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Narzissten

Ich befand mich gerade mitten in einer mehrjährigen, berufsbegleitenden, sehr intensiven Ausbildung zum Coach. Die Frau, die die Ausbildung leitete, war handverlesen. Vor Beginn der Ausbildung hatte ich die halbe Republik abgegrast und zahlreiche Gespräche geführt mit Menschen, die Coaching-Ausbildungen anboten. Ich wollte von den Besten ausgebildet werden. Nach intensiven Recherchen und einem ausgeklügelten Auswahlprozess hatte ich mich für sie entschieden.

 

Diese Ausbildung war dreijährig und barbarisch teuer, aber ich hatte meinen Arbeitgeber überzeugen können, die Kosten zu tragen. Also musste ich nur die Zeit investieren. Wir trafen uns sechsmal im Jahr für ein Wochenende: Freitagnachmittag bis Sonntagmittag.

 

Diese Wochenenden bestanden immer aus einem erläuternden Theorieteil, praktischen Übungen und jeder Menge Selbsterfahrung.

 

Als ich an diesem Freitag in den großen Schulungsraum des Institutes kam, stand auf dem zentralen Flipchart in großen Buchstaben:

 

„Lieber Gott, nun gib doch endlich zu,

Dass ich klüger bin als du!

Und nimm nun endlich hin,

Dass ich was besondres bin.

 

So, und jetzt preise meinen Namen,

Sonst setzt es etwas. Amen!“

 

Ich schaute mir das an und dachte:

„Aha.“

Dann setzte ich mich auf meinen Platz und wartete auf den Beginn der Veranstaltung.

Die Ausbilderin schrieb immer wieder irgendwelche Sprüche zur Begrüßung auf das Flipchart, um auf das Thema des Wochenendes hinzuweisen. Hier konnte ich mir jetzt gar keinen Reim drauf machen. Aber als sie dann erklärte, dass es an diesem Wochenende um Narzissten und um Narzissmus gehen sollte, nickte ich:

Das konnte ich verstehen.

 

Ich war damals schon ein viel gefragter Coach in dem Konzern, in dem ich arbeitete. Und zahlreiche Führungskräfte, die meine Dienste nutzten, schätzte ich mit meinem Laienverständnis als Narzissten ein. Das Thema war mir also nicht unvertraut.

(Anmerkung: Ich bin zwar Psychologe, habe aber keine klinische Ausbildung. Ich bin Arbeitspsychologe. So ziemlich alles, was ich über klinische Psychologie weiß, habe ich mir außerhalb der Uni angeeignet. Die Diagnostik und die Behandlung von psychischen Erkrankungen und von “Störungen“ fällt nicht in mein Metier. Das überlasse ich den Ärzten und meinen Kollegen mit dem klinischen Hintergrund).

 

Zunächst mal gab es jede Menge Theorie zum Thema Narzissmus. Das war alles neu für mich. Es war hochinteressant. Woran erkennt man Narzissten? Wie entsteht und entwickelt sich Narzissmus? Wie wirkt sich Narzissmus aus?

Und so weiter.

 

Im Selbsterfahrungsteil ging es darum, dass wir uns mit unserem eigenen Narzissmus auseinandersetzten. In welchem Maße waren wir selber Narzissten? Wie reagierten wir darauf, wenn wir auf unseren Narzissmus angesprochen wurden? Welche Methoden der Tarnung hatten wir entwickelt? Wie ging es uns, wenn wir nicht bevorzugt behandelt wurden?

Und so weiter.

 

Nach allem, was ich da sehen konnte, neigte ich nicht besonders zum Narzissmus. Wenn mich jemand kritisierte, nahm ich das nicht übel. Ich neigte nicht dazu, andere zu instrumentalisieren, um stärker zu strahlen. Wenn man mich nicht beachtete, war mir das recht gleichgültig.

Und so weiter.

Aber mit diesem Ergebnis war ich nicht besonders auffällig in dieser Gruppe. Wir waren ein gutes Dutzend Leute, und ich erlebte da keinen als irgendwie narzisstisch.

