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Ich weiß ja, wieviel du arbeitest

Letzte Woche kam die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, mal wieder damit:

„Ich weiß ja, wieviel du arbeitest!“

 

Obwohl ich diesen Stuss schon so oft gehört habe, zucke ich innerlich immer noch jedes Mal zusammen, wenn ich das höre. Die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, weiß nicht, wieviel ich arbeite. Das zeigt sie permanent in ihrem Verhalten. Sie weiß nur, dass ich viel arbeite. Und das ist ein Riesenunterschied.

 

Wieviel arbeite ich denn?

Und warum weiß die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, das nicht?

Arbeite ich heimlich?

Habe ich eine Geheimidentität, mit der ich nachts unterwegs bin, wenn der Bürgermeister mal wieder Hilfe bei der Verbrechensbekämpfung braucht?

Schlafe ich überhaupt noch, oder arbeite ich inzwischen rund um die Uhr?

Fragen über Fragen.

 

Schauen wir uns das mal an.

In der Arbeitspsychologie wird unter schieden zwischen

a)    Arbeitsbelastung und

b)    Arbeitsbeanspruchung.

Arbeitsbelastung ist das, was bei der Arbeit objektiv (also physikalisch messbar) auf den Menschen einwirkt. Arbeitsbeanspruchung ist, als wie belastend der Mensch das erlebt. Objektiv gleiche Arbeitsbelastung kann also bei verschiedenen Menschen zu ganz unterschiedlichen Beanspruchungserlebnissen führen.

 

Wie ist meine Arbeitsbelastung?

Wie ist meine Arbeitsbeanspruchung?

 

Arbeitsbelastung

Meine Arbeitswoche geht normalerweise von Montag bis Freitag. Dass ich am Samstag oder Sonntag arbeite, kommt relativ selten vor.

Objektiv messbar arbeite ich an einem normalen Arbeitstag 12 bis 13 Stunden. Ohne jede Pause. Ich verlasse gegen 07:00 das Haus und komme gegen 20:00 wieder zurück. Dazwischen ist jede Sekunde mit Arbeit belegt.

 

Auf diese Weise arbeite ich meistens mehrere Wochen hintereinander, dann habe ich ein bis zwei Wochen, in denen ich deutlich kürzer treten kann, und dann lege ich wieder los.

 

Für die meisten NTs, die meine Arbeitsbelastung kennen, ist das das, was sie „viel“ nennen. Unter meinen Kollegen gibt es nur einen, der dauerhaft noch mehr arbeitet als ich.

 

Ich arbeite also in diesen arbeitsintensiven Wochen 60 bis 65 Stunden in der Woche. Pausen habe ich während der Arbeitstage nicht.

In den weniger intensiven Wochen arbeite ich vielleicht 30 bis 40 Stunden pro Woche. Zu diesen Zeiten genehmige ich mir auch Pausen zwischendurch.

 

Arbeitsbeanspruchung

Wie stark bin ich durch diese physikalische Belastung psychologisch gesehen beansprucht?

Ich glaube, dass ich auch das quantifizieren kann.

Professor Vogeley sagte mir, dass er und seine Kollegen schätzen, dass ein AS in einer Arbeitssituation (wenn er in einer NT-Umgebung arbeitet) 125% bis 150% der Energie aufbringen muss, die ein NT dafür aufbringen müsste.

 

Bei meiner Arbeit bin ich ausnahmslos von NTs umgeben. Dabei bin ich ausnahmslos immer im Zentrum ihrer Kommunikation. (Ich arbeite als Trainer, Coach, Moderator und Konfliktmanager im Vertrieb. (Vermutlich ist das einer der beknacktesten Jobs, den man als AS überhaupt haben kann!)). Daher setze ich für mich mal die 150% an. Ich gestatte Abzüge für die Zeiten, in denen ich im Auto sitze und zur Arbeit fahre bzw. zurückkomme. Da komme ich auf – sagen wir mal - 130%.

 

Ich bin demnach in diesen arbeitsintensiven Zeiten ungefähr so beansprucht, wie es ein NT wäre, der 80 Stunden in der Woche arbeitet.

 

80 Stunden in der Woche – auf fünf Arbeitstage verteilt – ergibt also einen 16-Stundentag. Ohne Pause, versteht sich, denn ich mache auch keine Pausen. Wie viele NTs kennt ihr, die vier, fünf, sechs Wochen am Stück so arbeiten, danach ein bis zwei Wochen kürzer treten und danach wieder loslegen? (Früher habe ich deutlich mehr gearbeitet, aber das lasse ich hier mal außen vor).

 

NTs, die so viel arbeiten, wissen, wieviel ich arbeite. Die anderen nicht. Die wissen nur, dass ich viel arbeite.

Denn um zu wissen, was diese Arbeitsbeanspruchung bedeutet, wie es einem damit geht, und was das im Inneren alles auslöst, muss man diese Erfahrung gemacht haben. Das kann man nicht beschreiben Dieses Wissen kann man sich nicht anlesen.

(Und für die Jungspunde unter meinen Lesern, die jetzt krähen: „Das ist ja noch gar nichts!“ will ich noch diesen Hinweis geben: Ich bin jetzt deutlich über 50 Jahre alt. Ab nächstem Jahr bin ich offiziell „rentennaher Jahrgang“. Wenn ihr mit Mitte 50 immer noch so ranklotzen könnt: Respekt!)

 

Die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, kam vorletztes Wochenende auf die Idee, ich könnte doch mal wieder daheim die Möbel rücken. Das habe ich rundheraus abgelehnt. Sie zeigte dafür wenig Verständnis und wollte mit mir zanken. Mit mir kann man aber (beinahe) nicht zanken. Ich sagte ihr:

„Wenn du so viel arbeiten würdest wie ich, dann würdest du jetzt im Krankenhaus liegen und kämst nicht mal auf die Idee, Möbel zu rücken.“

 

Wie das so ihre Art ist, hat sie mir diese Aussage ausgesprochen übel genommen.

Wie das so meine Art ist, war mir das ausgesprochen egal: Realität ist Realität, ob es dir nun gefällt oder nicht. (Und die Frau, mit der ich de jure verheiratet bin, würde spätestens nach wenigen Monaten ziemlich schwer erkranken, wenn sie so viel arbeiten würde wie ich. Auf jeden Fall).

Sie sprach mich am nächsten Tag nochmal darauf an. Ich solle sowas nicht wieder sagen. Ich antwortete ihr:

„Es ist die Realität. Ich glaube, dass ich das wissenschaftlich belegen kann.“

Sie wollte nichts davon wissen.

Das ist ihr gutes Recht.

Ich erlebe es ziemlich oft, dass NTs sauer sind, wenn die Realität nicht das ist, was sie gerne hätten, und dass sie dann versuchen, sie zu verleugnen oder zu ignorieren. Mittlerweile kann ich ganz gut damit leben.

Deshalb sagte ich nichts mehr dazu.

 

Aber ein paar Stunden später kam sie wieder damit:

„Ich weiß ja, wieviel du arbeitest.“

Auch dazu sagte ich nichts, denn sie wollte ja in dieser Sache nichts von der Realität wissen.

 

Aber ich dachte, ich mache mal ein Blogtext daraus.

Vielleicht interessiert das ja irgendwen.

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