Feedback

 (Zu Deutsch: Zurückfüttern).

 

Die meisten NTs, die meine Welt bevölkern, stehen da drauf: Sich gegenseitig Feedback geben. Manche machen regelrechte Rituale daraus – sie erzählen, wie sie den anderen erleben, was sie dabei empfinden und denken, was sie davon halten und was weiß ich. Und natürlich verknüpfen viele mit ihrem Feedback auch Empfehlungen:

„Du solltest darauf achten ..“

Aber auch Wünsche und Ratschläge folgen gerne so einem Feedback:

„Ich würde mir wünschen, dass du dir in Zukunft mehr Mühe gibst, andere nicht mehr so zu verletzten.“

„Warum versuchst du nicht einfach …“

Die NTs, die meine Welt bevölkern, mögen das. Nicht alle, aber fast alle.

 

Und siehe da – das ist wieder eines der NT-Spiele, die nichts für mich sind. Wenn ich, von NTs umgeben, müde und erschöpft bin, habe ich manchmal nicht mehr die Kraft, meine NT-Maske mit Energie zu versorgen. Da kann ein Feedback-Dialog sich auch schon mal so anhören:

„Soll ich dir mal Feedback dazu geben, wie ich dich heute erlebt habe?“ (Für den NT, der mir diese Frage stellt, ist das eine rhetorische Frage).

„Nein, das sollst du nicht. Warum sollte mich das interessieren?“

Und dann ist auf der anderen Seite verblüfft (oder brüskiert) Sendepause.

 

Die NTs, die mich umgeben, neigen nicht dazu, die sozialen Regeln, nach denen sie sich verhalten, zu hinterfragen. Sie verhalten sich so, wie die anderen und passen sich unbewusst aneinander an. Wenn alle die Armbanduhr links tragen, dann wird sie links getragen – egal, ob das angenehm ist oder nicht. Wenn die Mehrheit grüne Socken trägt, dann wird das auf einmal Mode. Und so weiter. In meinem Umfeld gibt man sich eben Feedback. Ist eben so.

 

„Feedback ist ein Geschenk!“

Diesen Spruch habe ich jetzt schon so oft gehört, dass ich es über habe. Von den NTs, mit denen ich zusammenarbeite, bekomme ich vor allem Bücher und Wein geschenkt. Bücher, die ich nicht lese, und Wein, den ich nicht trinke. Fast alles, was ich geschenkt bekomme, verschenke ich weiter. Ich kann’s nicht brauchen. Aber an wen schenkt man ein Feedback weiter?

 

Manchmal, ganz selten, wollen die NTs, die mir ein Feedback schenken wollen und damit auf Grund laufen, ehrlich wissen, warum ich kein Feedback von ihnen will. Einmal hat sich dabei ein regelrechter Dialog entwickelt:

„Warum willst du denn kein Feedback? Alle wollen das.“

„Ich nicht.“

„Aber warum? Hast du Angst, dass ich dann was Negatives über sich sage?“

„Ich habe es dir gesagt: ‚Warum sollte mich das interessieren‘?“

„Na, du lernst was über dich.“

Was lerne ich über mich?“

„Na, wie ich dich erlebt habe.“

„Und das ist aus welchem Grund interessant für mich?“

„Das eröffnet neue Perspektiven für dich.“

„Dass du mir sagst, wie du mich erlebst, eröffnet mir neue Perspektiven? Welche und wie?“

„Naja, es kann doch sein, dass ich etwas an dir wahrnehme, was du noch nicht kennst.“

„Tatsächlich? Und dann?“

„Dann siehst du auch diesen Teil von dir. Dein blinder Fleck wird kleiner.“

„Aha.“

Schweigen.

„Und das ist dann von Interesse für mich?“

„Ja.“

„Interessant.“

„Stiller, ich muss dir kein Feedback geben. Das war nur ein Angebot.“

„Danke für das Angebot. Ich will es nicht.“

 

Wie sehe ich die Dinge?

Wenn mir irgendwer Feedback darüber gibt, wie er mich erlebt, dann sagt das, was er mir da mitteilt, sehr viel über ihn und ganz wenig über mich aus. Ich erfahre viel über seine Wahrnehmungsfilter, über seine Bewertungskritierien über seinen Erfahrungshintergrund und so weiter. Mit anderen Worten: Der NT dringt mit seinem Feedback in meine Welt ein, um mir mitzuteilen, wie seine Welt ist. Und ganz im Ernst: Warum sollte mich das – außer im strikten beruflichen Kontext (also nach meinen Seminaren z.B.) - interessieren?