Klar, der eine ist mehr narzisstisch, der andere weniger. Aber Menschen, von denen ich eindeutig gesagt hätte:

„Auf jeden Fall ist das ein Narzisst“,

die gab es nicht in dieser Gruppe.

 

Aber dann entwickelten sich ziemliche Spannungen.

Spannungen zwischen mir und der Leiterin der Gruppe.

Spannungen zwischen der Gruppe und mir.

 

Es begann, als wir daran gingen, die praktischen Übungen vorzubereiten. Ich hatte vorher in der Gruppe immer wieder anklingen lassen, dass Narzissmus mir sehr vertraut war: Viele meiner Kunden waren in meinen Augen ausgesprochene Narzissten – die schönsten, klügsten und besten Manager der Welt. Allesamt unglaublich wichtig, fähig, unverzichtbar, chronisch unterschätzt, sehr besonders, einzigartig, solche wie sie gab’s nur einmal in hundert Jahren  … und sowieso und überhaupt. Und natürlich waren sie alle außerordentlich bescheiden.

Kannte ich alles.

War absolut nichts neues für mich.

 

Die Leute in der Gruppe schauderte es. Ob das nicht schrecklich sei, mit solchen Menschen zusammenzuarbeiten, wollten sie von mir wissen.

Nein, gar nicht. Ich arbeite ausgesprochen gerne mit Narzissten zusammen.

Ob mir deren ständige Angeberei nicht schrecklich auf den Geist gehen würde.

Nein, gar nicht. Wer gerne der König sein will, der ist bei mir genau richtig. Und wer seine Zeit mit mir dafür ausgeben will, mir zu erklären, wie besonders und toll und überragend er ist, der darf das gerne tun. Er ist damit herzlich willkommen. Und grundsätzlich gilt immer, wenn Menschen mir irgendwas erzählen:

Ich nehm’s wie’s kommt.

 

Dazu war der Tenor:

„Glauben wir dir nicht.“

Von meiner Antwort fühlten die meisten in der Gruppe sich brüskiert:

„Damit kann ich leben.“

 

Ich begriff nicht recht, was vorging, aber das war mir auch egal. Ich war ja nicht in dieser Gruppe, damit die Leute sich wohler fühlten, sondern um was zu lernen und ein besserer Coach zu werden. Und wenn die Leute mir irgendwas nicht glaubten, dann war mir das tatsächlich herzlich egal:

a)    Was wussten die schon von meiner Arbeit? Die waren ja nicht dabei, wenn ich coachte.

b)    Was änderte das, was sie glaubten oder nicht glaubten, an der Wirklichkeit? – Nichts.

 

Also beließ ich die Gruppenmitglieder bei dem, was sie glaubten und machte keinerlei Anstalten, da irgendwie in irgendeinen Dialog mit ihnen einzusteigen.

Die Leute fühlten sich sichtbar befremdet. Die Stimmung, das Klima kühlte merklich ab.

Aber auch damit konnte ich sehr gut leben.

 

In den folgenden Diskussionsbeiträgen wurde mir deutlich, dass so ziemlich alle in dieser Gruppe sehr große Schwierigkeiten mit Narzissten hatten. Sie mieden die Narzissten, wo sie nur konnten. Ich dachte:

„Wenn ihr solche Schwierigkeiten mit Narzissten habt, dann sagt das ja sehr viel aus über euch und sehr wenig über die Narzissten, nicht wahr?“

Aber ich sagte nichts. Ich hatte nicht den Eindruck, dass meine Sicht der Dinge die Gruppe vorangebracht hätte.

 

Dann ging es in die praktischen Übungen. Rollenspiele. Wir sollten einen Narzissten coachen und – so wahr ich hier sitze und in meinen Laptop tippe – ihn von seinem Narzissmus abbringen.

Ich dachte, ich hör‘ nicht recht. Sowas unprofessionelles hatte ich die Ausbilderin noch nie sagen hören. Auch sie schien fürchterliche Schwierigkeiten mit Narzissten zu haben.

