, die diese Grundprinzipien schlaglichtartig beleuchten.

 

 

Unwissenheit

 

1

Es gibt viele wissenschaftliche Übersichten zu diesem Thema, und in Details unterscheiden sie sich vielleicht. Aber eine Sache scheint sehr sicher zu sein:

Mehr als 40% von Ihnen glauben felsenfest daran, dass Gott die Welt (nicht nur die Erde – alles! Billionen über Billionen Sterne und Planeten) vor ungefähr 10.000 Jahren geschaffen hat. Das glauben sie nicht etwa, weil es so viele Belege für diese These gibt (in Wirklichkeit gibt es keine). Sie glauben es, weil sie es glauben wollen. Sie berufen sich dabei auf ein Buch, das sie Bibel nennen.

 

Liebe Amerikaner, bitte glaubt mir – die Reste dieser mittelalterlichen Unwissenheit wurden in den übrigen Welt vor ungefähr 150 Jahren überwunden. Das hat man mit Wissen und Wissenschaft geschafft. Wenn man beinahe nichts weiß, ist es natürlich einfach, Fakten zu ignorieren, ja sogar die Wissenschaft und ihre Ergebnisse zu verachten. Und wenn du dich einmal in einer Welt von ignoranten aber felsenfesten Überzeugungen eingerichtet hast, dann ist es sehr schwer, mit der realen Welt wieder in Kontakt zu kommen. Und über 40% von Ihnen haben beschlossen, sich in einer Fantasiewelt einzurichten. Das ist wirklich besorgniserregend!

 

Welches ernsthafte Thema kannst du mit jemandem diskutieren, der dir so unmissverständlich zu verstehen gibt, dass er seinen Verstand nicht selbständig nutzen will? Der nicht dem Weg der Wahrheit folgen will, sondern um jeden Preis bei dem bleiben will, was er zu glauben beschlossen hat?

 

Wenn du glaubst, dass Gott die Welt vor 10.000 Jahren erschaffen hat – und das gegen jeden wissenschaftlichen Beweis – dann kannst du buchstäblich alles glauben. Dann kannst du auch glauben, dass es keinen Klimawandel gibt (Gott würde das nie zulassen) oder dass der Präsident die Wahrheit sagt oder dass es eine gigantische weltweite Verschwörung gegen die USA gibt. Du kannst glauben, dass Autismus durch Impfungen verursacht wurde und dass die Erde eine Scheibe ist.   

 

Viel zu viele von Ihnen leben dauerhaft in dieser Fantasiewelt, während der Rest in der Welt in der Realität lebt. Sie – und ihre Familien – leben dort schon seit Generationen und sind wild entschlossen, dort zu bleiben. Wenn die USA so groß und so wichtig wären wie – sagen wir mal – Panama oder Belize, dann würde das niemandem Sorgen bereiten. Aber Sie sind das mächtigste Volk der Welt. Das ist wirklich besorgniserregend.

 

Wenn ein so großer Teil einer Nation so felsenfest (gegen jedes logische Argument und jede wissenschaftliche Erkenntnis) einem solchen Aberglauben anhängt, dann ist Unwissenheit ein Grundprinzip dieser Nation.

 

 

 

Gewalt

 

1

Nach den Zahlen, die mir vorliegen, befindet sich ungefähr ein Prozent der erwachsenen Bevölkerung der USA in Haft. Das ist mit großem Abstand die höchste Inhaftierungsrate aller zivilisierten Länder. Hier in Europa liegt die Rate bei ungefähr einem Promille.

 

Mit anderen Worten – Leute zu verurteilen und sie ins Gefängnis zu werfen (oder sogar zu töten) ist ein Grundprinzip Ihrer Nation.

Ich denke nicht, dass die Amerikaner besonders „schlecht“ oder „böse“ sind. Warum sollten sie das sein? Ich glaube, dass die Amerikaner so gut und so schlecht sind wie alle anderen auch. Aber da Gewalt ein Grundprinzip Ihrer Nation ist, brauchen Sie Gefängnisse und Gefängnisse und noch mehr Gefängnisse (und Hinrichtungen). Und dann brauchen Sie natürlich auch Leute, um diese Gefängnisse und die Todeszellen zu füllen.

 

 

2

Nach den Zahlen, die mir vorliegen, wurden 2016 mehr als 15.000 Amerikaner durch Schusswaffen getötet. Mehr als 30.000 wurden verletzt. Genau wie in all den Jahren davor auch.

Verzeihung, aber wenn sowas hier in Europa passieren würde, dann würden wir von einem “Bürgerkrieg mit geringer Intensität” (low intensity civil war) sprechen. Kein Land, das im Frieden lebt, hat auch nur annähernd so hohe Verlustzahlen.

