Alles schon mal da gewesen

Immer wieder habe ich den Eindruck, dass Menschen mit zu nehmendem Alter immer häufiger den Eindruck haben, bestimmte Ereignisse schon mal erlebt zu haben. Speziell von älteren Menschen höre ich immer wieder:

„Alles schon mal da gewesen.“

 

Ich will das mal zum Anlass nehmen, meine Sicht der Dinge zu schildern.

 

In der wissenschaftlichen Psychologie ist es ein vertrautes Phänomen, dass wir in Mustern wahrnehmen. Natürlich nehmen wir mit den Sinnesorganen einzelne Sinnesreize wahr. Aber im Thalamus und in anderen Schaltstationen des Gehirns werden diese Sinnesreize zu komplexen Mustern zusammengefügt, bevor sie an unser Bewusstsein weitergegeben werden. Daher nehmen wir bewusst deutlich öfter die Muster wahr als die Sinnesreize, auf denen sie beruhen.

 

Ein Mensch, der älter ist, hat dementsprechend häufiger solche Muster gebildet bzw. wahrgenommen als ein jüngerer Mensch. Dass ältere Menschen häufiger als jüngere den Eindruck haben, etwas schon mal wahrgenommen oder erlebt zu haben, verblüfft daher nicht. Ich selber bin jetzt näher an meinem 60. Geburtstag als an meinem 50., deshalb zählte ich mich hier zu den älteren Menschen.

 

Immer wieder erlebe ich Situationen und bin absolut sicher, sie schon mal erlebt zu haben: Ich sehe das Foto einer Person zum ersten Mal und bin sehr sicher, sie zu kennen. Jemand beginnt einen komplizierten Satz und ich weiß exakt, wie dieser Satz weiter gehen wird. Ich sehe Tiere und weiß exakt, was sie als nächstes tun werden, weil ich diese Situation so schon mal erlebt habe. Und so weiter. Immer wieder erkenne ich Muster bis ins Detail wieder, obwohl ich diese Situation zum ersten Mal erlebe. Viele meiner Mitmenschen kennen das von sich auch und erklären das mit esoterischem Vokabular.

 

Da ich ziemlich esoterikavers bin, will ich an dieser Stelle nichts von Geisterwesen und Astralebenen oder dergleichen hören. Als ich Student war, stellte ich fest, dass die Spinnerdichte an Universitäten extrem hoch zu sein scheint. Da hörte ich von Meinesgleichen zum Teil extrem viel dunkles Geraune von irgendwelchen Welten und Ebenen und Hast-du-nicht-gesehen. Das ist nicht so meins. Wenn du Dinge siehst, die nicht da sind oder Stimmen hörst oder mit Wesen kommunizierst, die andere nicht wahrnehmen, dann frage dich als erstes, welche Teile von dir selber du da nicht wahrnehmen und wahrhaben willst. Oder um es anders auszudrücken: Mit teilzeiterleuchteten Freizeitschamanen will ich nichts zu tun haben. Die haben nach meiner Erfahrung Probleme mit sich selber, die sie nicht wahrhaben wollen und deshalb nach außen wenden. Von solchen Leuten habe ich bislang ausnahmslos dummes Zeug gehört, wenn es um Phänomene ging, zu denen die Wissenschaft bislang noch wenig zu sagen weiß. Ich selber definiere mich als Wissenschaftler, und als solcher gehe ich die Welt an: Ich bilde Hypothesen, ich zähle, ich messe, ich werte statistisch aus.   

 

Dennoch habe ich einige Fähigkeiten, die andere nicht haben, die von der Wissenschaft untersucht, aber nicht mal im Ansatz verstanden werden. Meine Synästhesie ist so ein Fall: Ich sehe Bilder, Farben, Figuren und Strukturen dort, wo nachweislich keine sind. Die Wissenschaft nennt das „Synästhesie“. Damit ist nichts erklärt, aber jetzt hat diese Fähigkeit ihren offiziellen Namen. Und ab jetzt darf geforscht werden. Bislang kam nichts Handfestes dabei raus.  