 

Und dann entwickelte sich ungefähr dieser Dialog zwischen der Ausbilderin und mir:

„Stiller, du hast doch Erfahrung mit dem Coaching von Narzissten.“

„Ja, ich denke schon.“

„Willst du uns mal so ein Gespräch vormachen? Die meisten hier haben große Hemmungen in das Gespräch mit einem Narzissten zu gehen. Da könnte es helfen, so ein Gespräch mal zu sehen [Name eines Gruppenteilnehmers] könnte einen Narzissten spielen.“

Sie schaute rüber zu diesem Gruppenmitglied, das durch bereitwilliges Nicken sein Einverständnis signalisierte.

Sie schaute wieder mich an:

„Würdest du das für uns tun?“

„Was ist denn der Auftrag in diesem Coachinggespräch?“

„Wie ich schon sagte: Den Narzissten auf seinen Narzissmus ansprechen und ihn bewegen, sich zu reflektieren und weniger narzisstisch zu werden.“

„Abgelehnt.“

„Wie ‚abgelehnt‘ ?“

„Ganz abgelehnt.“

„Äh, du meinst, dass du diesen Auftrag ablehnst.“

„Korrekt.“

„Und wieso?“

„Unethischer Auftrag. Unethische Aufträge lehne ich ab und führe sie nicht aus. Da kann kommen, wer will.“

„Ja, wieso jetzt „unethisch“?“

„Der Narzisst darf ein Narzisst sein, so viel er will. Solange er anderen nicht schadet und sich an die Gesetze hält, darf er das. Seine Entscheidung. Wer wäre ich, ihm zu sagen, dass er kein Narzisst mehr sein soll?! Wer gibt mir das Recht dazu? Wer gibt mir den Auftrag dazu? Der Narzisst ja wohl ganz sicher nicht. Deshalb: Abgelehnt.“

 

Das hatte es in dieser Gruppe, in dieser Ausbildung noch nie gegeben. Noch nie hatte irgendwer einen Auftrag abgelehnt (und dann auch noch so kompromisslos und entschlossen). Die Ausbilderin wirkte konsterniert auf mich. Die Gruppe wirkte eher feindselig auf mich. Ich nahm’s hin, ich nahm’s zur Kenntnis. Unethische Aufträge lehne ich ab. Ob andere das gut finden oder nicht, ist völlig gleichgültig. Da bin ich in meiner Berufslaufbahn schon mit ganz anderen Drücken konfrontiert worden, nur damit ich unethische Aufträge annahm und umsetzte. 

 

Es sprach in meinen Augen sehr für die Ausbilderin, dass sie sich sofort wieder fing. Sie ließ dann andere Menschen in die Rollenspiele gehen, und ich durfte derweil was anderes machen.

Sie hat mich nie auf diese Szene angesprochen. Sie hat mir das auch nie krumm genommen – jedenfalls nicht so, dass ich irgendwas davon gemerkt hätte.

Wie ich oben schon schrieb: Mir war es wichtig, von den besten ausgebildet zu werden.

 

Das ist jetzt auch schon ein paar Jahrzehnte her. Das war lange vor der Zeit, wo ich überhaupt daran dachte, dass ich Autist sein könnte. Aber das ist etwas, was mir im Zusammenhang mit Narzissten auch heute noch sehr wichtig ist: Wenn sie sich und anderen nicht schaden und sich an die Gesetze halten – sie dürfen narzisstisch sein, wie sie wollen. Ich habe keinerlei Probleme damit. Auch heute ist das in meinem Coaching beinahe alltäglich: Ich sitze mit einem erfolgreichen Menschen zusammen, und er präsentiert sich als Gottes Geschenk an die Menschheit. Das darf er. Er darf so sein. Ich habe keinerlei Schwierigkeiten damit.

 

Wenn Menschen meine Dienste als Coach nutzen wollen, dann müssen sie sich in aller Regel sehr darum bemühen. Ich werde derart überhäuft mit Aufträgen und Terminen, dass ich den weitaus meisten absagen muss.