 

Meine Erfahrung ist: Die NTs sehen und beobachten, was sie sehen und beobachten wollen. Da kann eine Hauswand noch so grün sein - wenn sie wollen, dass die rot ist, dann sehen sie auch eine rote Hauswand. (Das ist nicht nur meine Erfahrung. Diese Verfälschung der Beobachtung aus sozialen Gründen ist in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen belegt worden: NTs nehmen das wahr, was sie wahrnehmen wollen. Oder präziser: Sie nehmen wahr, was in ihnen ist und was sozial genehmigt ist).

NTs die so beobachten können, dass ich ihre Beobachtung schätzen würde, kenne ich nicht. Keinen einzigen. Ich kenne keinen, der wie ich, seine Beobachtungen kategorisiert, durchzählt, überprüft und dann akribisch Wahrnehmungen von Vermutungen und Emotionen trennt. Etwas (1) wahrnehmen, dabei (2) Vermutungen anstellen und zu diesen Vermutungen (3) Gefühle entwickeln – das ist für die NTs, die mich umgeben, eins. Das trennen die nicht. Mit einem Feedback, dass auf solch einer Vermischung von Kategorien basiert, kann ich für mich nichts anfangen. Wenn ich bei meiner Arbeit besser werden will – ja, dann ist das wichtig für mich. Denn ich lerne dabei, wie ich auf andere wirke. Aber zuverlässiges Feedback, damit ich etwas über mich erfahre (also nicht, wie ich wirke, sondern wie ich bin)? Von einem NT?! Ganz im Ernst – wie soll das gehen?

 

Manchmal mache ich zu dieser Thematik eine simple Selbsterfahrungsübung in meinen Seminaren. Ich zeige den Teilnehmern ein Foto, auf dem zwei Menschen zu sehen sind, die fröhlich in die Kamera winken. Ich frage die Teilnehmer:

„Was seht ihr?“

Fast alle rufen sofort:

„Mutter mit Kind.“

Und tatsächlich – da hält eine erwachsene Frau ein kleines Kind auf dem Arm. Beide scheinen recht fröhlich zu sein. Aber das ist auch schon alles, was zu sehen ist. Das Verwandtschaftsverhältnis „Mutter und Kind“ dichten die Seminarteilnehmer dazu. Das kann man auf dem Foto nicht beobachten. Aber sie glauben felsenfest, dass sie genau das beobachtet haben.

 

In diesem Zusammenhang fällt mir eine Geschichte ein:

Vor ein paar Wochen war ich mal wieder an der Uni-Klinik Köln, um dort an einem Versuch teilzunehmen. Professor Vogeley und sein Team erforschen, wodurch sich AS und NTs unterscheiden. Diesmal ging es um die Interpretation von Beobachtungen. (Man sieht: Mein Spezialgebiet). Offenbar gibt es da Unterschiede zwischen AS und NTs.

 

Zu Beginn saß ich mit einer anderen Versuchsperson im Büro des Versuchsleiters. Anwesend waren:

  1. Versuchsleiter

  2. Versuchsleiterin

  3. Versuchsperson 1 (neurotypisch)

  4. Versuchsperson 2 (AS – ich)

Es wurde eine Münze geworfen, welche Versuchsperson im Büro des Versuchsleiters blieb und welche mit der Versuchsleiterin in den Keller in ein anderes Büro ging. Ich sollte im Büro des Versuchsleiters bleiben. Die andere Versuchsperson verließ mit der Versuchsleiterin den Raum. Die Tür wurde geschlossen, und ich wurde an einen Bildschirm gesetzt.