 

Dann gab es da dieses Gespräch mit der Grande Dame der deutschen Transaktionsanalyse. Bei der befand ich mich seit über einem Jahr in der Ausbildung zum Transaktionsanalytiker. Ich stellte ihr in kurzen Skizzen verschiedene meiner Fähigkeiten vor und bat sie darum, das einzuordnen. Sie dachte eine Weile konzentriert nach und begann dann mit den Worten:

„Stiller, seit ich dich kenne, bist du in mindestens zwei Welten unterwegs.“

Na klasse!

Das war auch mein Erleben, aber davon hatte ich bislang niemandem erzählt.

 

Ich kann Dinge, die andere nicht können. Nachweislich. Ich verdiene mein Geld damit. Bislang scheint niemand in der Lage zu sein, diese Fähigkeiten zu erklären. Aber dass ich damit Muster völlig banalen Ereignissen exakt vorhersagen kann, die ich zum ersten Mal erlebe, das glaube ich eher nicht. Ich kann es mir auch nicht erklären. Wenn ich mich auf die Teile von mir konzentriere, die diese Fähigkeiten haben, dann nehme ich wahr, dass ich hier extrem sensibel und gefährdet bin. Es ist meine Aufgabe, sie zu schützen und ihnen gerecht zu werden.

 

So gehe ich bis auf weiteres davon aus, dass ein Teil dieser ungewöhnlichen Fähigkeiten tatsächlich da ist, und das ein anderer Teil nicht da ist. Die Illusion, diese Fähigkeiten zu haben, beruht vermutlich auf Selbststimulation des Gehirns, auf Selbsttäuschung oder verfälschten Erinnerungen.

 

Aber das ist nur meine Sicht der Dinge.

Jeder darf eine andere haben.

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Kommentare: 1
  • #1

    Murmur (Sonntag, 28 Juli 2019 16:37)

    Ich kenne vielleicht etwas ähnliches.
    Aber ob es mit zunehmendem Alter häufiger wird?

    Ich empfinde es so, als würde kurz die Zeit stehenbleiben.
    Eine Momentaufnahme, auftauchend aus dem Strom vorüberziehender Eindrücke.
    Ein durchaus komplexes (geometrisches?) Muster, das sich offenbart,
    in zwei halben Sekunden.
    Verstanden - und wieder verschwunden.
    Ein hellwacher Moment der Erkenntnis. Jenseits aller Worte,
    Daraus entstehend - wenn es um mich geht - eine Wahlmöglichkeit und sofortige Entscheidung.
    Vielleicht etwas zu vermeiden. Da als Hindernis erkannt.

    Wenn es nicht um mich geht besteht über den Nutzen dieses Vorgangs in den allermeisten Fällen ein Fragezeichen. Für mich.
    Bei Menschen, die in grossen Schwierigkeiten stecken, sehe ich oft - mir fällt leider nichts Genaueres ein um es auszudrücken - "im geometrischen Muster ihres Wesens fehlende Teile" und "weiss", dass dieses Fehlen der Grund ist, weshalb sie sich nicht helfen (lassen) können...

    Oft jedoch ist es ebenfalls sehr banal.
    So zum Beispiel: die Frau vor mir welche gerade am Postschalter bedient wird vergisst beim Weggehen gleich ihre Handtasche, die sie neben sich deponiert hat!

    Drei Sekunden später, Bingo!
    Aber banal ist für dieses Beispiel vielleicht nicht das richtige Wort.
    Zumindest hatte die Frau in diesem Fall einen Nutzen davon, dass ich gerade nicht am "Träumen" war...

    Was es ist, weiss ich auch nicht.
    Esoterische Mutmassungen treffen den Kern davon in keinster Weise. Tun sie ja nie.
    Für mich persönlich würde ich es nicht als Fähigkeit bezeichnen.
    Denn ich kann es nicht abrufen nach Belieben oder Notwendigkeit.
    Die Funktion führt ein Eigenleben ausserhalb meiner Kontrolle.

    Interessantes Thema!