 

Wenn es also ein Narzisst bis zu mir geschafft hat, dann treibt ihn irgendwas an. Er kommt ja nicht zu mir, um weiteres Publikum zu finden, vor dem er glänzen kann. Dafür nimmt er nicht diesen Aufwand auf sich. Aber klassischerweise verläuft das Coaching eines Narzissten bei mir in diesen Phasen:

 

1.    Phase

Narzisst: Ich bin der Größte, Tollste, Schönste, Klügste …

Stiller: Wunderbar. Erzähl‘ mir mehr davon. Ich will dich verstehen.

Narzisst (erzählt)

 

2.    Phase

Narzisst: Ich bin der Größte, Tollste, Schönste, Klügste …

Stiller: Wunderbar. Erzähl‘ mir mehr davon. Ich will dich verstehen.

Narzisst (erzählt)

 

3.    Phase

Narzisst: Ich bin …

(Pause / Schweigen / Stille)

Stiller: Ja? Was bist du?

Narzisst: Ich bin der Größte, Tollste, Schönste, Klügste …

Stiller: Wunderbar. Erzähl‘ mir mehr davon. Ich will dich verstehen.

Narzisst (erzählt)

 

4.    Phase

Narzisst: Ich weiß nicht.

 

(An dieser Stelle kann auch ein direkter verbaler Angriff auf mich kommen, in dem mir der Narzisst wortreich erklärt, warum ich in meinem Job nichts tauge, und dass er mit mir nur seine kostbare Zeit vertut, und dass mein Ruf im Konzern vollkommen überbewertet ist, ich würde nur da sitzen und zuhören, und das könne jeder Postbote …und so weiter. Manchmal kommt auch ein ziemlich bösartiger verbaler Angriff auf andere Personen – Vorgesetzte, Kollegen, Mitarbeiter. Aber auf jeden Fall beginnt die Fassade ein wenig zu bröckeln.

 

Stiller: Was weißt du nicht?

Narzisst: Ja, ich weiß nicht.

Stiller: Das kann ich gut verstehen.

Narzisst: Nein, keiner versteht mich. Auch du nicht.

Stiller: Ich weiß.

 

5.    Phase

Narzisst: Ich bin der Größte, Tollste, Schönste, Klügste …

Stiller: Wunderbar. Erzähl‘ mir mehr davon. Ich will dich verstehen.

Narzisst (erzählt)

 

6.    Phase

Narzisst: Mein Leben gefällt mir nicht.

Stiller: Was gefällt dir nicht?

Narzisst (erzählt, was in seinem Leben ihm nicht gefällt).

Stiller: Und was willst du ändern?

 

 

Die Arbeit mit Narzissten erfordert nach meiner Erfahrung mehr Geduld als bei jeder anderen Personengruppe. Aber das macht nichts. Geduld ist etwas, was reichlich in mir angelegt ist. Ich muss keinen Erfolg haben, bei meinen Coachings, ich muss auch kein Ziel erreichen. Ich bin da, und die Leute reißen sich regelrecht um mich, und das genügt mir und meinem Arbeitgeber vollkommen.

 

Die meisten Narzissten, die meine Dienste suchen, kommen über Phase zwei nicht hinaus. Aber das ist für mich völlig ok. Um mit dieser ewigen Glänzerei nach außen aufzuhören (und sei es nur für Minuten), braucht man als Narzisst sehr viel Mut. Und Mut ist nach meiner Erfahrung nicht unbedingt eine Eigenschaft, die Narzissten auszeichnet. Sie sind immer dann mutig, tatkräftig und unerschrocken, wenn es gilt, am Glanz nach außen zu arbeiten, ihn auszubauen und gegen Angriffe zu verteidigen. Dann können sie was reißen, oh ja. Aber wenn es darum geht, den Mut aufzubringen, mal aufzuhören zu glänzen und nach innen zu schauen – ach du liebe Güte!