 

Aber da Gewalt ein Grundprinzip Ihrer Nation ist, wird nichts gegen diesen fortgesetzten Bürgerkrieg unternommen. Jahr für Jahr für Jahr führen Leute Ihres Volkes einen Bürgerkrieg von geringer Intensität gegen andere Leute Ihres Volkes. Und Sie tun buchstäblich gar nichts.

 

Oh ja, – ich weiß! – natürlich tun Sie ganz viel: Sie protestieren, Sie beten, Sie streuen Blumen und Kerzen auf die Straße, Sie schreiben, Sie sammeln Unterschriften und so weiter. Aber dieser verdammte Bürgerkrieg geht ewig weiter. Ich will es präzisieren: Sie tun einen Haufen Zeug, um Ihr Gewissen zu beruhigen. Aber Sie tun nichts, was funktioniert. Ganz im Gegenteil: Jeder Vorfall führt zu höheren Verkaufszahlen bei Feuerwaffen. Und diese Waffen werden von Ihnen gekauft, um sie zu benutzen – gegen Ihr eigenes Volk.

 

Ja, Sie in den USA haben das Recht, Waffen zu tragen. Sie sind die einzige zivilisierte Nation, die dieses Recht in Ehren hält. Alle anderen zivilisierten Nationen haben mittlerweile begriffen, dass das Recht, Waffen zu tragen, direkt zu dem Recht führt, seine Freunde und seine Familie in die Notaufnahme des Krankenhauses zu bringen oder in der Leichenhalle zu besuchen.

 

Ihr Recht, Waffen zu tragen verursacht so viel Leid und Trauer!

Aber man kann nichts daran machen, weil Gewalt ein Grundprinzip Ihrer Nation ist.

 

 

Schlussfolgerung

 

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will weder Sie noch Ihr Land an den Pranger stellen. Die USA sind sicherlich in vielerlei Hinsicht wunderbar. Die Welt verdankt den USA sehr viel. Wir wissen das. Ich will Ihnen nur sagen, dass ich mir Sorgen über die USA mache und was die Gründe für diese Sorgen sind.

Ich habe keine Lösung für diese Probleme.

Wenn es eine Lösung gibt, müssen Sie sie finden.

 

Zum Entsetzen der Welt hat das Volk der USA beschlossen, von einem verzogenen Fünfjährigen geführt zu werden, der ernste psychische Probleme hat. (Bitte bedenken Sie immer, dass Sie nicht Belize oder Panama sind). Was kommt als nächstes? Wie tief werden die USA noch sinken? Wie gefährlich wird das noch werden?

Aber Ihr fünfjähriger Präsident ist nicht das Problem. Ganz im Gegenteil – er beleuchtet das Problem so deutlich, dass niemand, der bei klarem Verstand ist, es noch länger leugnen kann. Trump ist ein Bilderbuchexemplar für die Unwissenheit und die Gewalt, die auf der US-amerikanischen Seele liegen. Ich nehme an, dass das einer der Hauptgründe ist, warum ihn so viele von Ihnen gewählt haben.

 

Und wenn dieser, Ihr Präsident schon lange wieder in der Versenkung der Geschichte verschwunden sein wird, dann werden die Unwissenheit und die Gewalt aber immer noch Ihr Land und Ihr Volk prägen. Ich nehme an, dass wir uns einig sind, dass da was getan werden muss. Und bitte – ich meine nicht noch mehr Protestmärsche, noch mehr Reden, noch mehr Gebete, noch mehr Blumen auf dem Straßenpflaster, noch mehr Kampagnen, noch mehr Unterschriftensammlungen.

Ich meine irgendwas, was auch funktioniert.

 

Unwissenheit und Gewalt sind Teil Ihres Systems. Das kann nicht durch Wahlen, Kampagnen oder – Gott behüte! – Kriege verändert werden. Hier braucht es einen kulturellen Wandel. Das ist die Arbeit der kommenden Generationen.

 

Aber das klare Bewusstsein, dass Unwissenheit und Gewalt Ihre Grundprinzipien sind (und nicht etwas, was von außen zu Ihnen kam) muss der erste Schritt sein, wenn Sie etwas ändern wollen. Unwissenheit und Gewalt sind für die USA das, was Mehl für einen Kuchen ist.

 

Unwissenheit und Gewalt sind kein Schicksal. Sie können überwunden werden. Aber dafür muss jemand was tun. Ich habe wirklich keine Ahnung, was dieses „was“ sein könnte. Aber ich weiß ganz bestimmt, wer dieser „wer“ ist:

 

Sie!

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Stiller

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