 

Auf diesem Bildschirm erschienen nach ein paar Minuten Figuren, und der Versuchsleiter sagte mir, dass diese Figuren von der Person im Keller gesteuert würden. Ich sollte nach einem bestimmten Muster mit der Maus darauf reagieren. Ich tat, wie mir geheißen. Der Versuchsleiter saß schräg hinter mir und machte an seinem Schreibtisch irgendwas, was ich nicht sehen konnte. Zwischendrin blieb das Programm hängen, und der Versuchsleiter kam zu mir nach vorne und griff zum Telefon, das bei mir auf dem Tisch stand. Er tippte eine vierstellige Nummer. Nach einem Moment hörte ich dieses:

„Seid ihr jetzt soweit?“

(…)

„Wie lange wird er brauchen?“

(…)

„Gut. Wir sind dann so weit.“

Der Versuchsleiter legte auf und sagte mir:

„Die andere Versuchsperson hat sich ein paar Mal vertippt und braucht jetzt eine kurze Pause. Es geht aber gleich weiter.“

Und dann ging es auch weiter. Diesmal lief das Programm ungestört durch.

 

Irgendwann war eine kurze Pause und der Versuchsleiter fragte mich von hinten:

„Na, was macht der andere?“

Ich war verwirrt:

„Welcher andere?“

„Die andere Versuchsperson – im Keller.“

Ich drehte mich auf meinem Stuhl halb nach hinten um:

„Ich reagiere hier nur auf das, was hier auf dem Bildschirm erscheint. Ob ein Mensch diese Bilder steuert oder ein Computer, weiß ich nicht.“

Der Versuchsleiter machte ein konsterniertes Gesicht:

„Aber die andere Versuchsperson im Keller …“ begann er. Ich unterbrach ihn:

„Das letzte, was ich von der anderen Versuchsperson gesehen habe, war, dass sie hier zur Tür rausging. Ich habe nur Ihr Wort, dass da irgendwer im Keller ist. Wissen tue ich das nicht. Nochmal: Ich reagiere hier nur auf das, was mir hier auf dem Bildschirm präsentiert wird. Ob ein Mensch das steuert oder ein Computer, weiß ich nicht. Kann ich nicht wissen.“

Der Versuchsleiter versuchte es dann noch mit ein wenig NT-Geschwurbel, aber er konnte gegen die Logik, die ich vorgebracht hatte, keine Argumente bringen. Ich hatte mich nur an das gehalten, was ich beobachtet hatte.

Ich drehte mich auf meinem Stuhl wieder um und konzentrierte mich auf das, was ich auf dem Bildschirm sehen konnte.

 

Nach vielen Stunden war dieses Experiment zu Ende. Zum Schluss sagte der Versuchsleiter mir, es habe tatsächlich keine andere Versuchsperson gegeben. Wortreich erklärte er mir, warum das Team mich „getäuscht“ hätte und was das für wissenschaftliche Hintergründe hätte. Ich unterbrach den Redefluss:

„Ich bin Diplompsychologe. Ich weiß, aus welchen Gründen Versuche so aufgebaut werden.“

Schweigen.

Ich hatte den Eindruck, dass der Versuchsleiter auf irgendeine emotionale Reaktion von mir wartete. Immerhin hatte er mich ja „getäuscht“. Aber da kam nichts. Ich hatte mich an das gehalten, was ich hatte beobachten können. Täuschen geht anders. In den heiligen Hallen von Professor Vogeley darf ich Autist sein. Also verhalte ich mich auch so.

 

Dann sagte der Versuchsleiter:

„Sie wollen jetzt sicher wissen, worum es in diesem Versuch ging.“

„Nein.“

„Nein?“

„Nein.“

Der Versuchsleiter sah wieder so konsterniert aus. Offenbar musste er sich erst mal sammeln. Für ein paar Momente sagte niemand was. Dann nahm er den Faden wieder auf:

„Sie haben während der Untersuchung zahlreiche Persönlichkeitsfragebögen ausgefüllt. Sind Sie an den Ergebnissen interessiert?“

„Nein.“

Diesmal nahm der Versuchsleiter das unkonsterniert hin. Sein Gesicht interpretierte ich so, dass ihm klar geworden war, dass er es hier mit einem unverbesserlichen (und völlig unverständlichen) Autisten zu tun hatte.

Wir verabschiedeten uns kurz und formlos, und jeder ging seiner Wege.

 

 

Feedback bedeutet wörtlich übersetzt „Zurückfüttern“.

Liebe NTs: Ich bin nicht interessiert. Füttert euch selbst, füttert euch gegenseitig. Füttert euch vor und zurück. Aber lasst mich aus dem Spiel. Ich bin nicht interessiert.

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