 

Die Narzissten, die mir begegnen, scheinen die einsamsten Menschen der Welt zu sein. Sie sind meistens innerlich in einem Maße verwahrlost und verstört, dass es dafür gar keine Worte mehr gibt. Ich kann gut verstehen, wenn sie sich da weder öffnen noch anvertrauen wollen. Sie vertrauen sich anderen nicht an und sich selbst schon mal gar nicht. Sie öffnen sich anderen gegenüber nicht und sich selbst gegenüber schon mal gar nicht. Sie lieben andere nicht und sich selbst schon mal gar nicht. Ausnahmslos alle Narzissten, die ich bislang getroffen habe, hatten tief im Inneren eine ganz extrem schlechte Meinung von sich. Aber das wollen sie nicht wahrhaben. Da wollen sie nicht hingucken. Andere sollen ihnen permanent sagen, wie toll sie sind, weil sie selber sich das nicht glauben können. (Auch hier gilt der „Mechanismus des minus eins“: Multipliziere das, was der Narzisst dir über sich erzählt, mit minus eins, und du kannst sicher sein, seiner inneren Wahrheit schon ziemlich nahe gekommen zu sein).

 

Sie sind wie gut geölte Erfolgsmaschinen. Aber all ihr Erfolg, all ihre soziale Anerkennung und all ihr Geld stopfen nicht dieses tiefe Loch in ihrer Seele. Im Grunde ihres Herzens wissen sie das auch. Ob sie mit dieser tiefen Erkenntnis was machen oder nicht, ist alleine ihre Entscheidung.

 

Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen, die unter Narzissten leiden oder sich auf ihre Spielchen einlassen, nicht hinter diese Maske sehen können und nicht begreifen, wie es in ihnen aussieht. Die Narzissten, die ich erlebe, sind sehr unsichere Menschen. Sie sind zutiefst vereinsamt und verletzt, sie sind innerlich völlig entwurzelt, verarmt und verwahrlost, und sie rennen Tag und Nacht wie ein Hamster im Rad, um sich und die Welt von was ganz anderem überzeugen. Sie vergeuden dabei ihr Leben. Der eine oder andere Narzisst merkt das irgendwann auf seinem Lebensweg, die meisten aber anscheinend nicht.

 

Im Coaching treffe ich auch immer wieder Menschen, die in einer Partnerschaft mit einem Narzissten waren oder sind. Meistens sind das Frauen und meistens ist der Narzisst, über den wir im Coaching sprechen, nicht der erste Narzisst in ihrem Leben.

 

Auch in diesem Coaching sind mehrere Phasen deutlich voneinander zu entscheiden:

 

1.    Phase

Narzissmusopfer: Er ist so schrecklich, ich gerate immer an solche und ich kann gar nichts tun.

Stiller: Interessant. Erzähl‘ mir mehr davon. Ich will dich verstehen.

Narzissmusopfer (erzählt)

 

2.    Phase

Narzissmusopfer: Er ist so schrecklich, ich kann nichts tun, und weißt du, was er gesagt hat?

Stiller: Nein, das weiß ich nicht. Erzähl mir davon.

Narzissmusopfer: erzählt

 

3.    Phase

Narzissmusopfer: Er ist so schrecklich, ich kann nichts tun, und weißt du, was er gesagt hat?

Stiller: Das hört sich vertraut an. Hast du mir das nicht beim letzten Mal schon erzählt?

Narzissmusopfer: Ja, sicher. Aber er ist immer so. Und ich kann nichts tun.

Stiller: Was kannst du nicht tun?

Narzissmusopfer: Gar nichts kann ich tun. Wenn er so ist, dann bin ich ihm hilflos ausgeliefert.

Stiller: Aha. Und aus welchem Grund bringst du dich regelmäßig in solche Situationen?

Narzissmusopfer: Wie „ich bringe mich in solche Situationen?“

Stiller: Ja, er ist ja dein Partner. Und wenn ich dich richtig verstanden habe, dann ist er ja nicht der erste Narzisst, den du dir ausgesucht hast.

Narzissmusopfer (tief seufzend): Ja, ich gerate immer an solche. Ich weiß auch nicht, wieso.

Stiller: Du „gerätst“ nicht an solche, du suchst sie dir aus. Dein Partner ist dir ja nicht zugelost worden, und du hast ihn auch nicht in der Wundertüte gefunden. Du warst auf der Suche und hast dich unbewusst ganz konkret für diesen Mann entschieden. Was ist dein Nutzen davon?

 

An dieser Stelle bricht das Coaching fast immer ab. Narzissten mögen coachingresistent sein. Aber nach meiner Erfahrung gilt das ebenso für die Menschen, die sich in Beziehungen als Opfer von Narzissten erleben. Anscheinend können Menschen, die sich als Opfer von Narzissten definieren und wiederholt Beziehung mit ebensolchen Narzissten eingehen, so ziemlich alles erdulden und ertragen, aber nicht das Bewusstsein, dass sie in der aktiven Rolle waren, als sie sich diesen Menschen aussuchten, und dass sie es unbewusst absichtlich darauf angelegt haben, dass es genauso kommen würde, wie es dann kam.

 

Wer sich in Beziehungen als Opfer von Narzissten fühlt, hat nach meiner Erfahrung fast immer nur diesen einen Weg, um da raus zu kommen: Erkennen, dass er unbewusst absichtlich einen Narzissten in sein Leben geholt hat, um exakt das zu erleben, was er jetzt erlebt. Solange der böse Narzisst an allem schuld ist, ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass sich an diesen ständig wiederkehrenden Mustern irgendwas ändert.

Denn der Narzisst wird sich vermutlich nicht ändern. Der empfindet meistens keinen oder nur wenig Leidensdruck. (Wenn er dann aber endlich doch Leidensdruck verspürt, ist sein Zustand nach meiner Erfahrung meistens schon ziemlich kritisch. Dann muss schnell und wirksam geholfen werden).

 

Narzissmus ist in meiner Welt weder was gutes noch was schlechtes. Das ist eine Art, in der Welt zu sein, wie jede andere auch. Wer Narzisst ist, der darf das gerne sein, solange er sich und anderen nicht schadet und sich an die Gesetze hält. Ich erlebe das Leben, das Narzissten leben, meistens als komplett vergeudet. Aber wenn ein Narzisst zu mir ins Coaching kommt, dann darf er gerne Narzisst sein: Bitte sehr. Ob er an seinem Leben was ändert oder nicht, ist allein seine Entscheidung. Ich hab‘ da keine Aktien drin. Komm‘ als Narzisst zu mir, und du entscheidest, worüber du sprechen willst und welchen Auftrag du mir geben willst. Willst du als Narzisst glänzen, dann bist du herzlich willkommen. Ich höre mir gerne an, was du für ein toller Mensch bist und was dir alles gelingt. Willst du das zum Thema machen, was unter dieser Maske verborgen ist, dann bist du genauso herzlich willkommen. Ich höre mir das gerne an.

 

 

Zusammengefasst

 

Solange Narzissten sich und anderen nicht schaden und sich an die Gesetze halten, dürfen sie in meiner Welt so narzisstisch sein, wie sie wollen.

Wenn sie sich oder anderen schaden oder Gesetze übertreten, muss ihnen wirksam Einhalt geboten werden, keine Frage.

 

Aber für mich ist Narzissmus eine Art, in der Welt zu sein, wie jede andere auch.

 

Wer sich häufiger auf Beziehungen mit Narzissten einlässt und unter ihnen leidet, tut das unbewusst absichtlich, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen.

 

Und für alle Narzissten unter meinen Lesern: Ihr seid die Größten. Ihr seid Gottes Geschenk an die Menschheit. Ihr seid einzigartig, ihr seid wunderbare Menschen. Ihr seid unvergleichlich, etwas ganz besonderes, jeder kann von einer Begegnung mit euch nur profitieren und ohne euch wäre diese Welt viel, viel ärmer. Das gilt überall und jederzeit und ohne jeden Zweifel. Ich weiß das.

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